Jüdischer Bildungscampus (Chabad Lubawitsch) in Berlin geplant
Die jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch Berlin plant einen Bildungscampus in Berlin-Wilmersdorf. Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, Lehrerausbildungsstätte und Seniorenwohneinheiten sollen für zehn Millionen Euro auf dem 7000 Quadratmeter großen Wunschgrundstück direkt neben dem schon bestehenden Rohr Chabad Center und der Synagoge entstehen. Über den Verkauf ist allerdings noch nicht entschieden.
Man wolle „die Gesellschaft dauerhaft mitgestalten“, wird Rabbiner Yehuda Teichtal in der Presse zitiert, „ganz entspannt, offen lebendig, normal“. Das Wachstum der Gemeinde mache eine Erweiterung dringend erforderlich, die Planungen dazu liefen schon seit mehreren Jahren. Finanziert werden soll das Projekt aus Spenden, mit Sponsorengeldern, die Lottostiftung habe 1,5 Millionen Euro für die Schule zugesagt, hieß es.
Das 2007 eröffnete Jüdische Bildungszentrum mit angeschlossener Synagoge, die eine Sehenswürdigkeit moderner Architektur darstellt, umfasst eine Reihe von Einrichtungen und Angeboten, darunter eine Jeschiwa, eine Mikwe, ein Restaurant und einen Judaica-Laden. Die „Jüdische Traditionsschule Or Avner“, eine staatlich genehmigte Ersatzschule, und ein Kindergarten werden von der Gemeinde betrieben. Seit 1996 ist Chabad Lubawitsch in Berlin, inzwischen ist der Andrang bei Gottesdiensten zu hohen Feiertagen und eben auch bei den Schulanmeldungen so groß, dass der Platz nicht mehr ausreicht. In der Öffentlichkeit wird Chabad durch das jährliche Lichterzünden an einem überdimensionalen Chanukkaleuchter vor dem Brandenburger Tor wahrgenommen, das seit acht Jahren stattfindet.
Chabad Lubawitsch ist eine jüdisch-orthodoxe chassidische Bewegung, die Ende des 18. Jahrhunderts im heutigen Weißrussland entstand. Der Chassidismus ist ursprünglich eine volkstümliche charismatische Bewegung in Osteuropa mit revolutionären und frühzionistischen Ideen, durchdrungen von messianischen Hoffnungen. Die großen und teilweise heftig rivalisierenden Dynastien – alle zählen heute zum ultraorthodoxen Judentum – werden nach ihren Herkunftsorten benannt (Gerer, Satmarer, Lubawitscher Chassidim). Der chassidische „Rebbe“ (auch Zaddik, „Gerechter“, genannt) ist nicht nur religiöses Oberhaupt und Gelehrter, sondern auch Mittler zwischen Gott und den Menschen, mit besonderen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet und für das spirituelle und das materielle Wohl seiner Anhängerschaft auf Lebenszeit verantwortlich.
Chabad ist die Abkürzung von Chokhma „Weisheit“, Bina „Einsicht“ und Da’at „Wissen“. Diese drei in der jüdischen Kabbala zentralen Begriffe bezeichnen drei der Emanationen (Sefirot, „Sphären“) Gottes, also gleichsam manifestierte „Ausflüsse“ des absolut transzendenten Göttlichen „En Sof“, des „Grenzenlosen“. Sie erfahren in der Chabad-Lehre im Rahmen der gnostisch-mystischen Lehren, die im Chassidismus verbreitet sind, eine spezifische Auslegung und werden mit teilweise eigenen Bräuchen und Gebeten verbunden. Ziel der Erlösung, die verschiedene Stadien durchlaufen muss, ist es, die Dichotomien Gott-Welt, Geist-Materie, Seele-Körper letztlich zu überwinden und die individuelle Seele so wieder ins Ganze Gottes zu integrieren (tiqqun olam).
Bekannt wurden die Lubawitscher Chassidim durch weltweit organisierte Aktivitäten zur Pflege und Verbreitung der jüdischen Tradition, vor allem aber auch durch die Verehrung von Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902 – 1994) als Messias. Das nahende Ende und die Erwartung des Messias noch in seiner Generation waren von Anfang an die Hauptthemen für Menachem Mendel, der sich übrigens Ende der 1920er Jahre zum Studium in Berlin aufhielt. „Der Rebbe“, wie das Oberhaupt der Dynastie (seit 1951) einfach genannt wurde, war eine außergewöhnliche charismatische Führungsgestalt, deren Verehrung durch die Anhänger Anfang der 1990er Jahre immer stärker messianische Züge annahm. Vielerorts waren die übergroßen Plakate mit dem Konterfei des Rebben und dem Slogan „Mashiach achshav (Messias jetzt!)“ zu sehen. Nachdem der Lubawitscher Rebbe hochbetagt und kinderlos in der New Yorker Zentrale gestorben war, gab es nicht wenige, die an sein Weiterleben und an seine Wiederkunft als Heilsbringer glaubten, zumal kein Nachfolger eingesetzt wurde. In die Liturgie fand eine neue Beracha (Segensspruch) Eingang mit dem Wortlaut: „Es lebe unser Herr, unser Lehrer und unser Raw (Rabbi), der König Messias, für immer.“
Auch wenn dies nicht (mehr) die heutige offizielle Linie der „Lubawitscher“ ist – der missionarische Eifer mit dem Versuch, nichtpraktizierende Juden wieder mit ihrer jüdischen Tradition in Verbindung zu bringen, die Sonderlehren und manche spezielle Praxis sorgten dafür, dass die „Chabadniks“, wie sie auch genannt werden, innerjüdisch umstritten sind und auch schon mal als „Sekte“ gebrandmarkt werden.
In Berlin versteht sich Chabad Lubawitsch als Teil der jüdischen Einheitsgemeinde. Auch hier ist das Verhältnis nicht ohne Spannungen. Ein Anlass für Unmut, der über die Gemeindegrenzen hinaus hörbar wurde, war die Ernennung Yehuda Teichtals zum Gemeinderabbiner, die 2012 sozusagen im Alleingang, ohne Beteiligung des Gemeindeparlaments erfolgte.
Etwa 4000 „Gesandtenfamilien“ sind nach Chabad-Angaben weltweit „in mehr als 3300 Institutionen mit Zehntausenden von Mitarbeitern zur Wohlfahrt des jüdischen Volkes“ unterwegs. Die Shluchim (auch Shlichim, Sg. Shaluach, „Gesandter, Missionar“) sind vorwiegend als Rabbiner oder als Lehrer in der Schul- bzw. Erwachsenenbildung tätig. Insgesamt werden Zahlen in der Größenordnung von 200000 Chabad-Chassidim in 70 Ländern geschätzt. Die dynamische Bewegung hat seit 1989 in Deutschland Fuß gefasst (zuerst in München). Heute gibt es Chabad-Zentren in 16 Städten, das größte befindet sich in Berlin. Im deutschsprachigen Raum arbeiten die Einrichtungen unter dem Dach der jeweiligen örtlichen jüdischen Gemeinde.
Friedmann Eißler