Jugendweihe
Ein Fest mit dem Namen „Jugendweihe“ ist im Westen Deutschlands weitgehend unbekannt, im Osten dagegen gehört „die Jugendweihe“ in vielen Familien zu einer liebgewordenen Tradition. Sie wird als ein „Höhepunkt im Familienleben“ erlebt, an dem Jugendliche im Alter von 14 Jahren feierlich und öffentlich „in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen“ werden.
„Jugendweihe ist Volksbrauch“, titelt der „Sächsische Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e. V.“ über seiner erfolgreichen Statistik im Internet. Seit 1991 bis zum Jahr 2006 haben demnach in Sachsen rund 439 500 14-Jährige an einer Jugendweihe teilgenommen. Das sind nach eigenen Angaben des Verbandes 59 Prozent aller Jugendlichen. Dem stehen in dieser Statistik 18 Prozent der Achtklässler gegenüber, die an einer Konfirmation teilgenommen haben, 3 Prozent der Jugendlichen seien katholisch, und 20 Prozent hätten an keiner öffentlichen Feier teilgenommen. Trotz seit drei Jahren deutlich einbrechender Teilnehmerzahlen ist doch von einer recht stabilen Teilnahme auszugehen. Der Rückgang bei Jugendweihen (auf 28 Prozent bei „Jugendweihe Deutschland e. V.“) entspricht ungefähr dem starken Geburtenrückgang Anfang der neunziger Jahre in Ostdeutschland (auf 35 Prozent gegenüber Zahlen aus der Vorwendezeit). Dass die Jugendweihe die DDR derart erfolgreich überleben konnte, ist überraschend und bedarf der Erklärung.
Geschichte
Entstanden ist die Jugendweihe im 19. Jahrhundert als Ersatz- und Gegenveranstaltung zur kirchlichen Konfirmation. Ihr Ursprung liegt bei den freien religiösen Gemeinden der Deutschkatholiken und protestantischen Lichtfreunde, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts von den Kirchen lossagten. 1852 nannte der Prediger und frühere Pfarrer Eduard Baltzer in der „freien protestantischen Gemeinde in Nordhausen“ zum ersten Mal eine Konfirmationsersatzfeier „Jugendweihe“.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann sich in Deutschland der Atheismus zu organisieren. Die Freigeistigen und Freidenker übernahmen von den Freireligiösen die Praxis von Jugendweihen. Sie waren religions- und kirchenkritisch, feierten als Passageritus den Übergang von der Schule in das Arbeits- bzw. Erwachsenenleben, verfolgten die sittliche Erziehung der Jugendlichen und gaben sich klassenkämpferisch. Atheistisch legitimiert wurde diese „Weihe“ der Jugendlichen außerhalb der Kirchen durch den Bezug auf „uralte Bräuche“ des Erwachsenwerdens. Die Jugendweihe wurde als ein im Ursprung völlig nichtreligiöser Initiationsritus interpretiert. Dieses Erklärungsmuster hat sich trotz fehlender Grundlage bei Jugendweiheanbietern bis heute gehalten.
Während die Form weitgehend gleich blieb, konnte die Jugendweihe zu allen Zeiten mit unterschiedlichen Inhalten und Ideologien verbunden werden. Interessen aus zwei Richtungen haben sich mit dem Ritus der Jugendweihe verbunden. Bei Familien, die die Kirchen verlassen hatten, gab es das Bedürfnis, den Brauch der Konfirmation als Mündigkeitsfeier in veränderter Weise fortzusetzen. Für die Anbieter war die Jugendweihe meist ein Instrument, Jugendliche für sich zu gewinnen und an sich zu binden. In der ersten Blütezeit von Jugendweihefeiern während der Weimarer Republik versuchten vor allem Freidenker, KPD und SPD im Klassenkampf Jugendliche für ihre Sache zu gewinnen. Im Nationalsozialismus wurden diese Jugendweihen verboten. Dafür praktizierten die Nationalsozialisten selbst Formen, die Jugendweihen ähnelten und die sie ab 1940 in der „Verpflichtung der Jugend“ zu vereinheitlichen suchten.
In der DDR wurde nach einem anfänglichen Verbot die Jugendweihe ab 1954 als ein wirksames Instrument der Kirchenpolitik der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei (SED) wiederbelebt und entsprechend eingesetzt. Mit erheblichem Druck und massiver Propaganda wurde das Konzept einer „sozialistischen Jugendweihe“ unters Volk gebracht, in der sich die Jugendlichen zum Arbeiter-und-Bauern-Staat sowie zum Sozialismus bekannten und ein entsprechendes Gelöbnis ablegten. Diese atheistische Jugendweihe zwang die Familien in eine Entscheidung, sich entweder zur Kirche oder zum Sozialismus zu bekennen. Die Kirchen versuchten nach anfänglichem Widerstand diesen Druck aufzufangen, indem sie die Konfirmation nicht mehr verweigerten, wenn Jugendliche bereits an einer Jugendweihe teilgenommen hatten. Dennoch war die Erosion in den Kirchen nicht mehr aufzuhalten. 1958 meldeten sich etwa 80 Prozent aller Jugendlichen zur Jugendweihe an. In den siebziger und achtziger Jahren gehörte die Jugendweihe selbstverständlich zum Leben in der DDR. Bis zu 90 Prozent aller Jugendlichen nahmen daran teil. Umfragen aus dieser Zeit zeigen allerdings, dass zwar die Feierlichkeit einen hohen Zuspruch erfuhr, die Zustimmung zu den dabei vertretenen politischen Inhalten aber aus Sicht der SED zu wünschen übrig ließ. Über der hohen Akzeptanz darf nicht der politische Druck vergessen werden, der mit der Jugendweihe verbunden war. Wer nicht an der Jugendweihe teilnahm, hatte mit Repressalien zu rechnen.
In der Bundesrepublik Deutschland gerieten die nach dem Krieg wiederbelebten Jugendweihen verschiedener Anbieter in Bedrängnis, als in der DDR die Jugendweihe von der SED eingesetzt wurde. Nur in einigen größeren Städten wie Hamburg, Nürnberg und Frankfurt a. M. konnte sich eine gewisse Tradition der Jugendweihe halten. Allerdings erreichte man auch hier nur einen kleinen Kreis von Teilnehmern. Außerhalb Deutschlands kennt man nur in wenigen Ländern vergleichbare weltliche Feiern. In Norwegen und Schweden werden „bürgerliche Konfirmationen“, in Belgien „Jugendfeiern“ angeboten. In Osteuropa gab es nur in Lettland und Estland während der Sowjetzeit den Versuch, eine weltliche Feier im Gegenüber zur Konfirmation zu etablieren, die sich allerdings nicht halten konnte.
Gegenwart
Der wichtigste Anbieter von Jugendweihen in Deutschland ist der Verein „Jugendweihe Deutschland e. V.“ (JWD). Etwa 10 Prozent der Jugendweihen werden vom „Humanistischen Verband Deutschlands“ (HVD) und weniger als ein Prozent von Freidenkerverbänden angeboten. Daneben gibt es verschiedene kleine regionale Anbieter, z. B. die Arbeiterwohlfahrt in Brandenburg. Bei den Anbietern zeichnen sich zwei Ausrichtungen ab: Entweder die Jugendweihen werden bewusst weltanschaulich neutral als „Fest für alle“ angeboten – diese Richtung vertritt z. B. der Verein „Jugendweihe Berlin / Brandenburg e. V.“ –, oder sie werden weltanschaulich als Teil einer „humanistischen“ Erziehung bzw. zur Mitgliedergewinnung eingesetzt. Dies gilt vor allem für Jugendweihen der Freidenker und Jugendfeiern des HVD. Es ist jedoch auch bei „Jugendweihe Deutschland“ eine zunehmend weltanschauliche Ausrichtung zu beobachten. So kooperieren seit 2007 JWD und HVD stärker miteinander. Weil dies nach Auffassung von „Jugendweihe Berlin / Brandenburg“ der in der Satzung verankerten weltanschaulichen Neutralität des JWD widerspricht, hat sich dieser Regionalverein aus der JWD verabschiedet. Die humanistisch-atheistische Ausrichtung der Anbieter, die gar nicht immer klar zu erkennen ist, sagt jedoch wenig über die weltanschauliche Orientierung der Jugendweiheteilnehmer aus. Kosten, Gruppendynamik und Attraktivität der Feiern werden den Ausschlag geben, sich für einen Anbieter zu entscheiden, wenn es denn überhaupt konkurrierende Angebote vor Ort gibt.
Jugendweihen werden für 14-jährige Jugendliche in jedem Frühjahr veranstaltet. Ehrenamtliche, meist engagierte Eltern, werben dafür im Vorfeld in den Schulen. Die Jugendweihen finden in öffentlichen Räumen statt. Das können Kino- oder Konzertsäle sein, nicht selten sind es, vor allem im ländlichen Raum, Aulas in Schulen. Am Tag der Jugendweihe kommen die Jugendlichen festlich gekleidet in Begleitung ihrer Geschwister, Eltern und Großeltern. Bei Jugendweihen von „Jugendweihe Berlin / Brandenburg“ versammeln sich zwischen 50 und 90 Familien in einem Saal. Höhepunkt der Jugendweihe ist die Überreichung der Urkunde an die Jugendlichen. Meist werden sie dafür namentlich genannt und in Gruppen auf die Bühne gerufen. In der Urkunde steht kaum mehr als dass N.N. „in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen“ wurde. Dieser Auftritt wird von einem bunten Unterhaltungsprogramm gerahmt. Zudem hält eine Person des öffentlichen Lebens oder ein Vertreter des Jugendweiheanbieters eine Rede. Zusätzlich zur Feier bieten die großen Jugendweiheanbieter ganzjährig zahlreiche Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten an. Eine Teilnahme an einzelnen Veranstaltungen ist aber nur in seltenen Fällen für Jugendweiheteilnehmer verpflichtend.
Einschätzung
Gegenwärtig macht das Ritual einen recht inhaltsleeren Eindruck. Angesichts des hohen Zuspruchs stellt sich die Frage, welche Funktion die Jugendweihe für die Familien hat. Albrecht Döhnert bezeichnet die Jugendweihe als ein „Ritual an der Familie“. Sie markiert den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenleben. Dabei scheint das ursprünglich historisch im Schulabschluss begründete Alter von 14 Jahren geeignet zu sein, gemeinsam als Familie innezuhalten, sich zu erinnern und nach vorn zu schauen. Mit den Jugendweiheveranstaltern gibt es eine Institution außerhalb der Familie, die den Jugendlichen und ihren Eltern mitteilt, dass die Kinder nun ein Recht auf mehr Verantwortung und Freiheit haben. Ehrhart Neubert hat die Einbindung des Einzelnen in die mythische Struktur der Gemeinschaft und gleichsam die Sakralisierung der eigenen Biographie im öffentlichen Raum eine „Heiligung des Privaten“ genannt. Die Jugendweihe kann auch als eine öffentliche Ermutigung und Bestätigung der Familien in der modernen Gesellschaft erfahren werden. Bei Einwandererfamilien, vor allem aus Vietnam, dient das Ritual in Ostdeutschland offenbar zur gesellschaftlichen Integration.
Nach wie vor ist die Jugendweihe ein Ersatz beziehungsweise eine Alternative zur Konfirmation. Jugendliche entscheiden sich entweder für die Konfirmation oder für die Jugendweihe. Dabei lassen sich weder Christen noch Konfessionslose einfach den Festen zuordnen. Zum Teil nehmen getaufte Kinder an einer Jugendweihe teil. Umgekehrt entscheiden sich immer wieder konfessionslose Jugendliche für Taufe und Konfirmation.
Bei allen Jugendweiheanbietern ist ein verharmlosender Umgang mit der Geschichte der Jugendweihe vor allem in der DDR zu beobachten. In den hauseigenen Geschichtsdarstellungen wird auf die 150 Jahre alte Jugendweihetradition verwiesen. Der Nationalsozialismus wird ganz ausgelassen. In der Regel wird die Jugendweihe in der DDR als ein bedauerlicher Missbrauch der Tradition dargestellt. Im „Jugendweihe Almanach“ von 2003 wird der Missbrauch gar auf einzelne regionale Politiker oder Schulleiter reduziert. Eine solche Darstellung verkennt den politischen Charakter und das System, mit dem die Jugendweihe in der DDR als Mittel der Kirchenpolitik eingesetzt wurde. Als solches bot sie sich gerade von ihrem geschichtlichen Ursprung her als Ersatz der Konfirmation an.
Im humanistischen Umfeld verbindet sich die Jugendweihe mit dem Ziel einer atheistischen Erziehung der Jugendlichen, auch wenn man sich weltanschaulich tolerant gibt. Nach wie vor werden dort Kirchen historisch einseitig als Gegner von Naturwissenschaft und Aufklärung dargestellt. Insofern sich mit „Jugendweihe Deutschland“ der größte Jugendweiheanbieter stärker weltanschaulich positioniert als bisher, wird es erforderlich bleiben, die Entwicklung des Rituals aus kirchlicher Sicht kritisch zu beobachten.
Claudia Knepper
Internet
Jugendweihe Deutschland: www.jugendweihe.de
Jugendfeier des Humanistischen Verbands: www.humanismus.de/jugendfeier-jugendweihe
Jugendweihe Berlin / Brandenburg: www.jugendweihe-berlin-brandenburg.de
Jugendweihe und Jugendfeier der Freidenker: www.freidenker.org
Literatur
Döhnert, Albrecht, Jugendweihe zwischen Familie, Politik und Religion. Studien zum Fortbestand der Jugendweihe nach 1989 und die Konfirmationspraxis der Kirchen, Leipzig 2000
Gandow, Thomas, Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier, München 1994
Gesellschaft zur Förderung vergleichender Staat-Kirche-Forschung (Hg.), Jugendweihe – ein Ritual im Wandel der politischen Systeme, Berlin 2004
Liepold, Rainer, Die Teilnahme an der Konfirmation bzw. Jugendweihe als Indikator für die Religiosität von Jugendlichen aus Vorpommern, Frankfurt a. M. 2000
Neubert, Ehrhart, Die postkommunistische Jugendweihe – Herausforderung für kirchliches Handeln, in: Zur Konfessionslosigkeit in (Ost-)Deutschland. Ein Werkstattbericht, Begegnungen 4/5, hg. von der Studien- und Begegnungsstätte Berlin der EKD, Berlin 1994
Quellen
Jugendweihe Deutschland (Hg.), Der Große Jugendweihe Almanach. Mit Tipps für die aktive Freizeit, Gütersloh 2003-2005
Jugendweihe Deutschland (Hg.), Weltanschauung – Jugend verändert die Welt, Berlin 2009
Stiftung „Geistesfreiheit“ (Hg.), Freier Blick. Blätter für die Jugend zu Fragen unserer Zeit, Hamburg 2008 (online abrufbar unter www.freier-blick.de)