Karim Aga Khan IV. - religiöses Oberhaupt und Mäzen für Kunst und Kultur
Vom 17. März bis zum 6. Juni 2010 konnte man in der Ausstellung „Schätze des Aga Khan Museums – Meisterwerke islamischer Kunst“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin mehr als 200 Meisterwerke bewundern, die 1000 Jahre islamische Kulturgeschichte dokumentieren. Sie sind Teil der überragenden Kunstsammlung von Karim Aga Khan IV., die ab 2013 in einem eigenen Museum in Toronto Platz finden wird.
Karim Aga Khan IV. entstammt der geschichtsträchtigen Gemeinschaft der Ismailiten und wird von ihnen als Imam, also als Oberhaupt einer langwährenden religiösen Tradition und als direkter Nachkomme des Propheten Mohammed, verehrt. Heute werden die Ismailiten auf ca. 20 Millionen geschätzt, die auf 25 Länder verteilt sind. Karim Aga Kahn IV. wurde am 11. Juli 1957 im Alter von 20 Jahren nach dem Tod seines Großvaters zum 49. Imam der Ismailiten ernannt und bekam im selben Jahr von der Königin von England den Titel „His Highness“ verliehen.
Es gelang ihm, ein komplexes Verwaltungssystem der ismailitischen Gemeinschaft zu formen und ihr Vermögen um ein Vielfaches zu vermehren. Heute zählt er zu den reichsten Menschen der Welt. Damit eifert er seinem Großvater, dem 48. Imam, nach, der in Europa schon zu gesellschaftlicher Prominenz gelangt war und eine progressive Politik verfolgt hatte. Er legte sehr viel Wert darauf, seine Anhänger zu „gesellschaftlicher Mobilität und zum Erwerb von höherer Bildung aufzurufen“ und soziale Projekte zu entwickeln (Heinz Halm, Die Schia, Darmstadt 1988, 231f).
So blieb Aga Khan IV. ganz in der Spur seines Vorgängers, als er 1967 das „Aga Khan Development Network“ (AKDN) gründete, eine der weltweit größten privaten Entwicklungsorganisationen. Die Finanzierung dieser Organisation besteht zu großen Teilen aus einer Art „Kirchensteuer“, die die Mitglieder mit einem Zehntel ihres Einkommens in die Aga Khan Stiftung einzahlen, sowie aus Spenden privater und staatlicher Kassen. Gegründet wurde dieses Netzwerk zunächst zur Unterstützung von Ismailiten in Krisenregionen. Heutzutage richten sich die Projekte an alle Menschen, gleich welchen religiösen oder ethnischen Hintergrundes. Jedoch sagt das AKDN von sich selbst, dass es „das zeitgenössische Bestreben der ismailitischen Gemeinde widerspiegelt, das soziale Gewissen des Islam durch einheitliches Handeln zu realisieren“ (www.akdn.org/about_akdn.asp).
Bei den Ismailiten handelt es sich um die zweitgrößte Gruppe der Schia. Nach Mohammeds Tod am 8. Juni 632 war die Frage seiner Nachfolge ungeklärt. Die muslimische Gemeinschaft Medinas setzte Abu Bakr als 1. Kalifen ein. Es folgten Umar als 2. und Uthman (Osman) als 3. Kalif. Schon zu dieser Zeit gab es eine Gruppe, die Partei Alis (schiat Ali), die von Anfang an nicht Abu Bakr, sondern Ali, den Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, für den rechtmäßigen Kalifen gehalten hatte. Dieser wurde allerdings erst zum 4. Kalifen erhoben. So vollzog sich durch die Frage der Nachfolge Mohammeds die erste große Spaltung der Muslime, nämlich in die Anhänger der vier „rechtgeleiteten Kalifen“, die Sunniten, und die Schiiten, die erst Ali als den 1. Kalifen und Imam anerkannten. Aber auch innerhalb der Schia gab es weitere Spaltungen, die sich aufgrund verschiedener Auffassungen über die Abfolge der weiteren Imame ergaben.
Eine dieser Spaltungen brachte die Ismailiten oder auch Siebener-Schia hervor, deren 49. Imam Aga Kahn IV. ist. Diese Glaubensrichtung unterscheidet sich von der zahlenmäßig ungleich größeren, von der religiösen Herrschaft im Iran her bekannten Zwölfer-Schia darin, dass sie erstens Ali eine Sonderrolle zukommen lässt und erst seinen Nachfolger Hasan als den 1. Imam betrachtet und zweitens die Bestimmung des 7. bzw. 6. Imams anders vornimmt. Entgegen der Lehrmeinung der Zwölfer-Schia erkennen die Ismailiten nach dem gewöhnlich als 6. Imam gezählten Dscha’far as-Sadik (gest. 765) nicht dessen Sohn Musa, sondern seinen Bruder Ismail als den nächsten Imam an. Die ursprüngliche Grundlage der Lehre bestand danach im sogenannten Ghaiba-Modell, das die Entrückung und zeitliche Verborgenheit des Ismailsohnes Mohammed annahm und seine Wiederkunft erwartete. Die Geschicke der Ismailiten wurden zu dieser Zeit von den sogenannten Großmeistern als den Vertretern des Imams gesteuert. 899 traten die ismailitischen Fatimiden mit dem Anspruch auf, selbst den Imam zu stellen. Es vollzog sich ein Wandel vom Ghaiba-Modell wiederum hin zur Anerkennung leibhaftiger Imame. Die Fatimiden setzten sich als Anführer der Ismailiten durch und schmückten sich ab 910 mit dem Kalifentitel. Als die „Dynastie der Wahrheit“, wie sie sich selbst bezeichneten, etablierten sie seit 973 von Kairo aus eine einflussreiche Herrschaft, die erst 1171 ihr Ende fand. Der Titel „Aga Khan“ wurde dem 46. Imam in den 1830er Jahren vom persischen Schah verliehen.
Karim Aga Khan IV. ist also Teil einer langen und bedeutsamen religiösen Tradition. Er versucht einen Dialog zwischen der muslimischen und der westlichen Welt herzustellen und ist ein häufiger Ansprechpartner für Politiker und Presse. Als Imam der Ismailiten, die heute als muslimische und auch schiitische Minderheit relativ unbedeutend geworden sind, scheint allerdings seine Autorität als Mittler und Sprachrohr für den (mehrheitlich sunnitisch geprägten) Islam insgesamt eher begrenzt zu sein. Das könnte ein möglicher Grund sein, warum Karim Aga Khan IV. trotz umfassender Bildung, trotz seiner Präsenz in Politik und Gesellschaft sowie moderner, liberaler Einstellung doch – statt durch politische Signale – eher durch Schlagzeilen in der Boulevardpresse oder durch wunderbare Kunstschätze auffällt, die die Vielfalt und die Kunstfertigkeit der islamischen Kultur(en) vom spanischen Westen bis zum Pazifik eindrucksvoll vor Augen führen.
Nora Meyer, Emden