Harald Baer

„Katholischer“ Exorzismus am Beispiel von Rufus Pereira

Pater Pereiras Tätigkeitsbereiche

Pater Dr. Rufus Pereira spielt als Mitglied der „International Catholic Charismatic Renewal Services“ (ICCRS) für die Expansion der Charismatischen Erneuerung (CE) seit 1972 in Indien eine große Rolle. Von seinem Dienstsitz in Mumbai (Bombay) aus hat sich die ICCRS gewissermaßen über den Subkontinent verbreitet. P. Pereira ist im Rahmen seiner Tätigkeit für die Charismatische Erneuerung verantwortlich für „Heilung und Befreiung“, und zwar in leitender Stellung. „Heilung“ muss im charismatischen Kontext im Zusammenhang mit „Befreiung“ gesehen werden, was nichts anderes bedeutet, als dass die Kranken letztlich von dämonischen Bindungen (Besessenheit und Umsessenheit) befreit werden müssen. Pereira ist seit 1994 Vizepräsident der 1993 gegründeten „Internationalen Exorzistenvereinigung“ (AIE) und außerdem Präsident der Schwesterorganisation „Internationale Vereinigung für den Befreiungsdienst“ (IAD). Beide Organisationen wurden gegründet, um zukünftige Exorzisten für die geistliche Kriegsführung zu rekrutieren. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass in der IAD auch Laien als Hilfskräfte der Exorzisten tätig sein können. Pereira hält weltweit Vorträge, organisiert Tagungen, Konferenzen und Exerzitien. Präsident der AIE ist seit 2002 Giancarlo Gramolazza, zuvor war es der bekannte Gabriele Amorth.

Dämonologie in der Charismatischen Bewegung

In der charismatischen Literatur hat die Beschreibung der Anzeichen für dämonische Besessenheit große Bedeutung. Dazu werden unterschiedliche Formen psychischer oder physischer Abhängigkeiten gezählt, z. B. Alkoholismus, Drogenkonsum, Ess- und Magersucht. Nicht nur Onanie, Ehebruch und Homosexualität, sondern auch eine liberale Einstellung gegenüber anderen theologischen Positionen und Religionen werden als das Werk Satans angesehen. Entsprechend dieser Vorgaben hält der charismatische Autor Derek Prince fest: „Es gibt keine falsche Religion, die nicht einen Dämon hätte.“1 Zur Taktik des Teufels gehört es angeblich auch, die Menschen durch Sekten, östlichen Mystizismus und Opposition gegen die geistliche Erneuerung zu verwirren. Okkulte Betätigung, die sehr weit gefasst wird und sich bereits vor Generationen abgespielt haben kann, wird als Einfallstor für Dämonen angesehen. Negative Emotionen wie Angst, Zorn und Depression gelten als Symptome der Besessenheit.

Mit der Phänomenologie überschneidet sich die Ursachenzuschreibung in den radikaleren charismatischen Gruppen und grenzt sich damit gegen die klassischen Vorstellungen der katholischen Tradition des Rituale Romanum ab. Dort wurde Besessenheit immer als seltener Ausnahmezustand beschrieben. In Deutschland wurde die Ausübung der Praxis des Großen Exorzismus nach dem tragischen Tod der Studentin Anneliese Michel in Klingenberg (vgl. MD 7/2006, 253ff) besonders streng an die Zustimmung des jeweiligen Ortsbischofs gebunden. Seit 1976, dem Todesjahr von Anneliese Michel, hat außer in den Diözesen Paderborn und Augsburg2 kein deutscher Ortsbischof die Erlaubnis für die Durchführung eines Großen Exorzismus gegeben. Die traditionelle Theologie hat ihn strikt eingegrenzt auf Fälle, die psychologisch und medizinisch nicht mehr erklärbar sind und sich an der paranormalen Kriteriologie des Rituale Romanum orientiert: das Sprechen nicht erlernter Sprachen, das Verfügen über außergewöhnliche körperliche Kräfte, das Erkennen verborgener Dinge – Bedingungen, die extrem selten anzutreffen sind. Anders in der charismatischen Bewegung: Die Diagnostik der dämonischen Besessenheit wurde so niedrigschwellig wie möglich konzipiert und damit die Notwendigkeit des exorzistischen Eingreifens quasi überall und zu jeder Zeit legitimiert. Nach der charismatischen Symptomatik ist nahezu jeder ein potenziell Besessener. Dadurch wird der Kampf mit den Dämonen zum Normalfall.

Besessenheit aus der Sicht Pater Pereiras

Die Aussagen der vatikanischen „Kongregation für die Glaubenslehre“ zur Dämonologie und zum eingeschränkten Stellenwert exorzistischer Praktiken in der Gegenwart sind Pereira bekannt, wenn er einen Text der Kongregation zitiert: „In unseren Tagen ist der charakteristische Dienst des Exorzisten zwar nicht gänzlich abgeschafft, aber nur noch ein sehr gelegentlich ausgeübter Dienst und darf tatsächlich nur auf Verlangen des Bischofs ausgeübt werden.“3 Diese einschränkenden Feststellungen der Glaubenskongregation sind für Pereira aber nicht etwa Anlass zur Zurückhaltung, sondern vielmehr Aufforderung zu verstärktem Engagement. Der Schriftvers „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter“ (Lk 10,2) dient als Beleg für seine Einstellung, dass die Tätigkeit der Exorzisten unter den gegeben Umständen umso dringender erforderlich ist.

Die oben erwähnte charismatische Symptomatik für dämonische Besessenheit taucht auch in den Schriften Pater Pereiras auf, ergänzt um einige Details. Da Pereira in Indien beheimatet ist, steht die Auseinandersetzung mit dem Hinduismus im Zentrum vielfältiger Aktivitäten, „denn die indischen Teufel sind anders als amerikanische, sind andere Persönlichkeiten“4. Er exorzierte Menschen, die Hindu-Tempel betreten, Hindu-Gebete rezitiert oder von Hindupriestern geweihte Speise (prasadam) gegessen hatten, da sie angeblich von Götzen wie Kali, Ganesh, Shiva oder Krishna besessen waren.5 Menschen, die die Sanskrit-Silbe OM aussprachen, wurden exorziert, weil sie ebenfalls als besessen galten. Da der sog. kosmische Ur-Laut OM auch in den Novus Ordo der „Indian Rite Mass“ integriert wurde, kann dieser Exorzismus als Abwehrhaltung gegenüber Inkulturationsbemühungen der indischen Kirche in einer religionspluralistischen Welt verstanden werden.

Immer wieder komme es vor, erzählt Pater Pereira, dass körperliche Erkrankungen und psychische Störungen, unter denen Familien leiden, „von der Belastung durch eine bekannte weibliche dämonische Gottheit her(rührten), deren Hoherpriester die heidnischen Vorfahren der Familie gewesen waren“. Anhänger des indischen Gurus Sai Baba, die seit ihrer Mitgliedschaft in der Gurubewegung unter Kopfschmerz litten, seien nach Pereiras exorzistischen Gebeten schlagartig von ihren Schmerzen befreit worden. Emotionale Probleme wie Ängste oder Schmerzen könnten Menschen anfällig für dämonische Attacken machen. Es habe Fälle gegeben, bei denen alle physiologischen und psychologischen Faktoren als Ursache von Kopfschmerzen ausgeschlossen werden konnten: „Die Ursache war hundertprozentig eine diabolische.“6 Der Sicherheit der Diagnose entspricht die Gewissheit der Therapie.

Leider reiche die sofortige vollkommene Befreiung nicht aus. „Warum? Weil möglicherweise nicht alle Türen ihres Lebens, die durch die dämonischen Angriffe aufgetan waren, bereits wieder geschlossen waren. Außerdem muss man sicher sein – Jesus sagt das im Lukasevangelium – dass der ausgetriebene Geist nicht mehr zurückkommt.“7 Daher sei ein gestuftes und systematisches Programm erforderlich, um die bösen Mächte endgültig zu vertreiben. Bei geringeren Schwierigkeiten würden Gebete von wenigen Minuten helfen, für lang andauernde Probleme benötige man eine besondere Heilungsmesse und in hartnäckigen Fällen müssten sich die Besessenen tagelangen „Exerzitien der inneren Heilung“ unterziehen. Dabei könne es zu regelrechten Ringkämpfen kommen, wenn der Böse dem Exorzisten Obszönitäten ins Gesicht schleudert und sich das Gesicht des Besessenen zu einer teuflischen Fratze verzieht. Die wirkungsvollste Hilfe im Rahmen des imprekativen Exorzismus sei der Übergang ins „Zungengebet“, eine charismatische Technik, die über die Glossolalie Zugang zu den Charismen der Erkenntnis und Kraft sucht.

Resümee

Pater Pereira ist ein aktiver Geistlicher, dessen Weltbild von den Grundsätzen charismatischer Theologie und damit Dämonologie geprägt ist. Das kann zu einer verzerrten Wahrnehmung auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit führen. Wenn er behauptet, „dass der Satanismus den Kommunismus in seiner Rolle als Plage für das christliche Europa von heute abgelöst hat“8, bleibt er selbst bei einer noch so weiten Definition von Satanismus, unter den z. B. auch „die“ Freimaurerei fällt, jeden empirischen Beweis schuldig.

Welche katastrophalen Auswirkungen seine Einschätzung des Hinduismus als teuflischer Götzendienst für den interreligiösen Dialog gerade in Indien haben muss, ist evident. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, insbesondere der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, ist Pereiras Haltung völlig unvereinbar. Denn laut „Nostra Aetate“ anerkennt die katholische Kirche die religiöse Erfahrung der verschiedenen Völker und „lehnt nichts ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“. Weiter heißt es dort: „So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck und suchen durch asketische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit unserer Lage.“9 Ist ein größerer Kontrast denkbar als der zwischen dem wertschätzenden Konzilstext und dem Urteil, im Hinduismus würden sich indische Teufel austoben?

Pereira hat die Absicht, Menschen zu helfen, die unter starkem Leidensdruck stehen. Die Mittel und Methoden, die dabei zur Verwendung kommen, sind allerdings hochproblematisch und umstritten, weil es bei entsprechend disponierten Kranken zu einer Zementierung der Symptomatik kommen kann. Ein im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zum Fall der Anneliese Michel erstelltes Gutachten konstatiert: „‚Besessenheit’ und Großer Exorzismus seien geeignet ... Krankheiten ... zu verdecken, zu verstärken und zu perpetuieren und damit ... eine mögliche Heilung zu erschweren oder gar auszuschließen.“10

Selbst in der Szene des Befreiungsdienstes ist nicht verborgen geblieben, dass es Geistliche gibt, die geradezu besessen sind von der Aufgabe, „Besessene“ zu heilen. Pater Jörg Müller SAC kommt zu der folgenden kritischen Einschätzung: „Es herrscht die Meinung vor, alle aus dem heidnischen Raum stammenden Heil- und Meditationsverfahren seien abzulehnen, weil sie durchtränkt sind mit Selbsterlösungsideen, Anrufungen von Geistern oder unmittelbaren dämonischen Einflüssen. Das Kausaldenken ist dabei sehr schlicht. Weil jemand nach Behandlung mit Akupunktur oder durch den Kontakt mit einem Arzt, der pendelt, negative Empfindungen verspürt, liegt eine okkulte / dämonische Belastung vor. Hier preschen in den letzten Jahren vor allem einige indische Missionare vor, die in deutschen Gemeinden mehr Verwirrung stiften als Klarheit.“11 Es ist sicher nicht unangebracht, die von Müller diagnostizierte pauschale Diffamierung und Dämonisierung hinduistischer Kultur und alternativer Therapien durch Missionare aus Indien auch auf Pater Pareira zu beziehen.

Den Mitgliedern der AIE und der IAD ist die Brisanz ihrer exorzistischen Aktivitäten durchaus bewusst. Um den bösen Feind zu überlisten, der angeblich überall – auch in der Kirche – lauert und der sich nicht zuletzt der säkularen Medien bedient, wurden Strategien der Verschleierung entwickelt. In einem vertraulichen Schreiben der Internationalen Exorzisten, das unserer Dienststelle vorliegt, wurde eine Konferenz für den Befreiungsdienst „wie üblich, als Priestertreffen bezeichnet ... um nicht unnötigerweise Aufsehen bei der Presse zu erregen“. Auch Rufus Pereira bietet Ordinariaten in Deutschland besondere Liturgien an. Es ist damit zu rechnen, dass die von ihm avisierten „Heilungs- und Segnungsgottesdienste“ ein euphemistisches Etikett sind, um die mit dem Exorzismus verbundenen Risiken zu verharmlosen.


Harald Baer, Hamm


Anmerkungen

1 Informationsblatt, hg. von der Evangelischen Orientierungsstelle „Kirche, Sondergruppen, religiöse Bewegungen“ in Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Arbeitsgruppe „Neue religiöse Bewegungen in der Schweiz“, Dezember 1996, Nr. 4, 43.

2 Teufelsaustreibungen in Paderborn und Augsburg, www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/20/175492/print.html, 20.5.2008.

3 Christlicher Glaube und Dämonologie, Eine von einem Experten im Auftrag der Kongregation für die Glaubenslehre erstellte Studie, 26.6.1975, Trier 1977, zitiert in: Rufus Pereira, Exorzismus und Befreiung im Dienst der Heilung, der Versöhnung und des neuen Lebens, Internationales Colloquium über Heilungsdienst und Charismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche, veranstaltet vom Päpstlichen Rat für die Laien in Zusammenarbeit mit den International Catholic Charismatic Renewal Services (ICCRS), Rom, 10.-13.11.2001, 2.

4 Internationale Vereinigung für den Befreiungsdienst. Deutsche Sprachgruppe, Rundbrief Nr. 15, März 2006, 29.

5 Vgl. www.sspxasia.com/Newsletters/2003/Jul-Dec/Hinduism_at_a_Glance.htm, 21.2.2008.

6 Rundbrief Nr. 15, a.a.O., 25.

7 Ebd.

8 R. Pareira, Exorzismus und Befreiung, a.a.O., 2.

9 Karl Rahner / Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg i. Br. 1966, 356.

10 Johannes Mischo / Ulrich Niemann SJ, Die Besessenheit der Anneleise Michel / Klingenberg in interdisziplinärer Sicht, zitiert in: Felicitas Goodman, Anneliese Michel und ihre Dämonen, Stein am Rhein 2004, 325.

11 Jörg Müller, Die infantile Gesellschaft, Kiel 2007, zitiert in: Rundbrief für charismatische Erneuerung in der katholischen Kirche, März 2008, 32, Hervorhebung H. B.