Keine Streitzeit mit AfD-Repräsentanten beim Kirchentag in Dortmund 2019

Mit Blick auf die Gründungsidee des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) sei „in der Frage der AfD Deutlichkeit geboten“. Es gebe „mittlerweile in der AfD einen fließenden Übergang zum Rechtsextremismus“.1

Mit diesen Worten begründete das Präsidium des DEKT im September 2018 seine Entscheidung, AfD-Politikerinnen und Politiker von einer Teilnahme an Podien und Diskussionsveranstaltungen beim Kirchentag in Dortmund 2019 auszuschließen. In geheimer Sitzung wurde der Beschluss gefasst. Gleichzeitig wurde gesagt, dass Wähler und Sympathisanten der Partei zur Teilnahme eingeladen seien. Die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus soll stattfinden, sie soll ein zentrales Thema sein, aber ohne authentische Vertreterinnen und Vertreter.

Die vom Kirchentag herausgegebene Meldung, dass damit die bisherige Haltung im Umgang mit dem Rechtspopulismus bestätigt werde, trifft in der Sache nur teilweise zu. Denn 2016 hatte sich der DEKT dazu entschlossen, einem Streitgespräch zwischen dem Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Markus Dröge, und der damaligen Vorsitzenden der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“, Anette Schultner, Raum zu geben. Die Auseinandersetzung war heftig und emotional. „Streitzeit“ hieß die Veranstaltungsreihe im Zentrum Weltanschauungen im Mai 2017 in der Sophienkirche in Berlin-Mitte, das von der EZW und Beauftragten für Weltanschauungsfragen vorbereitet und durchgeführt wurde. Der inszenierte Streit zum Thema „Christen in der AfD?“ fand größte mediale Aufmerksamkeit und wurde als vorbildliche und weiterführende Veranstaltung im Kirchentagsgeschehen gewürdigt. Im Austausch der Argumente wurde deutlich, wie wenig die AfD zu den politischen Gegenwartsfragen beizutragen hat. Im Vorfeld war versucht worden, die Veranstaltung zu verhindern, ohne Erfolg. In einer Publikation des Journalisten Wolfgang Thielmann ist der Gesprächsgang dokumentiert worden.

Die jetzige Entscheidung des Kirchentags stellt meines Erachtens einen Schritt zurück dar. Der Kirchentag rühmt sich, ein Ort zu sein, an dem mit Respekt und Toleranz unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen können. Seinen eigenen Grundsatz, dass niemand wegen seines Parteibuches ein- oder ausgeladen werden solle, stellt er mit dieser Entscheidung infrage. Deutliche Abgrenzungen gegenüber der AfD sind fraglos nötig. Eine öffentliche Propaganda von Feindbildern und Ressentiments darf nicht sein. Eine argumentative Bloßstellung des Rechtspopulismus ist möglich, wenn Begegnung als Auseinandersetzung stattfindet. Die diskursive Ausgrenzung der AfD ist gescheitert, wenn die Partei in allen Landesparlamenten und im Deutschen Bundestag präsent ist. Die Strategie der „Dethematisierung“ (Jürgen Habermas) ist im Umgang mit dem Rechtspopulismus keine Option mehr.

Die Ratlosigkeit im Umgang mit der AfD ist in Politik, Kirche und Gesellschaft groß. Es muss alles getan werden, um der AfD etwas entgegenzusetzen. Die Präsenz des anderen macht jeden Streit anstrengender, jede Auseinandersetzung anspruchsvoller. Podien dürfen fraglos nicht für fremdenfeindliche Propaganda genutzt werden. Das lässt sich jedoch verhindern, wie sowohl der DEKT 2017 als auch der Katholikentag 2018 gezeigt haben. Es sind populistische Muster, die in Rhetorik und politischer Entscheidung von Exklusion bestimmt sind. Die christlichen Kirchen haben die Freiheit, auf Ausgrenzung nicht mit Ausgrenzung reagieren zu müssen. Sie sollten der Auseinandersetzung mit Populisten nicht pauschal ausweichen. Grenzen der Auseinandersetzung müssen dort markiert werden, wo Populismus zum Extremismus wird, wo demokratische Prinzipien angegriffen und Gewaltaktionen legitimiert werden.

Kritisch zu fragen ist, ob selbstauferlegte Diskursbegrenzungen demokratische Kulturen, fördern. können. Gestärkt werden müssen die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger und ihre Fähigkeit, Vorurteile zu entlarven und sich aufklärend in kontroversen Diskursen zu artikulieren. Demokratie lebt vom Streit, für den Räume und Zeiten geschaffen werden müssen. Darauf hat mit Recht die Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem wichtigen Orientierungstext „Konsens und Konflikt“ 2017 hingewiesen. Heute besteht die Gefahr, dass notwendige Auseinandersetzungen nicht stattfinden, wenn und weil die politische Meinungsbildung hauptsächlich in „positionell homogenen Teilöffentlichkeiten“ („Echokammern“ oder „separierten Wirklichkeiten“) stattfindet. Dem Populismus muss mit Argumenten für eine bessere Politik begegnet werden. Seine Entzauberung geschieht im offenen Streit mit authentischen Repräsentanten. Dazu wird es im nächsten Jahr in Dortmund voraussichtlich keine Gelegenheit geben.


Reinhard Hempelmann


Anmerkung

1  www.kirchentag.de/service/meldungen/dortmund/september_2018/kirchentag_setzt_ein_zeichen.html.