„Kirche“ohne Gott: Interesse an der Sunday Assembly schwindet
(Letzte Berichte: 4/2015, 141-143; 144f) „Die Sunday Assembly Hamburg macht Winterschlaf. Das Orga Team hat derzeit keine Möglichkeiten zur Vorbereitung und das Interesse war in der letzten Zeit zu gering.“ Mit dieser kurzen Notiz auf der Homepage wurde die Einstellung der monatlichen Treffen in Hamburg bekanntgegeben.
Bereits zur Jahreswende 2015/2016 hatte sich die anfangs vom Humanistischen Verband Deutschlands unterstützte Berliner Sunday Assembly aufgelöst. Nunmehr wird allein noch in München eine monatliche Assembly durchgeführt; hier begannen die Versammlungen im Juni 2017. Beworben werden die dortigen Veranstaltungen durch den Bund für Geistesfreiheit München, dessen Vorsitzender zugleich Mitinitiator der dortigen Assembly ist, und durch unregelmäßige Artikel im Humanistischen Pressedienst. Zudem nahm der Münchener Assembly-Ableger neben anderen humanistischen und atheistischen Organisationen (u. a. Giordano-Bruno-Stiftung, Humanistischer Verband Deutschlands, Humanistische Hochschulgruppe, Bund für Geistesfreiheit München) im Mai 2018 am Schwabinger Straßenfest „Corso Leopold“ teil.
Die Initiative für die Sunday Assemblies ging im Jahr 2013 von den beiden britischen Komikern Pippa Evans und Sanderson Jones aus. Unter dem Motto „Live better. Help often. Wonder more. Yeah!“ (Lebe besser, hilf öfter, staune mehr bzw. mach dir mehr Gedanken) führten sie in einer profanierten Kirche im Nord-Londoner Stadtteil Islington eine erste Assembly als „eine Art nicht-religiöser Gottesdienst“ durch. Zunächst in Großbritannien, den USA und Australien und dann auch in anderen Ländern fanden sich Interessierte und begannen, Sunday Assemblies zu organisieren. Um bei der Londoner „Mutter“-Assembly registriert zu werden, muss sich eine neue Assembly an einer Charta (www.sundayassembly.com/story) orientieren und – zumindest für die erste Zeit – Vorgaben für den Ablauf der Veranstaltungen einhalten.
Begleitet von großem Medienecho fanden sich 2014 auch in Deutschland erste Interessierte zusammen und begannen in Berlin und Hamburg mit regelmäßigen Versammlungen. Doch die bei den Startup-Veranstaltungen recht hohen Besucherzahlen vom September 2014 (Berlin 150 Besucher, Hamburg 80 Besucher) gingen rasch zurück. So wurden im November 2014 bei meinem Besuch der Hamburger Assembly rund 40 Gäste begrüßt, im Frühsommer 2015 nahmen nur noch etwa 25 an der Versammlung teil.
In Hamburg hatten sich die Initiatoren, die die Assembly 2014 mit großem zeitlichem und ideellem Engagement ins Leben gerufen hatten, schon 2016 zurückgezogen und die Verantwortung in andere Hände gelegt. In der Folgezeit nahmen die ohnehin überschaubaren Teilnehmerzahlen weiter ab. Auf telefonische Nachfrage erhielt ich die Auskunft, neben geringer werdendem Interesse und disparaten Erwartungshaltungen habe auch eine erhebliche Fluktuation dazu geführt, dass sich Gemeinschaftserfahrungen nicht verstetigen ließen. So stand aus Sicht der Veranstalter der zeitliche Aufwand für die Durchführung einer Assembly in einem erheblichen Missverhältnis zur Resonanz und zum inhaltlichen Ertrag. Zudem würden einzelne Programmteile einer Assembly (z. B. Musik oder Vorträge) anderswo in einer besseren Qualität angeboten.
Auf der Homepage der Londoner Initiatoren sind 92 Städte (Stand Oktober 2018) angegeben, in denen sich Sunday Assemblies treffen würden – 48 in den USA, 26 in Großbritannien, zehn im restlichen Europa, sechs in Australien, eine in Neuseeland und eine in Südafrika. Allerdings sind nicht nur die zwischenzeitlich aufgelöste Berliner und die „im Winterschlaf“ liegende Hamburger Assembly, sondern auch eine große Zahl anderer Assemblies aufgeführt, deren letzte Aktivitäten zwei Jahre oder länger zurückliegen. So gilt nicht nur für die beiden eingestellten deutschen Assemblies, was die Organisatoren der Oxforder Sunday Assembly Ende 2015 schrieben: „However, the services required a lot of planning and participation and, as with many other local chapters throughout the world, most of the initial commitment slowly drifted away, leaving all the responsibilities in very few hands.“
Allerdings dürften nicht nur organisatorische Gründe vielen Sunday Assemblies den Garaus gemacht haben. Ganz offensichtlich trugen auch divergierende inhaltliche Besucher-Erwartungen erheblich dazu bei, dass der „liturgische“ Rahmen angesichts eines breiten Themenspektrums (in Hamburg u. a.: Logik – Logische Fehlschlüsse, Helfen macht happy, Feiern und Rituale, Tugenden für die Moderne, Lebensrettende Sofortmaßnahmen) keine auf Dauer tragfähigen, von einem größeren Kreis akzeptierten Gemeinschaftserfahrungen eröffnete. Auch hatten die Besucher nach meinen Beobachtungen sehr unterschiedliche Motive, an einer Sunday Assembly teilzunehmen. So gab es Interessierte, die eine singende, fröhliche Gemeinschaft und soziale Kontakte suchten. Andere kamen aus eher antireligiösem bzw. antikirchlichem Affekt, um mit anderen szientistische Weltdeutungsmodelle zu thematisieren. Und einige nahmen in Hamburg an den Veranstaltungen teil, weil sie als Bewohner des dem linksalternativen Milieu zuzurechnenden Hamburger Schanzenviertels an gesellschaftspolitischen Themen interessiert waren und hofften, Gleichgesinnte zu treffen.
In der Entwicklung der Sunday Assemblies in Deutschland spiegelt sich wider, was insgesamt bei den humanistischen und atheistischen Organisationen zu beobachten ist: Die in Teilen der Bevölkerung zunehmend verbreitete, oftmals ebenso selbstverständliche wie unreflektierte Distanz gegenüber allen Formen organisierter Religiosität führt bei den allermeisten nicht zur aktiven Partizipation bei humanistisch-atheistisch geprägten Angeboten oder Organisationen. Und die Einstellung der beiden Assemblies in Berlin und Hamburg lässt den Schluss zu, dass zumindest in Deutschland auch kaum das Bedürfnis an „liturgisch“ geprägten, Kontingenzbewältigung eröffnenden und Gemeinschaft stiftenden Angeboten jenseits von Kirchen und Religionsgemeinschaften besteht.
Jörg Pegelow, Hamburg