Edgar Wunder

Kirchentage als antiklerikaler Mobilisierungsanlass

Kommt es zum Bürgerentscheid über die Finanzierung des Evangelischen Kirchentags 2027 in Düsseldorf?

Der „Düsseldorfer Aufklärungsdienst“, eine Ortsgruppe der dem aggressiveren Teil des organisierten Atheismus zuzuordnenden Giordano-Bruno-Stiftung, hat am 7. Oktober 2022 mit der Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Düsseldorfer Stadtrats vom 23. Juni 2022 begonnen, der dem für das Jahr 2027 geplanten Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf eine kommunale Förderung in Höhe von 5,8 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat. Sollten mindestens 14 116 stimmberechtigte DüsseldorferInnen unterzeichnen (und sind auch andere formale Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Bürgerbegehren erfüllt), kann es im Jahr 2023 erstmals zu einem Bürgerentscheid über die Finanzierung eines Kirchentages kommen.1  Die vorausgehenden Aktivitäten des „Aufklärungsdienstes“, der sich als eine „Aktionsplattform und Interessensvertretung der wachsenden Zahl von Bürgerinnen und Bürgern [versteht], die sich entschieden für eine rationale Leitkultur einsetzen und den irrationalen Einfluss von Religionen und Esoterik auf das Zusammenleben kritisieren“, hatten bereits bewirkt, dass der Stadtrat seine Entscheidung zur finanziellen Förderung des Kirchentags am 23. Juni nach kontroverser Diskussion nur mehrheitlich mit 48 Ja-Stimmen, 17 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen fällte.2

Kampagnen der Giordano-Bruno-Stiftung gegen die kommunale Mitfinanzierung von Kirchentagen gehören seit dem Regensburger Katholikentag 2014 zu jedem Kirchentag genauso dazu wie die seit langem übliche finanzielle Beteiligung der Kommunen. Für die Giordano-Bruno-Stiftung koordiniert werden sie von dem Schreinermeister David Farago in Augsburg.3  Häufigste Aktionsform ist das Demonstrieren mit auffälligen Großplastiken in den Innenstädten der geplanten Veranstaltungsorte der Kirchentage, z. B. mit einer drei Meter hohen, grimmig dreinblickenden, an einen Troll erinnernden Figur, die angeblich Moses darstellen soll und die als „11. Gebot“ verkündet: „Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!“4

Die Nutzung des direktdemokratischen Instruments Bürgerbegehren durch die Giordano-Bruno-Stiftung bei ihrem Kampf gegen Kirchentage war bislang die Ausnahme – und noch nie erfolgreich. Im Vorfeld des Katholikentages 2016 in Leipzig wurde im September 2014 erstmals mit einer Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren gegen die städtische Mitfinanzierung begonnen. Allerdings wurde es nie eingereicht, weil die dafür in Leipzig notwendigen gut 18 000 Unterschriften nicht zusammenkamen. Ähnliches geschah 2018 in Erfurt. Auch dort kamen die hier notwendigen 7000 Unterschriften für das Bürgerbegehren gegen die kommunale Mitfinanzierung des Katholikentages 2024 nicht zustande, sodass die Einreichung trotz Ankündigung und Anmeldung unterblieb. Wie viele Unterschriften tatsächlich gesammelt werden konnten, wurde in beiden Fällen nicht öffentlich kommuniziert.5

Hohe Hürden für Bürgerbegehren

Der nun in Düsseldorf unternommene nächste Versuch, das Instrument Bürgerbegehren gegen einen Kirchentag in Stellung zu bringen, erscheint wenig aussichtsreich, wirft man einen Blick in die Statistik aller bisherigen Düsseldorfer Bürgerbegehren. Seit der Einführung dieser direktdemokratischen Option in Nordrhein-Westfalen 1995 wurden in der Landeshauptstadt bis heute insgesamt 16 Bürgerbegehren initiiert.6  Vier davon kamen über die Phase der Ankündigung kaum hinaus, acht scheiterten, weil trotz erheblicher Anstrengungen die notwendige Unterschriftenzahl nicht erreicht werden konnte. Eines erreichte das Unterschriftenquorum, wurde jedoch aus rechtlichen Gründen für unzulässig erklärt. Nur drei Bürgerbegehren führten tatsächlich zu einem Bürgerentscheid, also zu einer kommunalen Volksabstimmung, vergleichbar einer Wahl. Zwei der drei Bürgerentscheide waren jedoch wiederum ungültig bzw. nicht rechtskräftig, weil die Beteiligung zu gering war. Nur ein einziges der 16 Düsseldorfer Bürgergehren führte zu einem gültigen Bürgerentscheid: Am 20. Mai 2021 wurde auf diese Weise ein Stadtratsbeschluss zum Verkauf des Mehrheitsanteils an den Düsseldorfer Stadtwerken aufgehoben und die Privatisierung auf diese Weise verhindert. Von der jetzt angelaufenen Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren gegen den Kirchentag bis zu einem gültigen Bürgerentscheid zur tatsächlichen Aufhebung der finanziellen Zusage der Stadt ist es also noch ein langer, steiniger Weg, denn die Hürden für Bürgerbegehren sind gerade in Nordrhein-Westfalen hoch.

Fragwürdiges Verhalten der Stadtverwaltung

In Zeiten fortschreitender Säkularisierung und hoher Verschuldung der kommunalen Haushalte ist die finanzielle Förderung von Kirchentagen keine Selbstverständlichkeit mehr. Die zivilgesellschaftliche Diskussion dazu muss sachlich geführt werden, und sie ist ein legitimer Gegenstand von Bürgerbegehren. Umso wichtiger ist es, dass ihr nicht ausgewichen wird und trotz polemischer Überspitzungen antikirchlicher Akteure derartigen Bürgerbegehren fair und angemessen begegnet wird.

Leider war die Reaktion der Düsseldorfer Stadtverwaltung in dieser Hinsicht kein Vorbild. Eine Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren kann in Nordrhein-Westfalen erst dann beginnen, wenn auf dem Unterschriftenformular eine „Kostenschätzung“ der Stadtverwaltung eingetragen wird, ob bzw. in welcher Höhe bei einem Erfolg des Bürgerbegehrens eine Mehrbelastung für den städtischen Haushalt entstünde. Im vorliegenden Fall ist diese „Kostenschätzung“ ganz einfach: Würde – wie vom Bürgerbegehren gewünscht – der Stadtratsbeschluss zur Förderung mit 5,8 Millionen Euro aufgehoben, entstünde für die Stadtkasse eine Einsparung in entsprechender Höhe. Eventuell reduzierte Gewerbesteuereinnahmen der Stadt bei einem kompletten Ausfall des Düsseldorfer Kirchentages sind deutlich geringer anzusetzen, sodass insgesamt nicht mit Kosten für die Stadtkasse bei einem Erfolg des Bürgerbegehrens zu rechnen wäre, sondern mit Einsparungen. Angesichts dieser unstrittigen Sachlage hätte nach der bereits am 7. Juli erfolgten offiziellen Anmeldung des Bürgerbegehrens die Stadtverwaltung diese wenig komplexe Information sofort formal bestätigen und damit einen raschen Beginn der Unterschriftensammlung ermöglichen können. Stattdessen ließ die Antwort der Stadtverwaltung fast acht Wochen auf sich warten und war dann – gemessen an den gesetzlichen Vorgaben für die Kostenschätzung zu Bürgerbegehren7  – inhaltlich rechtswidrig und irreführend, da die Stadt nicht ihre eigenen Kosten / Einsparungen kalkuliert hatte, sondern die von Gewerbetreibenden in der gesamten Region. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens mussten sich deshalb im September erst in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf korrekte Angaben erstreiten, bevor sie am 7. Oktober endlich mit der Unterschriftensammlung beginnen konnten.8  Eine solche Taktik des Verzögerns und des Provozierens von Rechtsstreit durch offensichtlich falsche Angaben ist kein korrektes Verhalten einer Stadtverwaltung im Umgang mit einem Bürgerbegehren. Es stößt auch bei Menschen, die dem Kirchentag wohlwollend gegenüberstehen, auf Unverständnis, erzeugt Empörung und erschwert eine Versachlichung.

Möglichkeiten des Umgangs mit dem Bürgerbegehren

Daraufhin beantragte der „Aufklärungsdienst“ Mitte Oktober eine förmliche Feststellung der rechtlichen Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durch den Stadtrat. In Nordrhein-Westfalen muss diese auf Antrag auch dann binnen zwei Monaten erfolgen, wenn die Unterschriftensammlung noch nicht abgeschlossen ist. Die Frist für die Sammlung zum Erreichen des notwendigen Quorums von 14 116 gültigen Unterschriften endet erst später, im Januar oder Februar 2023 (in Abhängigkeit davon, wann der Stadtrat die Entscheidung zur Zulässigkeit fasst, bei der er keinen politischen Spielraum hat, sondern an die rechtlichen Vorgaben gebunden ist).9

Die formalrechtliche Zulässigkeit des Bürgerbegehrens könnte an einem Satz im Unterschriftenformular scheitern.10  Dort heißt es in der Begründung u. a.: „Diese immense Höhe der Förderung widerspricht der verfassungsrechtlichen Pflicht zu weltanschaulicher Neutralität des Staates.“ Es wird also behauptet, der Stadtratsbeschluss zur Förderung sei rechtswidrig gewesen, weil im Widerspruch zur Verfassung stehend. Dies aber ist eine Tatsachenbehauptung, die einer objektiven rechtlichen Prüfung zugänglich ist. Sollte die Stadtverwaltung oder auch ein Verwaltungsgericht die Position vertreten, dass der Stadtratsbeschluss nicht verfassungswidrig war – und davon kann man ausgehen –, könnte das Bürgerbegehren für rechtlich unzulässig erklärt werden, weil es in der Begründung eine irreführende Tatsachenbehauptung enthält11  – ganz egal wie viele Unterschriften dafür noch eingehen mögen. Die Behauptung der Verfassungswidrigkeit war zur Begründung des Bürgerbegehrens ganz und gar unnötig und hat insofern nur einen rechtlichen vermeidbaren Stolperdraht für dessen Zulässigkeit ausgelegt.

Eine weitere Ungeschicklichkeit des „Aufklärungsdienstes“ bei der Formulierung des Bürgerbegehrens ermöglicht dem Stadtrat auch noch einen anderen Ausweg. Er könnte das Bürgerbegehren, egal ob formal zulässig oder nicht, einfach in der Sache übernehmen, d. h. seinen Beschluss vom 23. Juni auf Förderung mit 5,8 Millionen Euro aufheben (dadurch entfiele ein Bürgerentscheid) und dann einen neuen Beschluss auf Förderung mit einer etwas geringeren Summe fassen, z. B. mit 4 Millionen Euro. Das wäre immer noch überdurchschnittlich im Vergleich zur Förderung von anderen Kirchentagen in den letzten Jahren. Und ein solches Vorgehen wäre im vorliegenden Fall zulässig, weil die im Bürgerbegehren formulierte Abstimmungsfrage lediglich lautet:

„Sind Sie dagegen, dass eine Förderung des Evangelischen Kirchentages 2027 mit Geldern und Sachleistungen der Stadt Düsseldorf in Höhe von 5,8 Mio. Euro erfolgt und wollen daher, dass der Ratsbeschluss vom 23. Juni 2022, der diese Förderung vorsieht, aufgehoben wird?“12

Obwohl es bei der Formulierung des Bürgerbegehrens möglich und zulässig gewesen wäre, den Verzicht auf jegliche Förderung zu fordern, findet sich im Unterschriftenformular also lediglich die Ablehnung der Summe von 5,8 Millionen Euro. Eine Förderung mit einem etwas geringeren Betrag bliebe deshalb sogar im Fall eines gültigen Bürgerentscheids für den Stadtrat weiterhin zulässig. Außerhalb des Unterschriftenformulars hat der „Aufklärungsdienst“ durchaus weitergehende Forderungen vertreten, z. B. hieß es in einer Pressemitteilung: „Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst fordert, dass die liquiden Kirchen die Kosten ihrer Veranstaltungen auch vollumfänglich finanzieren.“13  Bei einem Bürgerbegehren ist jedoch rechtlich allein das relevant, was auf dem Unterschriftenformular steht.

Implikationen der Argumente des Bürgerbegehrens

Abgesehen von verfahrensrechtlichen Fragen bei Bürgerbegehren sind die bei der Werbung von Unterschriften vorgebrachten Argumente aufschlussreich, warum auf die finanzielle Förderung des Kirchentages verzichtet werden solle. Es sei nicht einzusehen, warum „die konfessionsfreie Mehrheit der Bevölkerung die Kosten des religiösen Großevents tragen“ solle, das „nur von 1-3 Prozent Nicht-Christen besucht“ werde, gleichzeitig aber als „weltanschauliche Missionsveranstaltung“ anzusehen sei, die „keinerlei Mehrwert für einen interreligiösen Austausch beziehungsweise für gesellschaftlich relevante Themen jenseits von Religion“ habe. Zudem sei „kein großer wirtschaftlicher Umsatz zur Refinanzierung“ zu erwarten.14

Diese Argumentationslinie zeichnet sich dadurch aus, dass das Konstrukt des Religionsbegriffs instrumentalisiert wird, um Ausgrenzung zu rechtfertigen. Weil es sich um einen Kirchentag handelt, werden alle etwa 2000 damit zusammenhängenden, über fünf Tage verteilten Einzelveranstaltungen pauschal mit dem Etikett „Religion“ versehen, das dann gleichzeitig impliziert, dass es sich um keine „gesellschaftlich relevanten Themen“ handle. Dass der Begriff „Religion“ zu eng sein könnte, um das zu beschreiben, was Menschen im kirchlichen Kontext tun, und dass auch deshalb der Kurzschluss auf „gesellschaftliche Irrelevanz“ fragwürdig ist, wird nicht bedacht.

Erstaunlich ist auch die implizite Einlassung, es sei eine Notwendigkeit für öffentliche Förderung, dass ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung ein Angebot wahrnehmen müsse. Natürlich werden massiv mit öffentlichen Geldern finanzierte Sportstätten nur von bestimmten Personen regelmäßig genutzt und mit Bundesmitteln finanzierte Autobahnen in Schleswig-Holstein nur selten von in Bayern lebenden Menschen (und umgekehrt), obwohl an der Finanzierung alle beteiligt sind. Die regionale Herkunft oder das Interesse für z. B. Fußball ist aber kein Kriterium für öffentliche (Mit-)Finanzierung, nur bei „Religion“ soll es nach Auffassung des „Aufklärungsdiensts“ anders sein. Das kann man nur verstehen, wenn realisiert wird, dass „Religion“ hier als etwas außerhalb der Gesellschaft Stehendes oder stehen Sollendes konstruiert oder wahrgenommen wird. Das Selbstbild der Kirchen, der Kirchenmitglieder und auch des Grundgesetzes ist sicher ein anderes.

Fragwürdig werden solche Diskussionen immer dann, wenn es nicht nur um konkrete Finanzierungszusagen in einem konkreten Kontext geht (die immer Gegenstand konkreter Aushandlungsprozesse mit schwindenden Selbstverständlichkeiten sind), sondern um eine grundsätzlich ausgrenzende und damit diskriminierende Intention gegenüber Andersdenkenden. Wenn dazu der Religionsbegriff in Stellung gebracht wird, sollten wir sehr vorsichtig mit ihm umgehen.

Edgar Wunder, 07.11.2022


Anmerkungen

1  Vgl. Streit um den Düsseldorfer Kirchentag: Warum der Heimatverein Düsseldorfer Jonges Pfarrer gegen sich aufbringt, Rheinische Post, 29.10.2022.

2  https://aufklaerungsdienst.de (Abruf der Internetseiten: 5.11.2022).

3  Vgl. www.giordano-bruno-stiftung.de/mitarbeiter/farago-david.

4  https://hpd.de/artikel/religionskritische-figurenparade-zum-oekumenischen-kirchentag-19277.

5  Vgl. www.datenbank-buergerbegehren.info.

6  Vgl. ebd.

7  Vgl. Maria Pottmeyer / Stefan Lenz: Die Neuregelung der Kostenschätzung beim Bürgerbegehren in Nordrhein-Westfalen, in: Jahrbuch für direkte Demokratie 2013, 263 – 279.

8  Vgl. Düsseldorfer Aufklärungsdienst, Rundmail vom 12.10.2022 sowie umfangreiche von den Vertrauenspersonen dankenswerterweise zur Verfügung gestellte Unterlagen zum Schriftverkehr mit der Düsseldorfer Stadtverwaltung im Zuge des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf.

9  Vgl. § 26 der Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen.

10  Unterschriftenformular „Bürgerbegehren: Keine 5,8 Mio. Euro für den Kirchentag 2027“.

11  Vgl. Edgar Wunder: Bürger-Handbuch zur erfolgreichen Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, 2017, 46ff, www.mitentscheiden.de/fileadmin/user_upload/BW/2017-05-29_BW_Buerger-Handbuch_Version1.pdf.

12  Unterschriftenformular „Bürgerbegehren: Keine 5,8 Mio. Euro für den Kirchentag 2027“.

13  Düsseldorfer Aufklärungsdienst, Pressemitteilung vom 13.6.2022: Hoch verschuldete Stadt Düsseldorf will mehrere Millionen Euro an Kirche verschenken.

14  https://aufklaerungsdienst.de.