Andreas Fincke

Klein, zerstritten, einflussreich

Humanistische und atheistische Organisationen

Zeitgleich zum Deutschen Evangelischen Kirchentag fand in Hamburg vom 30. April bis zum 4. Mai 2013 der „Deutsche Humanistentag 2013“ unter dem Motto „Gut ohne Gott“ statt. Veranstalter war die Hamburger Stiftung „Geistesfreiheit“ in Kooperation mit den Hamburger Regionalgruppen der „Giordano Bruno Stiftung“, der „Jugendweihe Deutschland“ und dem Hamburger Regionalverband des „Humanistischen Verbands Deutschlands“. Der frühere EZW-Referent Andreas Fincke hat einige Veranstaltungen besucht und berichtet über den Humanistentag, aber auch über die Hintergründe der beteiligten Organisationen.

 

Die „Szene“ der humanistischen, freidenkerischen und kirchenkritischen Organisationen in Deutschland ist verwirrend und selbst für Insider nur schwer überschaubar.1 Es gibt eine Fülle regionaler Initiativen und kleiner Zirkel, aber auch vergleichsweise einflussreiche Organisationen wie den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) und die Giordano Bruno Stiftung (gbs). Über die Organisationsgrenzen hinweg findet man freundschaftliche Beziehungen und Doppelmitgliedschaften, aber auch Animositäten und deutliche strategische Differenzen.

Daher kann man es aus Sicht der Veranstalter bereits als Erfolg werten, dass überhaupt ein bundesweiter Humanistentag zustande gekommen ist. Ob es jedoch angemessen war, diesen Tag als „Gegenveranstaltung“ zum Kirchentag zu platzieren, möchte ich bezweifeln. Da weite Bereiche des öffentlichen Lebens in Hamburg vom Kirchentag geprägt waren, wirkte das Atheistentreffen marginalisiert. Große Posaunenchöre vereinten schnell mehr Mitstreiter, als im Festzelt des Humanistentags versammelt waren – zumindest bei den von mir besuchten Veranstaltungen. Auch das seltsame Phänomen, dass Moderatoren, Referenten und Diskutanten sich meist per Du anredeten, verstärkte den Eindruck, dass die Öffentlichkeit nicht erreicht wurde.

Dennoch gibt es Anlass, diesen äußeren Anschein zu hinterfragen. Denn auch die bunten Kirchentage können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirchen in Bedrängnis geraten sind. Nach wie vor sind die Austrittszahlen hoch und nimmt die Bindung vieler Menschen an Kirche und Religion ab.2 So gibt es z. B. in Brandenburg Kirchenkreise, die allein in den letzten acht Jahren mehr als 25 Prozent ihrer Mitglieder verloren haben. Diese Entwicklung vollzieht sich leise, weitgehend unbemerkt von kirchenleitenden Kreisen und demoralisiert die verbleibenden kirchlichen Mitarbeiter und engagierten Laien, weil sie sich verantwortlich fühlen – aber mit ihrer Ratlosigkeit allein bleiben.

Die massiven Säkularisierungs- und Entkirchlichungsprozesse beflügeln die Szene der humanistischen und atheistischen Organisationen. Interessiert nimmt man hier zur Kenntnis, dass die Gruppe der Konfessionslosen die am schnellsten wachsende weltanschauliche Orientierung in Deutschland darstellt. Da schließlich Missbrauchsvorwürfe, Diskussionen um das kirchliche Arbeitsrecht und andere Themen das Ansehen der Kirchen weiter beschädigen, könnte man erwarten, dass die freidenkerischen und säkularen Organisationen nennenswerten Zulauf verzeichnen. Aber dem ist nicht so. In den letzten zehn Jahren haben alle Organisationen zusammen die Zahl ihrer Mitglieder nur unwesentlich steigern können. Sie liegt nach wie vor bundesweit bei etwa 15 000 bis höchstens 20 000. Damit scheint der Verbandsatheismus auch weiterhin eine zu vernachlässigende Größe zu sein. Aber trotz der bescheidenen Mitgliederzahl gelingt es den verschiedenen atheistischen, freidenkerischen und humanistischen Organisationen, ihre Anliegen geschickt in die Gesellschaft zu tragen. Sie sind klein und zerstritten – aber auch ein Indikator für Veränderungsprozesse.

Humanistische Lebenskunde

Das kann man z. B. am Berliner Religionsunterricht zeigen. In der Bundeshauptstadt ist der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach, sondern nur ein freiwilliges Angebot der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Mehr noch: In Berlin gibt es ein Konkurrenzfach zum Religionsunterricht. Aus den Wurzeln der Freidenkerbewegung ist der Weltanschauungsunterricht des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD), die „Humanistische Lebenskunde“, hervorgegangen. Man könnte, auch wenn das seltsam klingt, das Fach als „freidenkerischen Religionsunterricht“ apostrophieren. Dieses Unterrichtsfach hat in Berlin eine längere Tradition. Es wurde 1918 als Alternative zum Religionsunterricht erstmals eingeführt. Nach einer wechselvollen Geschichte mit zeitweiligen Verboten konnten die Freidenker Mitte der 1980er Jahre im damaligen Westteil der Stadt das Fach neu etablieren. Bis 1989 führte die Humanistische Lebenskunde jedoch ein „Schattendasein“ mit allenfalls 1000 Teilnehmern pro Schuljahr. Erst mit der Wiedervereinigung gewann das Unterrichtsfach an Bedeutung.

Da in Berlin die Teilnahme am Religions- und Lebenskundeunterricht freiwillig ist, nimmt nur jeder zweite Schüler eines dieser Angebote wahr. Von den Teilnehmenden besuchen etwas mehr als 50 000 Schüler (etwa 16 Prozent) den Humanistischen Lebenskundeunterricht. Es lohnt ein Vergleich: Knapp 80 000 (etwa 25 Prozent) besuchen in Berlin den evangelischen Religionsunterricht und knapp 25 000 (knapp 8 Prozent) finden wir im katholischen Religionsunterricht. Ferner gibt es noch Schüler, die den Religionsunterricht der islamischen Föderation besuchen (knapp 5000) sowie Teilnehmer am jüdischen Religionsunterricht (knapp 1000).3

Während die beiden großen Kirchen in den letzten Jahren eine zwar geringe, aber stetige Abnahme ihrer Teilnehmerzahlen konstatieren, kann der HVD eine kontinuierliche Zunahme vermerken. Diese Steigerung ist umso beachtlicher, da die absoluten Schülerzahlen aufgrund der demografischen Entwicklung rückläufig sind.

Nach wie vor wird der Lebenskundeunterricht in den östlichen Stadtteilen stärker nachgefragt als im ehemaligen Westen. Mitunter lassen sich erstaunliche Beobachtungen machen. So verzeichnet der Stadtbezirk Pankow eine Teilnahmequote an der Lebenskunde von etwas über 30 Prozent. Der katholische Religionsunterricht wird in diesem vergleichsweise bürgerlichen Bezirk von weniger als 5 Prozent der Schüler besucht. Die Zahlen sind erstaunlich – auch, weil der HVD in Berlin keine 5000 Mitglieder hat. Er erreicht also mit seinem Weltanschauungsunterricht ein Vielfaches seiner Mitgliederbasis.

Es liegt auf der Hand, dass man sich auf diesem Erfolg nicht ausruht. Daher bemüht sich der HVD seit einigen Jahren, sein Unterrichtsfach auch in anderen Bundesländern zu etablieren. Erfolgreich war eine Klage in dieser Sache bereits 2005 vor dem Brandenburger Verfassungsgericht. Seit dem Schuljahr 2007/08 führt der HVD das Fach in diesem Bundesland schrittweise ein. Derzeit sind die Teilnehmerzahlen zwar noch bescheiden, aber wachsend. In Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen bereitet man die Einführung des Unterrichtsfachs ebenfalls vor. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis der kirchliche Religionsunterricht bundesweit neue Konkurrenz bekommt.

Politischer Realismus

Der HVD wurde Anfang 1993 als Dachverband säkularer Organisationen gegründet. Er ist zwar damals aus verschiedenen freigeistigen Verbänden (z. B. aus den Westberliner Freidenkern) hervorgegangen, doch hat er sich in zentralen Fragen weit von traditionellen Freidenkerpositionen entfernt. Denn traditionell fordern Freidenker eine entschiedene Trennung von Kirche und Staat, die Abschaffung des Religionsunterrichts und des Einzugs der Kirchensteuer durch die Finanzämter, die Auflösung der theologischen Fakultäten, ein Ende der kirchlichen Seelsorge bei der Bundeswehr usw. Der HVD hingegen benennt zwar einige dieser laizistischen Forderungen auch, schreibt ihnen jedoch eine nachrangige politische Priorität zu. Diese Einstellung ist beim HVD politischem Realismus geschuldet: Da die Privilegien teilweise Verfassungsrang haben, bedarf ihre Korrektur einer Verfassungsänderung, d. h. einer Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag. Diese dürfte in absehbarer Zeit kaum erreicht werden. Daher reklamiert der HVD „vorerst“ alle diese Privilegien auch für sich. Das entscheidende Argument lautet: Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gemäß Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz und besonders Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 7 Weimarer Reichsverfassung. Diese strategische Neuausrichtung erweist sich bisher als ein überaus kluger Schritt. Der HVD ist damit keine atheistisch-freidenkerische Organisation mehr, die sich über ein „Dagegensein“ positioniert, sondern der Verband versteht sich selbst als „Weltanschauungsgemeinschaft für Konfessionsfreie“. Was das genau bedeutet, ist verbandsintern umstritten oder, schärfer formuliert, wird mal so und mal so verstanden. Seit einigen Jahren diskutiert man ohne überzeugendes Ergebnis über eine Neufassung des „humanistischen Selbstverständnisses“.4 Immerhin hat sich der bayerische Regionalverband des HVD im Oktober vergangenen Jahres auf „humanistische Grundsätze“ verständigen können. Diese sind übrigens erstaunlich allgemein gehalten. Viele Positionen sind weit über den HVD hinaus zustimmungsfähig und lassen ein klares Profil vermissen. Ein solches wäre jedoch notwendig, um neue Mitglieder zu binden. Andere Positionen werfen neue Fragen auf. So heißt es: „Humanisten sind bereit, die Welt des Gegebenen gedanklich zu überschreiten und dabei Hoffnung, innere Ruhe und Trost zu finden. Die Vorstellung eines vorbestimmten Schicksals oder eines göttlichen Heilsplans lehnen sie ab. Humanisten glauben nicht an ein Paradies oder an die Verheißung eines goldenen Zeitalters. Sie wissen, dass Glück und Gerechtigkeit weder von alleine noch von einem Gott kommen und es daher an ihnen selbst ist, sich aus dem Elend zu erlösen.“ Aber was heißt das? Beginnt der weltanschauliche Diskurs nicht mit solchen Fragen? Ist das „Überschreiten der Welt des Gegebenen“ nicht im Grunde eine religiöse Haltung? Was bedeuten in diesem Zusammenhang Hoffnung, Trost und innere Ruhe? Was ist, wenn die zuletzt angedeutete Selbsterlösung aus dem Elend scheitert?

Trotz solcher offenen Baustellen hat der HVD in den ersten 20 Jahren seines Bestehens erstaunlich viel erreicht. So unterhält er in Berlin zahlreiche Gesundheits- und Sozialprojekte wie Einrichtungen für betreutes Wohnen, mehrere Hospize, Einrichtungen zur Schwangerschaftskonfliktberatung usw. und ist Träger von 24 Kitas und zwei Familienzentren.

Im Frühjahr 2013 gehören dem HVD-Bundesverband elf Landesverbände sowie eine Landesgemeinschaft und mehrere assoziierte Verbände an. Vergleichsweise dynamisch entwickelt sich derzeit auch der HVD-Landesverband Bayern. In Bayern betreibt der HVD zwölf humanistische Kitas und in Fürth sogar die bundesweit erste humanistische Grundschule. In den nächsten Monaten wird man in Nürnberg und Fürth voraussichtlich fünf weitere Kitas eröffnen können.

Weil der HVD eine „Weltanschauungsgemeinschaft für Konfessionsfreie“ sein möchte und sich nicht als „Verein zur Beförderung des Kirchenaustritts“ versteht, bemüht er sich in einem umfassenden Sinne um Sozialarbeit und Lebenshilfe. So hat er eine eigene Patientenverfügung erarbeitet, in der Wünsche und Behandlungsziele für kritische bzw. todesnahe Situationen dokumentiert werden. Der Verband unterstützt beim Ausfüllen und bei der Hinterlegung dieser Willenserklärung. Die Arbeit firmiert unter dem attraktiven Namen „Bundeszentralstelle Patientenverfügung“. Auch hat man sich die lukrative Homepage „www.patientenverfuegung.de“ sichern können.

Eine gewisse Tradition haben im HVD auch die Jugendweihen, die hier Jugendfeiern heißen. Mit jährlich etwa 10 000 Jugendfeiern5 überwiegend in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist der HVD zwar nicht der größte Anbieter, aber einer der weltanschaulich ambitioniertesten. Inzwischen gibt es auch in den alten Bundesländern (z. B. in Dortmund, Wuppertal, Nürnberg, Hannover) eine, wenn auch bescheidene, Jugendfeier-Tradition.

Auf dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte erstaunt, dass der HVD sich beim Hamburger Humanistentag doch wieder zu den atheistischen Hardlinern gesellt. Man kann vermuten, dass die Teilnahme intern umstritten war. So hielt der Präsident des HVD, Frieder Otto Wolf, als Selbstdarstellung einen philosophischen Vortrag über Humanismus in der Gegenwart, ohne seinen Verband als die Lösung aller Fragen anzubieten. Er forderte vielmehr, dass der HVD einen Raum schaffe, „in dem öffentlich ... positive Überzeugungen erarbeitet werden können, die sowohl immer noch religiös engagierten Menschen eine Alternative bieten und dabei auch unter den Konfessionsfreien humanistische Haltungen und Positionen weiter ausbreiten“.6 Seine Überlegungen gipfelten in der Hoffnung, dass ein späterer Humanistentag jenes Diskussionsniveau erreichen wird, das den Deutschen Evangelischen Kirchentag auszeichnet.

Versöhnte Verschiedenheit

Erstaunlich selbstkritisch präsentierte sich in Hamburg auch der Vorsitzende des „Koordinierungsrats säkularer Organisationen“ (KORSO), Helmut Fink. Schonungslos legte er dar, warum der vor vier Jahren als Dachverband gegründete KORSO bis heute die Arbeit nicht richtig aufnehmen konnte und worin die strategischen Differenzen innerhalb der KORSO-Mitgliedsverbände bestehen. So seien sich z. B. die Mitgliedsverbände zwar in der Forderung einig, historisch überholte Privilegien der Kirchen abzuschaffen, die Tücke liege jedoch im Detail. Verfolgt man, wenn man Gleichbehandlung einfordert, nun eine Abbaustrategie oder eine Aufbaustrategie? Heißt Gleichbehandlung, dass „alle“ ihren jeweiligen Weltanschauungsunterricht in den Schulen durchsetzen, oder fordert man die Verbannung jeglicher Religion und Weltanschauung aus den Schulen? Unter Anspielung auf die christliche Ökumene mahnte er, zwischen den humanistischen und atheistischen Verbänden „versöhnte Verschiedenheit“ zu suchen.

Wie bunt die Szene der in Hamburg beteiligten Organisationen war, konnte man auch bemerken, als mit Konny G. Neumann der neu gewählte Präsident der „Jugendweihe Deutschland“ (JWD) sprach. Er vertritt den Dachverband von Jugendweiheverbänden in sieben (vorwiegend östlichen) Bundesländern. Die JWD konnte endlich große Zahlen präsentieren: Seit 1990 haben 1,4 Millionen Jugendliche an den Jugendweihefeiern teilgenommen, und etwa 3,5 Millionen Jugendliche konnten Angebote der freien Jugendarbeit wahrnehmen. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Vorbereitungsstunden auf die Jugendweihe, die sehr breit gefächert sind. Das Spektrum reicht von Besuchen in Gedenkstätten bis zu „Knigge-Kursen“ und „Anti-Mobbing-Training“.

Als Außenstehender wundert man sich immer wieder, wie fraglos sich die JWD in den Kontext der atheistischen/humanistischen Organisationen einfügt. Wenn man in der ostdeutschen Provinz feststellt, dass die Jugendweihe ein atheistisches Profil habe, dann erntet man fast immer kritische Reaktionen mit dem Hinweis, die heutige Jugendweihe sei nicht mehr die DDR-Jugendweihe. Letzteres ist unstrittig. Nur stellt sich die JWD als Mitveranstalter des Humanistentags selbst in den Kontext der atheistischen Organisationen. Mehr noch: Die in Hamburg verteilten Informationsmaterialien der JWD zeigen, wie stark sie hier verwurzelt ist.7

Die Giordano Bruno Stiftung

Einer der wichtigsten Anbieter beim Humanistentag war schließlich die 2004 gegründete „Giordano Bruno Stiftung“ (gbs). Innerhalb kurzer Zeit hat sich die „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“ (Selbstdarstellung) geschickt positioniert und erheblich an medialem Einfluss gewinnen können. Sie vertritt eindeutig laizistische Positionen und polemisiert gern gegen Kirche und Religion. Zahlreiche religionskritische Aktionen mit zum Teil derber Polemik wurden hier erdacht wie „Glaubst du noch oder denkst du schon?“ oder die bizarre Idee zur „Umwidmung“ des Feiertags „Christi Himmelfahrt“ in einen „Evolutionstag“. Auch die „kritische Islamkonferenz“ (zuletzt 11./12. Mai 2013 in Berlin) wird von der Giordano Bruno Stiftung unterstützt.

Auffällig ist eine gewisse Doppelstrategie der Stiftung. So wirkt man in die breite Öffentlichkeit mit polemischem Atheismus und effektheischenden Albernheiten, im akademischen Kontext schmückt man sich mit seriösen Namen. Schon länger gehören dem Beirat der Stiftung einige bedeutende Persönlichkeiten wie Hans Albert, Ulrich Kutschera und Wolf Singer an. Seit einiger Zeit spielt auch Ingrid Matthäus-Maier, viele Jahre stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, eine größere Rolle in der gbs. So hielt sie beim Humanistentag einen der Eröffnungsvorträge.

Aus dem Beirat der gbs hingegen ausgetreten ist Ende 2011 Norbert Hoerster, einer der wichtigsten Rechts- und Sozialphilosophen unserer Zeit. In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) begründete Hoerster damals seinen Schritt mit inhaltlichen Differenzen. So kritisierte er den Sprecher der Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, wegen dessen polemischer Kritik am Papst. So hatte Schmidt-Salomon Benedikt XVI. wegen des Kondomverbots kritisiert und unterstellt, damit würde der Papst Millionen von Menschen zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit Todesfolge anhalten. Hoerster bezeichnete diesen Vorwurf als „geradezu abwegig“, zumal der Katechismus der katholischen Kirche Geschlechtsverkehr ausschließlich in der Ehe erlaube – „und dieser führt üblicherweise nicht zu Abermillionen Toten“. Auch der von der gbs unterstützte sogenannte „neue“ Atheismus des Biologen Richard Dawkins überzeugt Hoerster nicht: „Ich sehe nicht, wieso ausgerechnet die Evolutionstheorie den Gottesglauben widerlegen, ja ersetzen kann“, so Hoerster wörtlich. Es war befremdlich, wie schnell sich damals die gbs von einem Wissenschaftler abgewandt hat, der zuvor hofiert wurde.

In der Laizismus-Falle

Beim Humanistentag in Hamburg wurden die strategischen Differenzen zwischen den eher laizistischen Organisationen und den Verbänden, die sich einem praktischen Humanismus verschrieben haben, erneut deutlich. Während die Laizisten eine ersatzlose Ablösung aller Staatsleistungen an die Kirchen fordern, sieht das z. B. der HVD kritisch. Er plädiert zwar für eine Ablösung der Staatsleistungen, die auf der Basis des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 gezahlt werden, mahnt jedoch die Beibehaltung der Staatsleistungen an, die „die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als ausführende Organe gesellschaftlicher Wohlfahrtsaufgaben oder pädagogischer Maßnahmen erhalten“. Denn diese sind im Engagement der Organisationen begründet. „Hier Kürzungen oder gar Streichungen zu verlangen, ist falsch.“8

Beide Positionen haben eine gewisse innere Logik. Da Vertreter beider Positionen im „Koordinierungsrat säkularer Organisationen“ vertreten sind, werden diese Differenzen auch weiterhin für Konfliktpotenziale sorgen und den Dachverband schwächen. Denn hinter dieser theoretischen Frage stehen konkrete Alltagsfragen: Kann man sich darüber beklagen, dass die Freie Hansestadt Hamburg den Humanistentag nicht finanziell unterstützt, oder soll man sich darüber beschweren, dass Hamburg den Kirchentag subventioniert? Wird man für die Einführung der Humanistischen Lebenskunde in westlichen Bundesländern eintreten oder sich vielmehr gegen jeglichen Religions- und Weltanschauungsunterricht positionieren? Fordert man eine eigene, humanistische Feiertagskultur, oder argumentiert man gegen den Schutz christlicher Feiertage?

Verschärft wird die Diskussion durch das Erstarken laizistischer Arbeitskreise in den großen Parteien. Wenn diese ihren eigenen Ansatz ernst nehmen, werden sie z. B. Distanz zum HVD suchen. Das führt zu der paradoxen Situation, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung auf Initiative engagierter SPD-Laizistinnen kaum noch Kooperationsveranstaltungen mit dem HVD durchführt. Damit schwächen die SPD-Laizisten jene Kräfte, die ihnen nahestehen.

Lebenshilfe oder Kirchenkritik?

Der aggressive Atheismus, wie er in der Giordano Bruno Stiftung und im „neuen“ Atheismus zu finden ist, hat in seiner polternden Art eine gewisse Medienattraktivität. Wir werden in den nächsten Jahren immer wieder Diskussionsrunden zu religiösen Themen erleben, in der selbsternannte Atheisten markige Sprüche wie „Heidenspaß statt Höllenqual“ vortragen. Das dürfte einen gewissen Unterhaltungswert haben und mitunter die Einschaltquoten stabilisieren. Nur: Der polemische Atheismus bietet keine Lebenshilfe. Er „wärmt“ die Menschen nicht, die Hoffnung, Trost und Hilfe suchen. Die großen ethischen Fragen, auch und gerade jene, die die moderne Medizin aufwirft, müssen aus einer Sinn-Perspektive beantwortet werden. Auf Dauer wird der Atheismus bzw. der (freidenkerisch inspirierte) Humanismus als Alternative zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften nur bestehen, wenn er bei der Gestaltung und Bewältigung des Lebens hilft – also Wendepunkte wie Geburt („Namensweihe“), Adoleszenz („Jugendweihe“), Eheschließungen, Beerdigungen, Trauerarbeit usw. gestalten hilft. Daher gibt es im Kontext dieser Bewegungen verstärkte Bemühungen, einen neuen Humanismus und eine säkulare Ethik zu begründen. Indem man neue Formen humanistischer Sozialarbeit entwickelt und diese professionell gestaltet, so die Erwartung, kann man vielen kirchenfernen Menschen eine Heimat geben und so zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Kirchen werden.

Expeditionen in die Konfessionslosigkeit

Unbeschadet dieser Aufgaben bleibt für die säkularen Verbände das Problem der wenigen Mitglieder. Wenn mein Eindruck nicht täuscht, dann hat man sich damit arrangiert. In einer Zeit, in der Kirchen, Gewerkschaften und Parteien massiv Mitglieder verlieren, ist es schwer, neue Vereinsmitglieder zu binden. Auch deshalb organisiert sich die gbs als „Denkfabrik“, als relativ unverbindliches Forum.

Dennoch fällt auf, dass der Verbandsatheismus eher in jenen Regionen Deutschlands Mitglieder findet, wo die Kirchen vergleichsweise stark sind – und mitgliederschwach bleibt, wo auch die Kirchen schwach sind. So gibt es im Osten Deutschlands (mit Ausnahme Berlins) nur marginale Kräfte. Die bescheidenen Mitgliederzahlen säkularer Verbände in Deutschland sind zwar für diese ein Problem, sie verweisen jedoch auch erneut auf die Krise der Kirchen. Denn sie sind ein Spiegelbild wachsender Bedeutungslosigkeit von Kirche und Religion. Man „reibt“ sich immer weniger an Kirche und Religion und sieht kaum Anlass, sich engagiert damit auseinanderzusetzen bzw. dagegen zu positionieren. Hier finden wir die eigentliche theologische Herausforderung der aktuellen Konfessionslosigkeit. Im Lebenshorizont vieler Menschen kommt Gott gar nicht mehr vor; alle Fragen des Lebens werden mit diesseitsorientiertem Pragmatismus ausschließlich innerweltlich erörtert. So gesehen war das Motto des Humanistentags, „Gut ohne Gott“, klug gewählt. Viel zu selbstgefällig wird von den Kirchen und Religionen unterstellt, man könne nur mit Gott ein guter Mensch sein und ein ehrbares Leben führen. Dass diese Arroganz viele Menschen verletzt, die ohne Gott leben, kann lernen, wer eine Expedition in die Konfessionslosigkeit unternimmt. Der Weg ist übrigens kürzer, als viele denken.


Andreas Fincke, Oberkrämer


Anmerkungen

1 Vgl. Andreas Fincke, Freidenker – Freigeister – Freireligiöse, EZW-Texte 162, Berlin 2002, 53ff; Horst Groschopp, Säkulare und freigeistige Organisationen und Verbände in Deutschland 2009, http://hpd.de/files/Säkulare Organisationen heute 2.pdf  (die angegebenen Internetseiten wurden zuletzt abgerufen am 27.5.2013).

2 Zuletzt: Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Religionsmonitor. Verstehen was verbindet, www.religionsmonitor.de .

3 Vgl. Religions- und Weltanschauungsunterricht: Konstantes Wachstum beim Humanistischen Lebenskundeunterricht, HVD-Pressemeldung, 5.12.2012, www.hvd-bb.de/pressemitteilungen/religions-weltanschauungsunterricht-konstantes-wachstum-beim-humanistischen-leben.

4 Vgl. www.humanismus.de/neufassung-humanistischen-selbstverstaendnis.

5 Es ist nicht einfach, verlässliche Zahlen zu erhalten. Vgl. www.hvd-bb.de/sites/hvd-bb.de/files/pm_jugendfeier-auftakt_zahlen.pdf .

6 Zit. nach www.humanismus.de/aktuelles/schritt-diese-richtung .

7 Für die Jugend. Mit der Jugend. 20 Jahre Jugendweihe Deutschland e.V., Sonderausgabe „Freier Blick“, Hamburg 2010. Hier ist über die Taufe zu lesen: „Wenn bei dieser ‚heiligen‘ Taufhandlung erklärt wird, das Kind habe von Gott die ‚Seele‘ erhalten, so steht diese Behauptung nach Freidenkermeinung mit den Forschungsergebnissen der modernen Psychologie (Seelenkunde) in Widerspruch. Dann wären ja alle ungetauften Menschen unbeseelt“ (160).

8 HVD-Pressemeldung, 15.11.2010, www.humanismus.de/aktuelles/korso-fordert-abloesung-staatsleistungen-kirchen.