Königliche Kunst. Freimaurerei in Hamburg seit 1737
Susanne B. Keller (Hg.), Königliche Kunst. Freimaurerei in Hamburg seit 1737, Dölling und Galitz Verlag, München / Hamburg 2009, 208 Seiten, 22,00 Euro.
Zunehmend wird die Freimaurerei als Thema für Ausstellungen in Museen und Stadtarchiven entdeckt. Ob in Bremen, Erlangen, Paderborn, Hamburg oder Frankfurt: Die „Königliche Kunst“ eignet sich offensichtlich in besonderer Weise, um die enge Verbindung von Stadt- und Kulturgeschichte aufzuarbeiten und für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Auch die örtlichen Freimaurerlogen haben daran großes Interesse und unterstützen die Ausstellungen mit Leihgaben und begleitenden Veranstaltungen. Der vorliegende Katalog zur 2009 gezeigten Ausstellung (Jenisch Haus, Hamburg-Altona) gewährt einen interessanten Einblick in die Kulturgeschichte der Stadt. Am 6. Dezember 1737 wurde hier die erste Freimaurerloge auf deutschem Boden gegründet. Dies bildete den Auftakt für die rasante Verbreitung des initiatorischen Bruderbundes in Nord- und Mitteldeutschland sowie im Rheinland. Der Begriff „Königliche Kunst“ hat, wie die Herausgeberin des ansprechend gestalteten Bandes erläutert, eine lange Vorgeschichte. Er findet sich schon bei Platon. Dort steht er für die Philosophie, die Liebe zur Wahrheit. Bis in die Neuzeit hinein wurde die „Königliche Kunst“ zum Inbegriff für Kunstfertigkeit und handwerkliches Geschick. In der Freimaurerei erfährt sie ihre Ausgestaltung in Form von Symbolen, Zeichen und rituellen Handlungen.
Die Herausgeberin wendet sich zunächst der Hamburger Freimaurerei im 18. Jahrhundert zu. Unter den „Brüdern“ in der Hansestadt lassen sich bedeutende Namen finden, etwa Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), der sich schon früh für die Freimaurerei interessiert hatte und 1771 in eine Loge aufgenommen wurde. 1778 erschien sein bekannter Dialog „Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer“. Große Bedeutung für die Rituale der deutschen Freimaurer erlangte der Hamburger Schauspieler und Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816). Er schuf 1801 ein reformiertes Freimaurerritual, das sich stärker dem englischen Vorbild annäherte. Das „Schrödersche Ritual“ ist bis heute in vielen Logen in Gebrauch. Ein eigenes Kapitel ist den Porträts bedeutender Hamburger Freimaurer gewidmet. Darunter finden sich bekannte Namen wie Matthias Claudius, August Wilhelm Iffland, Heinrich Heine und Carl von Ossietzky.
Der freimaurerische Publizist Rolf Appel präsentiert eine Innenansicht des Bruderbundes, den er als den letzten Mysterienbund betrachtet (67). Er schätzt die Zahl der Freimaurer auf weltweit sechs Millionen (75), tatsächlich dürfte die Zahl heute deutlich niedriger ausfallen. Für eine kleine Überraschung sorgt in dem Band der Bericht einer Hamburger Freimaurerin, die eine kurze Geschichte und das gegenwärtige Erscheinungsbild der Frauen-Logen präsentiert (76ff). Umfangreiches Bildmaterial aus alter Zeit illustriert die freimaurerische Ritualpraxis. Mit den Beziehungen zwischen den Freimaurern Wolfgang Amadeus Mozart und Friedrich Ludwig Schröder, die sich vermutlich in Wien kennengelernt hatten, befasst sich der Beitrag der Musikwissenschaftlerin Petra Eisenhardt, die im Blick auf eine rein freimaurerische Interpretation der Oper „Die Zauberflöte“ eine eher skeptische Position vertritt.
Die Königliche Kunst übte auch einen starken Einfluss auf die Gartenkunst aus. So waren es einzelne Freimaurer, die ihre weltanschaulichen Überzeugungen in den neuen englischen Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck brachten. Sie sollten zur sittlichen Vervollkommnung des Betrachters beitragen. Die Kunsthistorikerin Kerstin Petermann konstatiert: „Gott als Weltbaumeister wurde in der Offenbarung der Natur verehrt, einer Natur, die im künstlich angelegten Landschaftsgarten nun metaphysisch über sich selbst hinausweisen konnte“ (104). Solche dem englischen Vorbild nachempfundenen Landschaftsgärten fanden auch in Norddeutschland Nachahmer.
Weitere Beitrage des Buches befassen sich mit der Geschichte der Freimaurer in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus (Marcus Mayer) sowie mit dem Thema „Logen als Spiegel der Stadtgesellschaft“ am Beispiel der Stadt Celle (Hilke Langhammer). Maßgeblich prägten drei protestantische Pastoren, die jeweils das Amt des „Meisters vom Stuhl“ bekleideten und sich darüber hinaus für die Innere Mission Wicherns engagierten, das Logenleben der niedersächsischen Stadt. Die Hamburger Schriftstellerin Maike Nielsen, die den Roman „Die Freimaurerin“ vorgelegt hat, stellt in ihrem Essay Überlegungen darüber an, „warum eine Geheimgesellschaft des 18. Jahrhunderts heute aktueller ist denn je“ (160ff). Vor dem Hintergrund der freimaurerischen Programmatik plädiert sie für ein neues „Weltgewissen“, „eine neue, weltbürgerliche Pädagogik, interkulturellen Dialog oder, um mit freimaurerischen Worten zu sprechen: eine Erziehung des Herzens und die beständige Arbeit am kosmopolitischen Selbst“ (165).
Ob diese Haltung sich für die Bewältigung eines weltanschaulich-religiösen Pluralismus letztlich als trag- und zukunftsfähig erweisen kann – insbesondere dann, wenn faktisch bestehende religionsverschiedene Aspekte ausgeblendet werden? Schließlich dürfen in einer illustrierten Darstellung der Freimaurer nicht die vielfältigen Verschwörungstheorien über den verschwiegenen Bruderbund fehlen. Die Autorin Vanessa Hirsch beleuchtet gegenwärtige Deutungsversuche in Literatur und Film zwischen Fakt und Fiktion.
Insgesamt bietet der vorliegende Band ein facettenreiches wie ansprechend gestaltetes Panorama der Freimaurerei in Hamburg. Was die Logenmitglieder, ob in der Hansestadt oder anderswo, heute in den Logen erleben, bleibt dabei – wie so oft – leider ein Geheimnis.
Matthias Pöhlmann