Jehovas Zeugen

Körperschaftsrechte in allen Bundesländern

(Letzter Bericht 8/2016, 311f) Im Jahr 2016 wurden der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Baden-Württemberg und in Bremen die Körperschaftsrechte verliehen. Dieser Status wurde der Gemeinschaft am 26. Januar 2017 auch in Nordrhein-Westfalen als letztem Bundesland ohne weiteren Rechtsstreit zuerkannt. Damit sind Jehovas Zeugen rechtlich überall den beiden großen christlichen Kirchen und vielen anderen kleinen Religionsgemeinschaften gleichgestellt.

Seit der Wiedervereinigung haben sich die Zeugen Jehovas intensiv um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes (K.d.ö.R.) bemüht. Noch nie hat ein Verfahren dazu so lange gedauert und war so umstritten. Nachdem im Jahr 2006 Berlin als erstes Bundesland nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen diese Anerkennung ausgesprochen hatte, dauerte es länger als ein Jahrzehnt, bis jetzt alle Bundesländer diesem Antrag zugestimmt haben. Erstaunlich ist, dass Jehovas Zeugen ein solch langwieriges Gerichtsverfahren überhaupt begonnen und bis zu Ende durchgeführt haben. In ihren Augen zählt der Staat eigentlich zum „bösen System der Dinge“, er ist dem Reich Satans zugehörig.

Nun aber besondere Privilegierungen dieses Staates anzustreben, in formalem Sinne als Körperschaft sogar ein Teil dieses Staates zu werden, bringt Jehovas Zeugen in einen theologischen Selbstwiderspruch, der vor allem ihren eigenen Mitgliedern erst noch vermittelt werden muss. Ähnliches galt schon zuvor für ihre Anerkennung als Nichtregierungsorganisation (NGO) bei der UNO, die ja ebenfalls ein rein weltliches Gremium ist. Auch die Einschätzung der beiden großen christlichen Kirchen als „Hure Babylon“ müsste sich damit eigentlich ändern. Man will doch jetzt auf gleicher Stufe mit ihnen stehen! Oder wird hier mit zweierlei Maß gemessen: eines für den Binnenbereich und eines für die Welt?

Jehovas Zeugen haben in den Bundesländern mit Anerkennung in den vergangenen Jahren keinerlei Anstalten gemacht, von den mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Rechten Gebrauch zu machen. Weder hat man eigene Beamte ernannt noch Kirchensteuern erhoben. Möglicherweise strebt die Gemeinschaft den Zugang in Gefängnisse oder Krankenhäuser an. Das eigentliche Ziel, das mit der Erlangung der Körperschaftsrechte wohl erreicht werden soll, ist die damit verbundene gesellschaftliche Aufwertung, um endlich den unangenehmen Ruf einer Sekte zu verlieren.

Allerdings geht es bei den Körperschaftsrechten nur um die Verhältnisbestimmung der Gemeinschaft zum Staat. Das Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Organisationen, auch zu anderen Religionen oder zu den christlichen Kirchen, ist davon nicht unmittelbar betroffen. Hier spielen andere Kriterien eine Rolle. So spiegelt die Beratungswirklichkeit kirchlicher wie nichtkirchlicher Fachstellen, an die sich Ratsuchende aus dem Umfeld der Zeugen nach wie vor wenden, immer noch ein erhebliches Konfliktpotential dieser Gemeinschaft wider. Zwar kam es in den 1990er Jahren zu geringfügigen Änderungen der offiziellen Lehrauffassungen von Jehovas Zeugen. Die Teilnahme an Wahlen wurde zum Beispiel nicht mehr generell untersagt, sondern in die Gewissensentscheidung des Einzelnen gestellt. Gleichwohl gibt es aber immer noch erschreckende Berichte über erheblichen psychischen Druck und rigide Strafmaßnahmen für Zweifler und nicht-konformes Verhalten. Die gelebte Wirklichkeit scheint dem angestrebten öffentlichen Bild der Zeugen Jehovas nicht zu entsprechen.

Auch der theologische Absolutheits- und Exklusivitätsanspruch der Wachtturmgesellschaft, das dualistische Weltbild der Zeugen mit der vermeintlich drohenden ewigen Verdammnis für alle, die nicht diesem Religionsunternehmen angehören, die Lehre von Harmagedon und dem Weltende wie auch das fundamentalistische Schriftverständnis der Bibel, letztlich also wesentliche Kernaussagen ihrer Dogmatik stützen diese kritische Einschätzung von Jehovas Zeugen unabhängig von einer juristischen Einordnung dieser Gemeinschaft.

In Zukunft werden Jehovas Zeugen sich mehr als bisher öffentlicher Kritik und Wahrnehmung stellen müssen. Auch werden sie erklären müssen, was eigentlich ihr konstruktiver Beitrag zum Wohlergehen und Gestalten unserer offenen, längst multireligiösen Gesellschaft ist. Die Lebenswirklichkeit der Mitglieder wird transparenter werden müssen, wenn diese Gemeinschaft tatsächlich aus der Sektenecke herauswill. Ob die „leitende Körperschaft“ wirklich eine Pluralität an Meinungen in Lebens- und Glaubensfragen zulassen wird, bleibt abzuwarten.


Andrew Schäfer, Düsseldorf