Kommt ein Zusammenprall der Kulturen?
Die pessimistischen Zukunftserwartungen des nordamerikanischen Politologen Samuel P. Huntington, der einem Zusammenprall der Kulturen (Clash of Civilizations) entgegensieht, gewinnen angesichts der weltweiten Reaktionen auf die Veröffentlichung von Karikaturen in der konservativen dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ an Plausibilität. Dennoch überzeugen sie nicht, und es ist richtig, wenn Regierungschefs darum bemüht sind, auf das von islamisch geprägten Staaten geschürte Feindbild Westen mit einer differenzierten, nicht pauschalen Kritik am Islam zu antworten. Nicht die gesamte muslimische Welt steht auf gegen den Westen. Politisches Handeln, das sich nach einem „Kampf der Kulturen“ ausrichtet, trägt mit dazu bei, die Zustände herbeizuführen, die von ihm als Angst-Szenario beschworen werden.
Huntington hat allerdings richtig gesehen, dass die Instrumentalisierung der Religion in der Weltpolitik neue Bedeutsamkeit erlangt. Deutlicher als zuvor erkennen wir die Folgen der Globalisierung in Zeiten eines an Einfluss gewinnenden Islamismus: Was in Dänemark publiziert wird, führt vier Monate später zu weltweiten politisch gelenkten Hassausbrüchen, Massenaufläufen und gewalttätigen Übergriffen. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes folgt weder das Ende der Geschichte (Francis Fukuyama) noch das Ende der Ideologien und die endgültige Durchsetzung der Prinzipien der westlichen Welt. Die Welt ist vielmehr „multipolar“ geworden. Die westliche Kultur muss zahlreiche Relativierungen hinnehmen.
Es sind wichtige Einwände gegen die Thesen Huntingtons ausgesprochen worden. Er neigt dazu, wirtschaftliche Konflikte als ethnisch-kulturelle zu deuten und gleichsam religiös aufzuladen. Seine Analysen legen pauschale Wahrnehmungsmuster nahe und gehen von einer tendenziell fatalistischen Betrachtung der Situation aus. Huntington analysiert nicht nur, er spekuliert auch. Er selbst ist inzwischen freilich vorsichtig geworden, den Kampf der Kulturen konkret anzusagen und zu lokalisieren. Vor dem Irakkrieg warnte er eindringlich.
Bemerkenswert ist dennoch, welche Wirkung Huntingtons Thesen in analytischer Hinsicht entfaltet haben und weiter entfalten, auch im Zusammenhang der Stellungnahmen zum Karikaturenstreit.
Wie reagieren die westlichen Demokratien und die christlichen Kirchen auf die neuerlichen Ereignisse und öffentlichen Debatten? Gefordert wird auch jetzt, dem Dialog der Kulturen und der Religionen mehr Aufmerksamkeit zu widmen und ihn mit allen Kräften zu unterstützen. Dem ist beizupflichten. Hilfreich ist ein Dialog allerdings nur in dem Maße, in dem er das Strittige und Unangenehme nicht von der Tagesordnung verdrängt und offene Auseinandersetzungen mit einschließt. Ob Christen, Muslime und Konfessionslose in Fragen der Gewalt, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Meinungsfreiheit einen gemeinsamen Weg gehen können, ist eine durchaus offene Frage.
Kulturrelativismus und Selbstverleugnung, wie sie in einzelnen europäischen Staaten teilweise zur Praxis geworden sind und jüngst auch hierzulande in der „Petition“ von 60 Migrationsforschern zum Ausdruck kamen (vgl. Die Zeit vom 2.2.2006), stellen im Umgang mit islamischem Fundamentalismus keinen zukunftsorientierten Weg dar. Es ist von durchaus zentraler Bedeutung, wenn Regierungschefs es pointiert ablehnen, in die Pressefreiheit als einem fundamentalen Grundrecht demokratischer Staaten einzugreifen. Die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Gewaltmonopol des Staates sind die grundlegenden Prinzipien, die den Freiraum zur religiösen Vielfalt schaffen. Der Verzicht auf ihre Verteidigung wirkt nur vordergründig friedensfördernd. Er begünstigt einen Kampf der Kulturen. Zur Freiheit der Religionsausübung gehört auch die Freiheit zur Religionskritik. Freilich tragen auch die Medien eine Verantwortung dafür, die religiösen Gefühle der Menschen zu respektieren und auf unnötige Provokationen zu verzichten.
Noch viel deutlicher als dies bisher geschehen ist, sollten sich die christlichen Kirchen weltweit für die Rechte ihrer Glaubensgeschwister einsetzen, auch in islamisch geprägten Staaten. Wo dänische, norwegische und deutsche Flaggen brennen und Botschaften gestürmt werden, muss man auch um die Grundrechte von Christen bangen. Marginalisiert, aber geduldet, waren und sind sie in Krisenzeiten nicht selten in ihrer Existenz bedroht. Das gehört deutlicher auf die Tagesordnung kirchlichen und politischen Handelns, ebenso der kaum verhüllte alltägliche Antisemitismus und die Erziehung zum Hass in der islamischen Welt, über die wir viel zu oft leichtfertig hinweg sehen.
Wer den Kampf der Kulturen nicht will, muss seine eigenen Überzeugungen offen legen und verteidigen, er muss Respekt vor dem Anderen mit Standfestigkeit im Blick auf eigene Handlungsorientierungen verbinden. Der religiöse Pluralismus einer demokratischen Kultur ist nicht voraussetzungslos. Er lebt von gemeinsamen Werten und setzt ein gemeinsames Rechtsbewusstsein voraus, dessen Bewahrung nicht automatisch geschieht.
Reinhard Hempelmann