Komparative Theologie
Eine Alternative zu bisherigen religionstheologischen Konzepten?
Wie verhält sich das Christentum zu den nichtchristlichen Religionen? Wie gehen wir mit religiöser Pluralität um? In welcher Haltung, auf welcher Grundlage geschieht die Begegnung mit Andersglaubenden? Wie steht es um das Verhältnis von Zeugnis und Dialog? Wer sich der Gegenwart nicht verschließen will, sucht Antworten auf diese Fragen. Die Religionswissenschaft leistet ihren Beitrag mit Deskription und Analyse aus der Außenperspektive. Die Theologie der Religionen versucht, eine Verhältnisbestimmung aus der Innenperspektive heraus zu entwickeln. Dabei hatte man sich über lange Zeit an einem Dreierschema von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus orientiert, dessen Diskussion jedoch zunehmend als unbefriedigend empfunden wird. Das Schema ist trotz aller Differenzierungsbemühungen zu starr, und es versucht, ganze Systeme in den Blick zu nehmen, um zu einem religionstheologischen Urteil über sie zu kommen. Zu viel Abstraktion, zu pauschal der Versuch, auf diesem Wege über religiöse Wahrheitsansprüche zu befinden – so die Ansicht einer wachsenden Zahl theologischer Forscher vor allem aus dem katholischen Bereich. Sie bringen mit neuen Fragestellungen neue Dynamik in die religionstheologische Debatte.
Die recht unterschiedlichen Ansätze und Verfahrensweisen werden unter dem Begriff „Komparative Theologie“ zusammengefasst. Die Pioniere der hierzulande noch wenig bekannten Entwicklung gehen neue Wege und haben nichts weniger als die Überwindung der bisherigen Aporien in Angriff genommen. Dabei steht ein Anliegen im Vordergrund: Wie kann der Wahrheitsanspruch des eigenen Glaubens mit einer respektvollen, ja positiven Würdigung anderer Religionen in Verbindung gebracht werden? Es wird als Grunddilemma empfunden, wie der Paderborner katholische Theologe Klaus von Stosch es genannt hat, dass keines der bisherigen religionstheologischen Modelle Antwort auf diesen doppelten Wunsch geben kann. In einer „interreligiösen, vergleichenden, dialogischen und zugleich auch konfessionellen Theologie“1 sollen daher durch Begegnung und Vergleich konkrete Elemente der Lehre und der religiösen Praxis verglichen und auf diesem Wege (Vor-)Urteile aus der Vogelperspektive vermieden werden. Das religionstheologische Urteil wird gleichsam aufgeschoben, um der Bewährung im Einzelfall bzw. in vielen Einzelfällen Platz zu machen. Dadurch, dass Gemeinsamkeiten und Differenzen anhand von Fallbeispielen explizit von einem konkreten Standpunkt aus erarbeitet werden, soll eine pauschale Bejahung ebenso wie eine pauschale Verneinung des Wahrheitsgehalts anderer Religionen vermieden werden. Denn „Religionen sind keine Wahrheitscontainer und nicht in der Weise vergleichbar, dass man schaut, in welcher Religion am meisten Wahrheit enthalten ist“.2 Doch ist viel unbefangener, als man es bisher gewöhnt war, vom Wahrheitsanspruch, ja vom „eigenen Unbedingtheitsanspruch“ die Rede. Er wird ernst genommen und in seinem Verhältnis zu anderen Wahrheitsansprüchen bedacht.3
Aporien der religionstheologischen Relationierungsmodelle
Das zentrale Anliegen der Komparativen Theologie lässt aufhorchen. Denn tatsächlich kann man es als eine Sackgasse betrachten, wohin die Theologie der Religionen bislang geführt hat. Der Exklusivismus wird als dialogresistent und als untauglich angesehen, eine Antwort auf das genannte Grunddilemma zu geben, da er andere Religionen pauschal als Irrwege verurteile und somit eine positive Würdigung fremder Wahrheitsansprüche gar nicht erst versuche. Der Inklusivismus (auch Superiorismus genannt) hält daran fest, dass Heil und Wahrheit in unüberbietbarer Gestalt in der eigenen religiösen Tradition zu finden seien, gesteht anderen Religionen jedoch zu, „Strahlen“ oder „Samenkörner“ der Wahrheit zu enthalten. Diese seien zwar letztlich auf die Vollgestalt der Wahrheit in Christus ausgerichtet und wiesen auf sie hin, ließen aber immerhin Raum für darauf aufbauende Wertschätzung. Der Pluralismus geht diesbezüglich am weitesten, indem er die Vermittlung von Heil und Wahrheit in allen Religionen – zumindest den Weltreligionen – als gleichwertig betrachtet. Jede religiöse Tradition erkenne und verwirkliche auf ihre je eigene und doch ebenbürtige Weise nur Aspekte des einen Wirklichen (the Real, Ultimate Reality), das aller Religion zugrunde liege.4
Ausgehend von diesem Schema werden Inklusivismus und Pluralismus als Lösungsansätze für das Grunddilemma diskutiert. Unbefriedigend sind die Ergebnisse deshalb, weil sie entweder auf die pauschale Abwertung anderer Religionen oder auf die Relativierung ihrer Geltungsansprüche hinauszulaufen scheinen. Denn der Inklusivismus kann die andere Religion nur als defizitäre Gestalt der eigenen Perspektive wahrnehmen, zugespitzt gesagt: Er kann am Fremden nur das „andere Eigene“ schätzen, während das genuin Differente davon abgehoben wird. Die Stärke des Pluralismus ist, oberflächlich betrachtet, dass er dem fremden Anspruch nichtselektiv Ebenbürtigkeit einräumt. Zwar soll damit gerade der Wertschätzung der fremden Religion Ausdruck verliehen werden, doch wird diese durch eine Nivellierung, ja durch die Missachtung des jeweiligen Selbstverständnisses erkauft. Die Wahrheitsansprüche der Religionen werden als bloße Aspektwahrnehmungen auf einen gemeinsamen Urgrund, eine letzte Wirklichkeit bezogen. Kontradiktorische Widersprüche können daher nur auf der Seite menschlicher Erkenntnis verbucht werden – was in der Konsequenz die konkreten Glaubensaussagen und -formen der vitalen Religionen inhaltlich entleert und auf einer abstrakten Metaebene in einen Inklusivismus höherer Ordnung einbindet. Was sich offen und tolerant gebärdet, stellt sich als doktrinäre Gleichschaltung von reduzierten Teilwahrheiten heraus. Es sind daher berechtigte Zweifel erhoben worden, ob ein pluralistischer Ansatz tatsächlich religiöse Vielfalt ohne radikale Vereinnahmung, das Fremde also wirklich als Fremdes respektieren kann.
Ansätze der Komparativen Theologie
Hier setzt die Komparative Theologie ein. Ihr „Sitz im Leben“ ist die konkrete Begegnung von Christen mit anderen Kulturen und religiösen Traditionen. Ihre Vertreter setzen angesichts der angesprochenen Aporien auf reflektierte Standpunktbezogenheit sowie auf Offenheit, die durch eine „mikrologische Vorgehensweise“ gewahrt bleiben sollen. Die Aufmerksamkeit wird auf konkrete Differenzen gerichtet, doch nicht in neutralem Abstand wie in der Religionswissenschaft, sondern von einer theologischen Überzeugung aus. Auf der anderen Seite wird mit der Möglichkeit gerechnet, dass der Andere Überzeugendes zu sagen hat und darin unbedingt anerkannt werden muss. Dazu bedarf es des offenen und (möglichst) unvoreingenommenen Dialogs, der eine Anerkennung nicht vorab vollzieht, sie aber auch nicht von vornherein ausschließt. Eine vor der Auseinandersetzung bereits behauptete Übereinstimmung ist ebenso Verweigerung eines Dialogs wie die pauschale Diskreditierung. Noch entschiedener als bisher wird daher auf das aufmerksame Zuhören und das Motto „Miteinander reden – nicht (nur) übereinander reden“ Wert gelegt. Dieser Dialog ist nie abgeschlossen, er betrachtet seine Ergebnisse stets als partiell und vorläufig und hält sich für künftige Korrekturen offen. Der Dialog trägt dazu bei, die eigene Position besser zu verstehen und unter Umständen zu verändern. Die Offenheit der Wahrnehmung und die kritische Haltung gegenüber religionstheoretischen Allgemeinbegriffen wird nicht zuletzt deshalb so stark betont, weil man sich dezidiert absetzen möchte von jeglicher „Apologetik“, die freilich nur als Konglomerat von polemischer Verzerrung und überheblicher Funktionalisierung anderer Religionen zur Demonstration eigener Überlegenheit in den Blick kommt.5 Unter Komparativen Theologinnen und Theologen gehen die Meinungen auseinander, wie weitgehend eine gemeinsame Basis oder ein gemeinsamer Bestand an Grunderfahrungen und Ausdrucksformen theologisch gefasst werden kann und soll. Damit hängt auch die ungeklärte Frage zusammen, wie weit man sich in den Anderen „einfühlen“ kann, wie weit man gehen kann nicht nur in der Kenntnis von, sondern in der Teilnahme an der Perspektive des Anderen. Eine der besonders brisanten Fragen in dem Feld!
Die Methoden und Ergebnisse komparativ forschender Theologinnen und Theologen können hier nicht ausführlich dargestellt werden. Wir nennen nur drei Namen und Beispiele aus ihrer Arbeit, um einen Eindruck zu vermitteln.
• Francis X. Clooney SJ (Harvard Divinity School, Jahrgang 1950) ist einer der Hauptrepräsentanten der neuen Komparativen Theologie. Der Theologe und Indologe entwickelt seine christliche Theologie im Dialog mit verschiedenen hinduistischen Theologien. So studiert er beispielsweise Advaita-Vedanta-Texte und Texte aus Thomas von Aquins Summa Theologiae nebeneinander, erforscht die reiche Kommentarliteratur dazu und initiiert mit unterschiedlichen methodischen Strategien einen intensiven Lernprozess, der den Leser involviert und transformiert. Zwar bleibt der Theologe nach Clooney in (s)einer Tradition verwurzelt, denn eine „Inter-Religion“ wird nicht angestrebt. Doch davon zu unterscheiden ist eine „Inter-Theologie“ – diese ist gewollt und gründet bewusst als eine „konstruktive Theologie“ in zwei (oder mehreren) religiösen Traditionen, die möglichst tiefgehend und möglichst authentisch erfasst werden sollen. Um nach vielen Vergleichen zu einer systematischen Einschätzung kommen zu können, braucht es Clooney zufolge „das Wachsen einer integeren Gemeinschaft, die eine doppelte Loyalität teilt und eine Perspektive gemeinsamen Verständnisses hat“.6 Solch eine Gemeinschaft müsse aber erst noch entstehen. Dieser Entstehungsprozess kann neue Allianzen und neue religiöse Grenzziehungen mit sich bringen. Einige der Buchtitel Clooneys sind hier verräterisch: Theology After Vedanta (1993); Seeing Through Texts (1996); Hindu God, Christian God: How Reason Helps Break Down the Boundaries between Religions (2001; Hervorhebungen F.E.).
• James L. Fredericks (Los Angeles, lehrte in Japan) beschäftigt sich mit dem Vergleich von Christentum und Buddhismus. Er kommt etwa im Vergleich trinitätstheologischer Begriffe (wie Person, Wesen, Hypostase) in orthodoxer Auslegung mit Lehren Dogens (13. Jahrhundert, Gründer einer der Hauptrichtungen des Zen) über die buddhistische Relationsontologie zu ebenso differenzierten wie anregenden Einsichten. Sie stellen die trinitätstheologische Debatte, die vor allem auch innerchristlich geführt wird, noch einmal in ein anderes Licht, zum Beispiel: Wie die Buddha-Natur unabhängig von den Dingen keine Existenz hat – denn alle Dinge sind leer, ohne Selbstsein, ohne Substanz –, so liegt der Durchdringung von Vater, Sohn und Heiligem Geist keine Existenz voraus, kein Wesen, das vorher und unabhängig von der perichoretischen Gemeinschaft der drei göttlichen „Personen“ wäre. Die Hypostasen sind demnach nicht einem metaphysischen Seinsgrund untergeordnet, sie sind nicht Seinsweisen einer unpersönlichen Gottheit, sondern die Gemeinschaft personaler Liebe und Freiheit aller drei Personen wechselseitig und zugleich. Damit ist auch eine Hierarchisierung der Trinität hinfällig. Bei James L. Fredericks ist vielleicht am stärksten das Motiv vorhanden, bei der eigenen Grundüberzeugung zu bleiben und die andere Religion als Hilfe zu benutzen, um den eigenen Glauben besser zu verstehen.
• Klaus von Stosch ist Leiter des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK), das 2009 als neue interdisziplinäre Forschungseinrichtung an der Universität Paderborn etabliert wurde, die erste dieser Art in Deutschland. Er hat sich auf den Islam spezialisiert und setzt sich für die institutionelle Verankerung islamischer Theologie an deutschen Universitäten ein. Er will durch das komparative Verfahren die Grundanliegen von Inklusivismus und Pluralismus so verbinden, dass keine Widersprüche hinsichtlich des christlichen Wahrheits- und Unbedingtheitsanspruchs wie auch hinsichtlich der begrifflichen Möglichkeit der Anerkennung des Anderen als Anderen entstehen. Diese Möglichkeit müsse gedacht werden können, da andernfalls die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus, die als solche Offenheit für Differenz zum Ausdruck bringt, unglaubwürdig werde. Die Rede von dem sich ungeachtet aller Differenzen allen Geschöpfen zuwendenden Gott muss mithin möglich machen, Andersgläubige in ihrer Andersheit zumindest nicht negativ einschätzen zu müssen. Von Stosch geht von der Beobachtung aus, dass Glaubenssätze regulativen Charakter haben. Religiöse Überzeugungen werden deshalb erst richtig verstanden, wenn ihre Verwobenheit mit konkreten Lebenszusammenhängen, also ihre praktischen Auswirkungen im Leben angemessen berücksichtigt werden. Das bedeutet – schon angesichts der unendlichen Vielfalt religiöser Sprachspielformen –, dass abgrenzende Urteile immer als vorläufig zu gelten haben, aber auch und vor allem, dass zum Verstehen letztlich das „Mitspielen der Sprachspiele des Anderen“ notwendig ist.7 Erst vom Verständnis auf dieser Ebene aus kann ich sehen, so Klaus von Stosch, ob und inwieweit meine Fremdinterpretation mit der Eigeninterpretation des Anderen übereinstimmt und wo Korrekturen nötig sind. Bei von Stosch zeigt sich am deutlichsten das (durchaus auch politische) Interesse, auf die Negativpresse des Islam theologisch zu reagieren. Er sieht es als Aufgabe christlicher Theologie, „echte Gleichwertigkeit von Muslimen in ihrem religiösen Glauben denken zu können, ohne Abstriche beim christlichen Wahrheitsanspruch zu machen“.8
Kritische Überlegungen
Die Komparative Theologie übt einerseits entschieden Zurückhaltung, was religionstheologische Urteile angeht. Andererseits dringen von Stosch und andere darauf, sich in die theologische Position des Anderen hineinzuversetzen und daraus Schlüsse „echter Gleichwertigkeit“ zu ziehen. Wie soll das funktionieren? Eine spezifische Schwierigkeit der komparativen Verfahren, so weit sie hier in den Blick genommen wurden, besteht in dem fließenden Übergang vom Respekt im Umgang mit Andersgläubigen zur Anerkennung des anderen Glaubens. Zwischen dem Anliegen, Religionen und ihren Anhängern Respekt entgegenzubringen, und dem Anliegen, andere Religionen „positiv zu würdigen“ bzw. ihren Wahrheitsanspruch „anzuerkennen“ (was immer das heißen mag), liegen jedoch nicht nur ästhetische Grade, sondern kategoriale Unterschiede, etwa zwischen kommunikativem Anspruch und normativer Relevanz. Hier fehlt es an Klarheit darüber, was unter Positionalität, Grundüberzeugung, Wahrheitsanspruch etc. verstanden werden soll – Begriffe, die ja positiv aufgegriffen werden. Es fehlt an Klarheit, dass eine andere Religion – doch wohl in ihrem Wahrheitsanspruch – nicht anerkannt werden kann, ohne dass man die eigene verlässt, was man üblicherweise als Konversion bezeichnet. Durch eine andere Religion berührt und ergriffen zu werden, kann methodisch sicherlich nicht gefordert werden; natürlich kann und darf es auch nicht ausgeschlossen werden. Die Offenheit für unbedingte Anerkennung schließt daher auch Konversion nicht aus, vielmehr ist jenen Recht zu geben, die Bekenntnis und Zeugnis als Bestandteil der Komparativen Theologie verstehen.9
Doch es gibt keine „Teilkonversion“ – was die Rückfrage aufwirft, wie denn die Positionalität verstanden werden soll, wenn es immer nur vorläufige und gleichsam punktuelle Vergleiche gibt, systematische Erkenntnisse daraus aber vertagt werden. Indem von Stosch Unbedingtheitsansprüche durch ihre Verortung in Sprachspielen letztlich doch relativiert – nämlich in Bezug auf kontingente Faktoren einschränkt – und sie offenbar so nebeneinanderstellt und ineinandergreifen lässt, dass sie einander nicht mehr ausschließen (können), werden sie als Unbedingtheitsansprüche obsolet. Zumindest bei einzelnen Vertretern changiert die Komparative Theologie erheblich zwischen Verwurzelung in der eigenen Tradition und Etablierung einer neuen Form jenseits der vitalen Religionsgemeinschaften auf der Grundlage eines eigenen, nämlich pluralistischen Anspruchs.
Was von der Komparativen Theologie in Deutschland bisher bekannt geworden ist, bleibt trotz aller Informiertheit im Detail also im Hinblick auf eines der Kernthemen, die eigene Positionalität, erstaunlich blutleer. Auf einer hohen intellektuellen Reflexionsebene wird eine systematische und religionsphilosophische Theoriebildung geleistet, die dafür, dass sie explizit mit dem christlichen Wahrheitsanspruch umgeht, überraschend wenig Bezug nimmt auf die christlichen Urkunden, zuallererst auf die Heilige Schrift, dann auch auf die Bekenntnisse. Dies ist freilich nicht zufällig so. Christliche theologische Grundeinsichten werden auf der Ebene christlicher (also sozusagen interner) Sprachspiele angesetzt, eben um sie in ihrer (sprachspiel-)praktischen Verankerung auf ihre „Tiefengrammatik“ hin befragen und so mit entsprechenden Phänomenen aus anderen Religionen und deren Tiefengrammatik vergleichen zu können. Damit wird ihnen allerdings der regulative Charakter für das gesamte Theorielayout abgesprochen – was dem Anspruch entgegensteht, eine christliche Theologie der Religionen zu formulieren. Dies bleibt auf der systematischen Ebene nicht ohne Folgen. Nur um zwei Beispiele zu nennen: Dass das Evangelium die „Frohe Botschaft“ nicht nur für einen Kreis von Auserwählten oder zufällig im christlichen Kulturkreis Geborene, sondern für „alle Welt“ ist, kann auch unter der Anforderung des Rufs nach Wertschätzung und Anerkennung nicht einfach introvertiert oder schlicht abgeblendet werden. Dasselbe gilt für die Reflexion auf die menschliche Situation im Licht von Gen 3 (Geschöpflichkeit, Sterblichkeit, Sünde, Gottebenbildlichkeit), der in einer christlichen Theologie der Religionen ein grundsätzlicher, regulativer Charakter eingeräumt werden müsste. Geschieht dies nicht, stellt sich die Frage, welcher Theorierahmen für den komparativen Gesamtrahmen gelten soll. Welche theologische Kriteriologie wird das Verfahren leiten? So tendiert die Komparative Theologie dazu, die komparative Bezugnahme auf zwei oder mehrere religiöse Traditionen in ein größeres Ganzes zu überführen und zu einer eigenen, interreligiösen Theologie fortzuentwickeln. Manche Vertreter fordern explizit, den Glauben „nicht mehr länger an nur eine bestimmte Glaubensgemeinschaft und ihren theologischen Diskurs“ zu binden.10 Die – berechtigte – Forderung eines rationalen Zugangs macht so den rationalen Zugriff auf einer Metaebene zum Joch, in das die zu vergleichenden Religionen letztlich eingespannt werden.
Fazit
Die unhintergehbare Realität des religiösen Pluralismus fordert Theologie und Gesellschaft heraus. Es ist zukunftsblind und geradezu skandalös, dass vielerorts bis zum heutigen Tag Theologie studiert werden kann, ohne dass eine gründliche Auseinandersetzung mit mindestens einer lebenden nichtchristlichen Religion stattfindet (und oft das Judentum nur im Rahmen „neutestamentlicher Zeitgeschichte“ vorkommt!). Ein zentrales Anliegen der Komparativen Theologie verdient daher breite Beachtung und Unterstützung: das theologische und interreligiöse Studium der nichtchristlichen Religionen in der Haltung „epistemischer Demut“ angesichts der Unbedingtheit heterogener Wahrheitsansprüche. Der kundige komparative Ansatz kann den Dialog von Vertretern unterschiedlicher Religionen vertiefen, klären, schärfer konturieren.11
Es hat sich freilich gezeigt, dass auch die Komparative Theologie von den Grundfragen, die sich schon bisher jeder Religionstheologie gestellt haben, nicht suspendiert ist. Und es ist nicht zu übersehen, dass sie sich je nach Akzentuierung derzeit vornehmlich zwischen Inklusivismus und – der Mehrheit der Protagonisten näherliegend – pluralistischen Optionen ansiedelt. Der komparative Prozess darf aber, ja kann nicht die im Letzten theologisch zu deutende Konkurrenz zwischen differierenden Wahrheitsansprüchen aufheben oder negieren. Er kann auch die entscheidende und existenzielle Bindung an das, was – angesichts der menschlichen Erkenntnisgrenzen in aller Demut – als Wahrheit erkannt worden ist, nicht kurzerhand als vorläufig erklären, um sich nicht festlegen zu müssen.12 Andernfalls fällt er hinter seinen Anspruch zurück in eine relativistische Perspektive, die den Religionen Teilwahrheiten oder Aspekte der Wahrheit zuschreibt. Die Schwächen einer solchen Sicht sind vielfach beschrieben und begründet worden. Insofern ist das, was von Stosch für das Grunddilemma hält, vielleicht nicht das entscheidende. Vielleicht liegt das Grunddilemma doch darin, dass wir es noch nicht gelernt haben, die unbedingte Geltung der eigenen Wahrheitsgewissheit mit der unbedingten Achtung vor fremden Wahrheitsansprüchen so zu verbinden, dass Liebe und Klarheit, Solidarität und Kritik in unserer menschlichen Zuwendung dem sich ungeachtet aller Differenzen allen Geschöpfen zuwendenden Gott die Ehre geben.13
Friedmann Eißler
Anmerkungen
1 Francis X. Clooney, Hindu God, Christian God. How Reason Helps Break Down the Boundaries between Religions, Oxford u. a. 2001, vii (zit. nach Volker Küster, Einführung in die Interkulturelle Theologie, Göttingen 2011, 289).
2 K. v. Stosch / K. Bergdolt, Wahr oder tolerant?, 20.
3 „Es geht dabei um ein nicht-reduktionistisches Sich-Abarbeiten an dem Problem, das durch die Unbedingtheit heterogener Wahrheitsansprüche entsteht.“ So K. v. Stosch in: R. Bernhardt / K. v. Stosch (Hg.), Komparative Theologie, 18.
4 Die vierte mögliche Grundoption, der Atheismus, bleibt hier außer Betracht.
5 Fairness und Authentizität werden apologetischer Voreingenommenheit und Verzerrung gegenübergestellt. Immerhin gibt es einige Stimmen, die in dem konfessionellen Charakter Komparativer Theologie auch die apologetische Komponente sehen und positiv würdigen (so F. X. Clooney).
6 Zit. nach R. Bernhardt / K. v. Stosch (Hg.), Komparative Theologie, 112.
7 K. v. Stosch, Komparative Theologie – ein Ausweg aus dem Grunddilemma ...?, 305.
8 K. v. Stosch, Der muslimische Offenbarungsanspruch, 53f.
9 Und dies nicht als Einbahnstraße. Man darf es aussprechen: Dem christlichen Glauben darf missionarische Ausstrahlungskraft zugetraut werden!
10 Norbert Hintersteiner, zit. in: R. Bernhardt / K. v. Stosch (Hg.), Komparative Theologie, 337.
11 Siehe Felix Körner, Reizwort Dialog. Wo das christlich-muslimische Gespräch schärfer werden muß, in: Stimmen der Zeit 113 (2008), 535-546. Unerlässlich ist dazu das Studium der Grundlagentexte der Originalquellen in den jeweiligen Ursprachen.
12 „Wem ein Gott nicht widerfuhr, der sieht seine Gottheit nicht ein! Der Absolutheitsanspruch der Religionen ist daher für die eigene Religion unabweisbar, für jede fremde Religion nicht nachvollziehbar“, formulierte schon Carl Heinz Ratschow in seiner markanten Diktion (Die Religionen, HST 16, Gütersloh 1979, 127). Umstrittenheit Gottes (1. Gebot!), Unterscheidung von Evangelium und Gesetz, Heilshandeln und Welthandeln Gottes – diese und andere Themen bleiben einer christlichen Theologie der Religionen aufgegeben.
13 Noch einmal Ratschow (ebd.): „Toleranz quillt aus der Tiefe der eigenen Gotteserfahrung ... Wo aber der fremde Gott in seiner ganzen Unzugänglichkeit respektiert ist, da beginnt die religiöse Toleranz.“
Literatur
Bernhardt, Reinhold / Stosch, Klaus von (Hg.), Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie, Beiträge zu einer Theologie der Religionen Bd. 7, Zürich 2009
Bochinger, Christoph, Religionsvergleiche in religionswissenschaftlicher und theologischer Perspektive, in: Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. / New York 2003, 250-281
Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien, EKD-Texte 77, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 2003
Clooney, Francis X., Comparative Theology. Deep Learning Across Religious Borders, Oxford 2010
Klimkeit, Hans-Joachim (Hg.), Vergleichen und Verstehen in der Religionswissenschaft, Studies in Oriental Religions Bd. 41, Wiesbaden 1997
Patton, Kimberley C. / Ray. Benjamin C. (Hg.), A Magic Still Dwells. Comparative Religion in the Postmodern Age, Berkeley / Los Angeles / London 2000
Stosch, Klaus von / Bergdolt, Klaus, Wahr oder tolerant? Zum Grunddilemma der Theologie der Religionen, Paderborn u. a. 2009
Stosch, Klaus von, Komparative Theologie – ein Ausweg aus dem Grunddilemma jeder Theologie der Religionen?, in: ZKTh 124 (2002), 294-311
Stosch, Klaus von, Der muslimische Offenbarungsanspruch als Herausforderung komparativer Theologie, in: ZKTh 129 (2007), 53-74