Islam

Kopftuchverbote und -gebote in Österreich

Kopftuchverbote und -gebote in Österreich. Das Kopftuch wurde in den letzten Jahren zu einem zentralen Symbol der Auseinandersetzung um die Präsenz und auch die Interpretation des Islam, insbesondere in westlichen Ländern. Während die Verwendung des Kopftuchs auch innerhalb der islamischen Welt auf eine sehr durchwachsene Historie zurückblicken kann, wurde es hierzulande zu einer Art Chiffre, an der sich Befürworter und Gegner abarbeiten.

Auch Österreich ist davon nicht verschont geblieben. Dabei sind nun in den letzten Monaten die Meinungen in unterschiedlicher Art und Weise aneinandergeraten, und die jeweiligen Akteure positionierten sich mehr oder minder eindeutig. Auf der einen Seite ist dabei von politischer Seite der Ruf nach einem Verbot des Kopftuchs lauter geworden, das den bislang stärker thematisierten Bezug auf die Bekleidungstradition der Burka überholte. Letztere ist bekanntermaßen ein sehr spezifisches Kleidungsstück, das außerhalb des Raumes von Afghanistan und Pakistan so gut wie gar nicht präsent ist – außer bei einigen wenigen Konvertiten, die damit aber zumeist eine recht eindeutige Positionierung im Spektrum des westlichen Islam markieren.

Ähnlich wie in Deutschland wurde nun auch in Österreich die Frage nach der Präsenz eines Kopftuchs im öffentlichen Dienst diskutiert und unterschiedlich beantwortet.1 Eine etwas ungeschickte Aussage des Bundespräsidenten Van der Bellen über eine Art notwendiger Solidarisierung mit Musliminnen durch demonstratives Tragen eines Kopftuchs war in den letzten Monaten einer der Höhepunkte dieser politischen und gesellschaftlichen Debatte.2

Außer Frage steht, dass das Kopftuch Gegenstand des öffentlichen Interesses wurde und damit wohl automatisch auch des innermuslimischen Diskurses. Das dürfte nun auch der Hintergrund für die jüngste Positionierung der offiziellen Vertretung der Muslime in Österreich, der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), sein, die beträchtliches Staunen auslöste. Konkret handelt es sich um eine Rechtsauskunft zu diesem Thema, die angesichts der bisherigen Praxis der IGGÖ ungewöhnlich ist, aber offensichtlich für so wichtig erachtet wird, dass sie aktuell eine der wenigen längeren Stellungnahmen auf der offiziellen Website der IGGÖ darstellt. Das offiziell als „Beschluss des Beratungsrates der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich für Glaubenslehre und religiöse Angelegenheiten zum Thema ‚Stellung der Verhüllung im Islam‘“ bezeichnete Dokument ist im Wesentlichen ein Rechtsgutachten (fatwa), das vom Mufti der IGGÖ im Namen des Schura-Rates unterzeichnet ist.3 Dieser Beratungsrat wird in der Regel dann aktiv, wenn es unabhängig voneinander mehrere Anfragen an die IGGÖ über Aspekte der Glaubenspraxis gibt, die es zu beantworten gilt. Die jeweiligen Beschlüsse haben dabei keinen verpflichtenden Charakter, sondern sind als Empfehlung gedacht. Allerdings geben diese Kundgaben einen Einblick in Grundorientierungen und -ausrichtungen der aktuellen Präsidentschaft der IGGÖ.

Der aktuelle Text stellt am Anfang fest, dass „für weibliche Muslime ab der Pubertät … in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen“ ein „religiöses Gebot“ (fard) sei und damit „Teil der Glaubenspraxis“. Es liege dabei schon in der „erzieherischen Verantwortlichkeit der Erziehungsberechtigten“, die jungen Mädchen bereits früh an diese „Glaubenspraxis“ heranzuführen, weshalb man eine Orientierung in diese Richtung (= das Tragen des Kopftuchs schon vor der Pubertät) unterstützen müsse. Zwar wird zusätzlich festgestellt, dass diejenigen, „die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten“, nicht „von anderen abgewertet werden dürfen“, doch erscheint dieser kurze Satz wie eine pflichtschuldige Referenz an die aktuelle Diskussion. Zumal gesondert sogar das Tragen des Gesichtsschleiers als zwar „Minderheitenmeinung“ (nämlich der hanbalitischen und der schafiitischen Rechtsschule) ausgewiesen wird, aber dann doch auch mit dem Charakter der „Pflicht“ (fard). In der aktuellen Diskussion positioniert man sich damit recht eindeutig: Möglichst schon vor der Pubertät soll das Tragen des Kopftuchs zumindest avisiert werden. Das Kopftuch selbst ist Teil der Glaubenspraxis und als fard eine Verpflichtung.

Der Hauptteil der fatwa beschäftigt sich in klassischer Art und Weise mit dem rechtlichen Nachweis dieser Aussage, und zwar basierend auf Koran, Sunna und dem Gelehrtenkonsens. Zitiert werden dabei zwei klassische Stellen zur Verschleierungsdebatte, Sure 24,31 und 33,59 (nicht jedoch 24,60), ohne allerdings auf die äußerst vielfältige Interpretationsgeschichte dieser schwierigen Koranstellen einzugehen. Dazu kommen zwei Stellen aus der Hadithliteratur und der abschließende Verweis auf den „Gelehrtenkonsens“ (idschma‘), der als weiterer Nachweis gilt.

Mit diesem Text positioniert man sich in der aktuellen Debatte unter Bezug auf eine sehr konservative Lesart der Überlieferung, die nicht ansatzweise aktuelle Debatten oder Überlegungen aufgreift, geschweige denn thematisiert. Entgegen der bislang geübten Praxis, dieses Thema mehr oder minder der individuellen Entscheidung der einzelnen Musliminnen zu überlassen, trägt man eine eindeutige Position vor.

Es nimmt nun nicht wunder, dass sich einige bekannte Muslime Österreichs sehr kritisch über diesen Text äußerten.4 So positionierte sich die langjährige Pressesprecherin der IGGÖ, Carla Amina Baghajati, die in Österreich eine Art öffentliches Gesicht des Islam ist, mehr oder minder deutlich gegen dieses Gutachten und seine recht eindeutige Intention. Sie verweist darauf, dass das Tragen eines Kopftuchs keine „Säule“ des Islam sei und es unbedingt notwendig sei, die Deutungshoheit darüber, was Frauen anziehen oder nicht anziehen, den Frauen selbst zu überlassen. Ähnlich argumentierte auch der ehemalige Präsident der IGGÖ, Fuat Sanaç, der der Vertretung zudem empfahl, sich bei den Themen auf die österreichische Gesellschaft zu konzentrieren.5

Nach der Veröffentlichung und der sehr kontroversen Wahrnehmung in den Medien und durch einige Politiker unterschiedlicher Parteien6 ließ sich auch in den Reihen derer, die dieses Gutachten veröffentlicht hatten, ein gewisses Nachdenken beobachten. In einem jüngeren Interview mit dem Präsidenten der IGGÖ, Ibrahim Olgun, wird in Aussicht gestellt, dass „solche Themen künftig sensibler präsentiert werden sollten“ – was auch immer das heißt. Denn vom eigentlichen Inhalt wird nicht abgewichen: Man habe schlicht die „islamisch-theologische Sicht“ wiedergegeben. Das Kopftuch sei „seit 1500 Jahren“ ein religiöses Gebot und damit Teil der islamischen „Glaubenspraxis“.7 Zur Verteidigung des Textes wird vom Präsidenten der IGGÖ auch hervorgehoben, dass man sich in dieser fatwa gegen den Gesichtsschleier ausgesprochen bzw. dessen Tragen nicht empfohlen habe. Allerdings lässt der veröffentlichte Text diese Interpretation nicht zu. Wie oben bereits angeführt, wird dort nur dahingehend argumentiert, dass es freistehe, der „Minderheitenmeinung“ einiger Rechtsschulen zu folgen. Eine explizite Ablehnung oder Problematisierung wäre anders zu formulieren gewesen.

Es ist davon auszugehen, dass diese Thematik auch in den kommenden Monaten aktuell bleiben wird. In Österreich läuft gerade der Wahlkampf für eine verfrühte Nationalratswahl im Oktober dieses Jahres. Der Bezug auf die Migrationswellen der letzten Jahre und die Frage, wie man mit den neuen Entwicklungen umgehen sollte, wird ein wichtiges Kapitel darin darstellen.


Franz Winter, Graz


Anmerkungen

  1. Vgl. etwa kurier.at/politik/inland/pro-und-contra-kopftuch-im-oeffentlichen-dienst/240.100.362 (Abruf der angegebenen Internetseiten: 26.6.2017).
  2. Vgl. www.welt.de/vermischtes/article164022903/Van-der-Bellens-Tag-an-dem-alle-Frauen-Kopftuch-tragen.html .
  3. www.derislam.at/index.php?c=content&p=beitragdet&v=beitraege&cssid=Stellungnahmen&navid=1180&par=50&bid=53 .
  4. Vgl. http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5179731/Islaminterner-Konflikt-um-Kopftuchgebot
  5. Vgl. http://religion.orf.at/stories/2829530
  6. Vgl. etwa http://religion.orf.at/stories/2829312 .
  7. Vgl.   derstandard.at/2000058351297/Am-Ende-weiss-nur-Gott-wer-ein-guter-Muslim-ist  .