Jehovas Zeugen

Korrekturen der Endzeitaussagen bei den Zeugen Jehovas

(Letzter Bericht: 10/2012, 383-385) Ein Markenzeichen der Zeugen Jehovas sind ihre detaillierten Aussagen über die Endzeit. Von der Öffentlichkeit werden dabei vor allem Voraussagen über das Weltende wahrgenommen, die sich immer wieder änderten, z. B. die Endzeitvorhersagen für 1914, 1925 oder 1975. Weniger ins Auge fallen Veränderungen in den Aussagen über den Fahrplan des Weltendes. Solches geschieht in einem Artikel in der neuesten Ausgabe des Wachtturms vom 15.7.2013 („Sag uns, wann werden diese Dinge geschehen?“, www.jw.org/de/publikationen/zeitschriften/w20130715/jesus-prophezeiungen-letzte-tage). Dabei handelt es sich um die Studienausgabe des Wachtturms, die nur intern unter den Zeugen Jehovas kursiert, aber nicht bei der Straßenmission oder den Haustürbesuchen verteilt wird. Jehovas Diener hätten sich „im Lauf der Jahre eingehend mit Jesu Prophezeiung [in Matth 24 und 25] beschäftigt“ und man verstehe jetzt besser, „wann sich Jesu Worte erfüllen“. Anhand der folgenden drei Fragen wird erläutert, wie man jetzt den Ablauf der Endzeitereignisse sieht: Wann beginnt die große Drangsal? Wann urteilt Jesus über die Schafe und Ziegenböcke? Wann wird Jesus kommen oder ankommen?

Interessant ist immer wieder die Frage, wie man die Korrekturen früherer Aussagen begründet. Eine traditionelle Argumentationslinie war der Hinweis, dass Jehova „in den letzten Tagen helleres Licht gebe“ (so im Wachtturm vom 15.11.1972 oder vom 15.2.2006). Die Erkenntnis der Wahrheit werde in der Zeit des Endes zunehmen, weil Jehova die Dinge klarer erscheinen lasse. Im Prinzip wurden damit eigene Irrtümer Gott angelastet, der angeblich früher unpräzise Aussagen gemacht habe. Vor einigen Jahren (z. B. im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1995) konnte man in Bezug auf die falsche Ankündigung des Weltendes für 1975 lesen, dass sich „einige an dieses Jahr klammerten“. Hier wurde der Eindruck erweckt, es handle sich um einige wenige Übereifrige. Tatsächlich waren es jedoch Aussagen des Leitungsgremiums der Zeugen Jehovas (der „Leitenden Körperschaft“), die für alle Zeugen Jehovas verbindlich sind. In der neuesten Wachtturm-Ausgabe heißt es nun: „Wir schlussfolgerten ...“ oder „In der Vergangenheit hieß es in unseren Veröffentlichungen ...“ Damit wählt man jetzt Formulierungen, die einen kollektiven Irrtum der Glaubensgemeinschaft beschreiben. Das ist sicher ein Fortschritt. Allerdings ist auch dieses Bild nicht ganz korrekt. Der einzelne Zeuge hatte in Fragen der Endzeitlehre keinen Spielraum, sondern war und ist angehalten, die Aussagen der Leitenden Körperschaft zu übernehmen.

Es ist zu wünschen, dass die Leitende Körperschaft selbst die Verantwortung für frühere irrtümliche Aussagen übernimmt. Und vielleicht stellt man sich in einem weiteren Schritt auch der Frage, warum es in der Vergangenheit zu falschen Aussagen kam (und wohl auch heute zu Aussagen kommt, die in der Zukunft wieder korrigiert werden müssen). Der Wunsch, dass die Zeugen Jehovas einmal ganz auf die Erstellung eines Endzeitfahrplans verzichten und sich an das Wort Jesu erinnern „Ihr wisst weder den Tag noch die Stunde“ (Matth 25,13), wird wohl mittelfristig unerfüllt bleiben, weil die Zeugen Jehovas damit eines ihrer Markenzeichen verlieren würden.


Gerald Kluge, Radeberg