Religiöse Landschaft

„Kraftwerk Religion“ - eine Ausstellung in Dresden „über Gott und die Menschen“

Das Deutsche Hygienemuseum in Dresden (www.dhmd.de) widmet sich nach seinem Selbstverständnis der conditio humana. Dazu gehört die Fähigkeit des Menschen, sich in Religionen auf etwas Transzendentes, Unverfügbares zu beziehen oder auch nicht religiös zu sein. Die seit Oktober 2010 gezeigte Ausstellung „Kraftwerk Religion. Über Gott und die Menschen“ stellt entsprechend den Menschen mit seinem Glauben oder auch Unglauben ins Zentrum. Eine religionskundliche Schau will die Ausstellung ausdrücklich nicht sein. Eine Herausforderung der Ausstellung liegt darin, im stark säkularisierten ostdeutschen Kontext gleichermaßen religiöse wie nichtreligiöse Menschen anzusprechen. Der Wunsch der Kuratorin Petra Lutz ist es, dass Menschen am Ende weniger feste Vorstellungen von Religionen haben und nachdenklicher sind. Man möchte differenzieren und dabei Verwirrung zulassen.

Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele Themen aufgegriffen werden. Die Ausstellung ist in drei Räumen als Landschaft gestaltet. Am Boden erheben sich Berge und Inseln aus grauem Filz, darüber erstrecken sich Stoffsegel wie Wolken unter der Decke, auf die weiß leuchtende kontroverse Zitate zur Religion projiziert werden. Die Ausstellung kombiniert eine wissenschaftliche Außensicht auf Religionen mit individuellen Ansichten von Gläubigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, von Agnostikern und Atheisten zu religiösen und letzten Fragen. Über 50 Interviews mit Menschen meist aus der Region wurden im Auftrag des Hygienemuseums geführt. Zu Wort kommen offizielle Religionsvertreter, unter anderen der Bischof der sächsischen Landeskirche, Jochen Bohl, und Ender Cetin, Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.), von atheistischer Seite Philipp Möller von der „Giordano Bruno Stiftung“. Befragt wurden außerdem die Politiker Andrea Nahles und Thomas de Maizière, dazu zahlreiche oft jüngere „Laien“, zum Beispiel eine konfessionslose junge Frau aus Leipzig, eine evangelikale Jugendpastorin aus Dresden, ein buddhistischer Student der TU Dresden aus Thailand, eine Bulgarin, die zur Hare-Krishna-Gemeinde in Berlin gehört, eine Muslimin, eine Jüdin aus Dresden, ein orthodoxer Jude und eine Tarot-Kartenlegerin. Dicht hintereinander geschnitten kann man ihre Antworten auf je eine Frage an Bildschirmen in der Ausstellung verfolgen, z. B.: Woran glauben Sie? Was ist der Sinn des Lebens? Wie beten Sie? Zweifeln Sie manchmal? Haben Sie schon einmal ein Wunder erlebt? Was hoffen Sie? Haben Sie Angst vor dem Tod? Wie sind Sie zu ihrem Glauben gekommen? Könnten Sie jemanden heiraten, der etwas ganz anders glaubt? Was ist für Sie Blasphemie? Wie denken Sie über die Kopftuchdebatte? In was für einer Gesellschaft wollen Sie leben? Was finden Sie an anderen Religionen spannend? Treffen Sie mit ihrem Glauben auf Vorurteile? Waren Sie schon einmal in anderen Gotteshäusern? Macht Religion die Welt friedlicher? Möchten Sie andere von ihrem Glauben überzeugen? Gibt es Grenzen der Religionsfreiheit? Kann man alles rational erklären? Die Interviews machen mindestens die Hälfte der Ausstellung aus, so die Kuratorin. Erste Ausstellungsbesucher berichten, dass vor allem die Interviews zum Nachdenken anregen: Was würde man selbst auf diese Fragen antworten?

Weitere Bestandteile der Ausstellung sind etwa 300 Objekte und Erklärstationen. Hier werden in vierminütigen Filmen komplexe Themen auf humorvolle Weise erklärt – z. B. die Reformation. Es sind vor allem Fragen, die die Ausstellung stellt, auch in den kurzen erklärenden Texten zu den Ausstellungsstücken. Wenn man die Ausstellung betritt, ist das wie ein Grenzübertritt in ein fremdes Land. Der Besucher nähert sich von außen der unbekannten Fremde und dringt von Raum zu Raum tiefer in die Welt religiösen Glaubens vor.Im ersten Raum geht es um das konfliktreiche Verhältnis von Religion und moderner Gesellschaft. Hier sind die Filzlandschaften kantig mit groben, nach außen sichtbaren Nähten. In den „Himmel“ wird unter anderem ein Zitat Voltaires geblendet: „Was soll man einem Menschen entgegenhalten, der sagt, er wolle lieber Gott als den Menschen gehorchen, und daher überzeugt ist, in den Himmel zu kommen, wenn er einem den Hals abschneidet?“ An der Station „Widerstand und Verfolgung“ weist die Kuratorin auf eine Stickbibel einer in den 1950er Jahren in der DDR inhaftierten Zeugin Jehovas hin. Hinter der aufgeschlagenen Textstelle Apg 5,29 verbirgt sich der Vers: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Welche Bedeutung das Bibelzitat gewinnen kann, hängt auch von der Gesellschaftsform ab, in der Menschen leben.

Im Themenbereich Säkularisierung gibt es einen „proletarischen Haussegen“ zu sehen. Es geht um „Heilige Kriege“, „Christliche Mission“, Religionswissenschaften und „Debatten“. Elf Objekte werden gezeigt, an denen sich in den letzten Jahren Debatten entzündet haben, darunter das Kopftuch der Lehrerin Fereshta Ludin, mit deren Fall sich das Bundesverfassungsgericht befasst hatte, und ein Kruzifix aus einer Schule. Der zweite Ausstellungsraum beschäftigt sich mit Fragen der Zugehörigkeit zu religiösen Gemeinschaften: „Eintritt“, „Lernen“, „Tradieren“, „Heilige Dinge“, „Pilgern“, „Verbinden“, „Zeichen“, „Umverteilen“, „Gehorchen“, „Streiten“, „Austreten, Konvertieren, Ausschließen“ und „Sterben“. Gezeigt werden z. B. das Taufkleid Thomas Manns und die Taufschale, in der Friedrich Nietzsche getauft wurde. Eine muslimische Variante der Barbiepuppe mit Schleier weist auf verschiedene Prägungen in der Kindheit hin. An Bildschirmen erzählen Kinder wichtige Geschichten aus ihrer religiösen Tradition nach. In der Mitte des Raumes steht eine ganze Sammlung von Flaschen „heiligen“ Wassers. Nonnen äußern sich dazu, was das Tragen ihrer Ordenskleidung für sie bedeutet.Im letzten Raum berühren sich Himmel und Erde. Eine große, nach hinten kippende Leinwand teilt den Raum. Auf der Vorderseite formen sich aus einer „Ursuppe“ von Buchstaben 75 letzte Fragen: „Dürfen wir alles? Wieso kreuzen sich Parallelen im Unendlichen? Soll ich alles verschenken? Was hat das Leben mit mir vor? Gibt es die einzig wahre Liebe? Wie bringe ich Gott zum Lachen?“ Auf der Rückseite ist eine großformatige Filmcollage mit betenden Menschen in Casablanca, Mailand, Rangun, Peking, Dresden, Jerusalem usw. zu sehen. Ihre Gebete, ihr Murmeln und Singen erfüllt den Raum.

Hier im dritten Raum der Ausstellung geht es um „Offenbarungen und Letzte Fragen“, um die Beziehung des Menschen zu Gott. Gezeigt werden heilige Schriften, eine Wunderheilungsakte aus Lourdes, es geht um „Mittler“ und „Magische Dinge“.Zu sehen ist auch eine Bank aus einer Zisterzienserinnenabtei, abgenutzt von den täglichen Gebeten über viele Jahre. Sie versinnbildlicht auch den Versuch, etwas, das man nicht sehen kann, sichtbar zu machen. An manchen Stellen ist bei den ersten Besuchern eine Unzufriedenheit mit der Fülle und dem scheinbaren Durcheinander der Objekte wahrzunehmen. Wie lässt sich abbilden, was Religiosität in unserer Zeit bedeutet? Wie zeigt man dies Menschen, für die Religiosität etwas Fremdes ist? Im Begeleitbuch zur Ausstellung erwähnt die Kuratorin Petra Lutz eine Szene im Mailänder Dom. Dort trennt ein Sichtschutz den Bereich, in dem die Messe gefeiert wird, vom Besichtigungsbereich für Touristen. Immer wieder versuchen Besucher, durch einen schmalen Spalt in der Stellwand einen Blick auf das Geschehen im Inneren zu erhaschen. Längst schauten wir auf die eigenen Rituale und Traditionen wie auf ein Fremdes, so die Kuratorin.

Der Blick der Ausstellung fällt nicht wie durch einen Sichtspalt auf ein geschlossenes Ganzes. Wie durch ein Kaleidoskop sind bunte Splitter zu sehen. Es gibt viele Fragen und auf diese noch mehr verschiedene Antworten der interviewten Stimmen. Dennoch zeigen die individuellen Stimmen auch, dass Religion in diesem Land sehr lebendig ist. Ebenfalls zeigt sich an der Ausstellung der enorme gesellschaftliche und mediale Druck, der mit religiösen Fragen verbunden sein kann. Einen solchen spürten auch die Ausstellungsmacher während der Projektentwicklung. Sie hätten dem Gefühl, Standpunkte beziehen zu müssen, nicht nachgegeben, so Lutz. Dennoch ist allenthalben die gesellschaftliche Zündkraft der aufgeworfenen Fragen zu spüren. Religion begegnet hier als eine kontroverse und ernste Angelegenheit, die dazu nötigt, sich zu positionieren. Zu dieser Dynamik passt der Titel der Ausstellung „Kraftwerk Religion“. Die Ausstellung ist bis zum Abschluss des Kirchentages am 5. Juni 2011 in Dresden zu sehen. Sie wird von einem umfangreichen Programm begleitet.


Claudia Knepper