Gesellschaft

Kreationismus - nun auch in Europa?

Die Lehre von der Schöpfung der Welt in sechs Tagen ist Teil des protestantischen Fundamentalismus in den USA, wo seit Jahren ein heftiger Kulturkampf zwischen Kreationisten und Darwinisten ausgetragen wird.1 Die Auseinandersetzungen beschränkten sich bisher - von wenigen Ausnahmen abgesehen - vor allem auf den sog. "bible belt" in Amerikas Mittelwesten.2 Umfragen der vergangenen Jahre in den USA belegen jedoch, dass sich knapp die Hälfte der Amerikaner zum Kreationismus bekennen.

Eine Alternative zum Kreationismus stellt die stark anwachsende "Intelligent-Design"-Bewegung dar, die eine Art Mittelposition in diesem Richtungsstreit einnimmt. Sie geht von einem intelligenten Bauplan in der Natur aus, enthält sich aber einer letztgültigen Deutung und lässt metaphysische Mutmaßungen aus dem Spiel, weil die Argumente wissenschaftlich überzeugen sollen. Vereinfacht dargestellt suchen die führenden Vertreter den Weg zu beschreiben, auf dem eine "intelligente Informationsübertragung" stattgefunden haben könnte. Wohl um interne Auseinandersetzungen zu vermeiden, sind dabei die vertretenen Deutungsansätze dieser jungen, gut zehn Jahre alten Bewegung breit gestreut, wobei ihre Führungsriege angeblich aus "wiedergeborenen Christen" bestehen soll und die konservative Templeton Foundation einer ihrer maßgeblichen Sponsoren ist.3

Während in 31 Bundesstaaten der USA seit Jahren erbittert darüber gestritten wird, ob und wie die Evolutionstheorie in den Schulen vermittelt werden soll, werden hierzulande kreationistische Ansätze kaum thematisiert.4 Biologistische Erklärungen breiten sich hingegen unhinterfragt über immer neue Wissensgebiete aus - beispielsweise in der Psychologie: So erklärt ein geläufiges Lehrbuch der Sozialpsychologie partnerschaftliche Attraktivität nach wie vor mit dem Verhältnis von Taille zur Hüftweite und erklärt legitimierend, warum Männer eine angeborene Tendenz zu sexuellen Zufallsbekanntschaften haben. Oder es wird - so kürzlich in einem Themenheft zu "Verhalten, Persönlichkeit, Psyche" eines renommierten Wissenschaftsmagazins - herausgearbeitet, wie sich Strategien der Partnersuche oder Kommunikation zwischen Tieren und Menschen ähneln, und dass die Suche nach Sinn und Orientierung zu irrationalem Verhalten führe - "zu Religion, Aberglaube und Magie".

Anders als in Amerika, schien ein Dialog zwischen darwinistischen und kreationistischen Wissenschaftlern in Europa bislang undenkbar. Möglicherweise ändert sich das, nachdem die Evolutionsdebatte nun auch in der europäischen Öffentlichkeit angekommen ist. Im April hatte Italiens Bildungsministerin eine umfangreiche Schulreform auf den Weg gebracht. Als ein Bestandteil dieser Reform sollte ab dem kommenden Schuljahr in Italien die Evolutionstheorie bis zur achten Klasse im Biologieunterricht nicht mehr vermittelt werden. Die Kinder, so argumentierte man im Ministerium, verstünden eine so komplexe Materie in dieser Entwicklungsphase noch nicht. Nur, wer sich naturwissenschaftlich spezialisiert, werde später mit den konkurrierenden Vorstellungen der Evolutionstheorie und Schöpfungslehre konfrontiert. Es hagelte daraufhin massive Proteste von Wissenschaftlern. Mehrere zehntausend Intellektuelle hatten sich bei der Ministerin beschwert. So bleibt die Evolutionslehre nun Teil des Lehrplans an italienischen Grundschulen.

Das rigorose Vorgehen der streng katholischen Ministerin ist problematisch, zumal die päpstliche Akademie der Wissenschaften im Vatikan im letzten Jahr einen internationalen Kongress zur Evolutionstheorie durchgeführt hat, auf dem Darwins Theorie von den Veranstaltern ausdrücklich als wissenschaftlich relevant anerkannt wurde. Vielleicht entsteht dadurch aber eine neue Bereitschaft, die Voraussetzungen jeglicher Theoriebildung stärker zu berücksichtigen und 'Gläubige' und 'Skeptiker' unterschiedlicher Weltbilder miteinander ins Gespräch zu bringen.

Anmerkungen

1 Vgl. H. Hemminger, Kreationismus, in: Panorama der neuen Religiosität, Gütersloh 2001, 431-438.
2 Vgl.http://zeus.zeit.de/text/2003/19/Kreationisten.
3 Vgl. T. Waschke, Intelligent Design - eine Alternative zur naturalistischen Wissenschaft?Skeptiker4/2003.
4 Vgl. zum Beispiel die Entwürfe von R. Junker, S. Scherer, Evolution: Ein kritisches Lehrbuch, Gießen 1998; E. Gutsche (Hg.), Zur Diskussion um Schöpfung und Evolution, Marburg 1998.


Michael Utsch