Psychologie / Psychotherapie

Kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Rütte-Forum

(Letzter Bericht: 9/2001, 293-298) Der Psychologe Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) war als diplomatischer Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes zwischen 1938 und 1945 in Japan tätig. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Buddhismus entwickelte er eine „Psychotherapie in dem Geiste des Zen“, die er „Initiatische Therapie“ nannte (initiare: das Tor zum Geheimen öffnen).

Ihr Grundanliegen besteht darin, das Einswerden des Menschen mit seinem „transzendenten“ Wesenskern zu fördern. In dieser Behandlungsform werden Erkenntnisse der Ganzheitspsychologie mit tiefenpsychologischen Konzepten, christlicher Mystik und den Übungswegen des Zen zu einer eigenen Form spiritueller Psychotherapie verbunden.

1951 gründete Dürckheim ein Ausbildungsinstitut für Initiatische Therapie in Todtmoos-Rütte (Schwarzwald), aus dem das „Rütte-Forum“ hervorgegangen ist (Zentrum für Psychotherapie, Selbsterfahrung und Weiterbildung in der Transpersonalen Psychologie und Initiatischen Therapie). Es hat derzeit etwa 20 ortsansässige Mitarbeiter.

Erst eine umfassende historische Japanstudie aus dem Jahr 2014 brachte zum Vorschein, in welchem Ausmaß Dürckheim damals an der nationalsozialistischen Propaganda beteiligt war. Anfang Oktober 2017 veranstaltete deshalb die Bildungsstätte die Tagung „Licht und Schatten der Meister – Wege zur Läuterung“ (vgl. www.ruette-forum.de/Tagung-Oktober-2017). „Es scheint unumgänglich“, heißt es im Prospekt, „dass die ‚NachfolgerInnen‘ und SchülerInnen von Graf Dürckheim … sich auch mit den Schattenseiten des Lehrmeisters befassen“. „Auch 70 Jahre später ist es wichtig, sich nicht an einer Kultur des Wegschauens und des Beschönigens zu beteiligen, sondern zur Aufklärung beizutragen … Leider hat Graf Dürckheim sich … nicht in der erforderlichen Klarheit von seinem früheren Verhalten distanziert. So ruht auf ‚Rütte‘ ein schweres Erbe.“

Es ist sehr zu begrüßen, wenn eine spirituelle Bewegung vor unbequemen und schmerzhaften Aspekten der eigenen Geschichte nicht die Augen verschließt und eine offene und transparente Aufarbeitung anstrebt. Dass seitdem eine lange Zeit vergangen ist, macht die Verarbeitung nicht einfacher.


Michael Utsch