Lehrerin der Zwölf-Stämme-Gemeinschaft verurteilt
(Letzte Berichte: 3/2015, 113f; 11/2015, 424f) Eine 56-jährige Lehrerin der „Zwölf Stämme“ ist am 21. Juni vom Landgericht Augsburg zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die 56-Jährige mindestens vier Schüler und ihre eigene Enkelin über mehrere Jahre hinweg wiederholt mit einer Rute gezüchtigt hat. Sie habe sich damit der vorsätzlichen und gefährlichen Körperverletzung sowie der Misshandlung Schutzbefohlener schuldig gemacht.
Die Angeklagte wurde noch im Gerichtssaal verhaftet. Der Richter begründete die Festnahme mit Fluchtgefahr. Erstmals muss damit ein Mitglied der „Zwölf Stämme“ für Misshandlungen ins Gefängnis. Zuvor hatte das Nördlinger Amtsgericht mehrere Mütter der umstrittenen Glaubensgemeinschaft zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil sie ihre Kinder geschlagen hatten. Im September 2013 hatten die Familiengerichte in Ansbach und Nördlingen den Eltern der „Zwölf Stämme“ wegen Kindesmisshandlung das Sorgerecht für etwa 30 Kinder entzogen.
Die am Montag in zweiter Instanz verurteilte Frau hatte in Klosterzimmern bei Nördlingen als Lehrerin der „Zwölf Stämme“ gearbeitet. Eine entsprechende Ausbildung hatte sie nicht. Die Gruppe betrieb jedoch jahrelang eine eigene Schule. Während ihrer Tätigkeit schlug die Frau nach Angaben des Gerichts immer wieder Kinder mit einem Stock. Die Angeklagte hatte im Prozess die Schläge zwar eingeräumt, jedoch betont, die Disziplinierungen seien im Sinne der Kinder gewesen. Das Gericht machte in seiner Urteilsbegründung die Lehrerin für eine ganze Reihe von Misshandlungen an Minderjährigen verantwortlich. So soll sie unter anderem zwei Jungen, die mittlerweile in einer Pflegefamilie wohnen, bis zu achtmal täglich gezüchtigt haben. Einer der beiden habe bis zu 30 Schläge bekommen, weil er stotterte. Auch hätten Kinder für Schwätzen im Unterricht oder Aus-dem-Fenster-Schauen ohne Ermahnung Stockhiebe auf den Po bekommen. Ebenso für Bettnässen hätten Kinder Prügel bezogen. Eines der Kinder sei wegen der häufigen Prügel traumatisiert und deshalb in Behandlung.
Zugunsten der Lehrerin legte das Gericht aus, dass sie ihre Taten eingeräumt hatte. Reue erkannte der Vorsitzende Richter jedoch bei der Angeklagten nicht. Er verwies vielmehr auf „die Heftigkeit und Vielzahl der Schläge“, mit denen die Erzieherin auch kleine Kinder bestraft habe. Wegen ihrer religiösen Überzeugungen werde die Frau künftig kaum darauf verzichten, Kinder mit Prügel zu bestrafen, hieß es. Auch ihre eigene Enkelin sei dadurch weiter gefährdet.
Das hohe Strafmaß und harte Durchgreifen des Gerichts erstaunt. Die deutsche Rechtsprechung zeigt damit jedoch exemplarisch, dass der Staat das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung und ihre körperliche Unversehrtheit schützt. Diese elementaren Menschen- und Grundrechte dürfen selbst Eltern und Erziehungsberechtigte mit Verweis auf ihre freie Religionsausübung nicht verletzen.
epd / Michael Utsch, 15.10.2016