Rosenkreuzer

„Liebe wird die Brücke sein“ - Ein Rückblick auf den Weltkonvent 2007 des A.M.O.R.C. in Berlin

(Letzter Bericht: 3/2001, 84ff, vgl. auch 9/2004, 338) Mit einer „Logen-Konvokation“, in deren Mittelpunkt „eine Botschaft des Imperators Frater Christian Bernard“ stand, ging am 19. August der Weltkonvent 2007 des Antiquus Mysticusque Ordo Rosae Crucis (A.M.O.R.C) in Berlin zu Ende. Die weltweit sehr aktive Rosenkreuzerorganisation trägt im Deutschen die Bezeichnung Der Alte und Mystische Orden vom Rosenkreuz. Nach eigenen Angaben hat der A.M.O.R.C. weltweit etwa 250000, in Deutschland rund 2500 Mitglieder. In 38 deutschen Städten bestehen jeweils rosenkreuzerische Studiengruppen.

A.M.O.R.C., der 1917 von Harvey Spencer Lewis (1883-1939) gegründet wurde, versteht sich als eine „philosophisch-mystische Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die höheren Gesetze der Natur und den Kosmos zu erforschen“. In einer neuen Broschüre stellt sich die Gruppe als eine „Nachfolgeorganisation der Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts“ vor. Sie will als „Initiatenorden“ einen Einweihungsweg lehren, der den Studierenden „zu größerer Erkenntnis und eigener Gotteserfahrung“ anleiten soll. Dies soll über die Initiationspraxis und die Einweihung in verschiedene Gradstufen bzw. Erkenntnisstufen vermittelt werden. Als vorrangiges Ziel wird das Studium der Mystik genannt. Damit sollen die geistigen Fähigkeiten des Einzelnen entwickelt und geschult werden.

Der Weltkonvent 2007, der vom 16. bis 19. August 2007 stattfand, unterstrich noch einmal dieses Anliegen. Rund 1 800 Mitglieder aus zahlreichen Ländern waren in das Berliner Tempodrom gekommen, um an den vier Tagen „mystische Unterweisungen“ aus den weltweiten Jurisdiktionen zu hören, Meditationen und Rituale („Konvokationen“) zu erleben und die innere Gemeinschaft zu stärken. Im Programmheft stand zu lesen: „Dann können wir erspüren, was es heißt, im rosenkreuzerischen Geiste zusammen zu kommen und miteinander beizutragen, dass dieser Weltkonvent zu einem würdigen und nachhaltigen Erlebnis für jeden Rosenkreuzer werden wird.“ Im Internet wurde vorab ein Grußwort des A.M.O.R.C.-Weltpräsidenten Christian Bernard (Jg. 1951), der innerhalb der Organisation den Titel „Imperator“ führt, veröffentlicht, aus dem das esoterische Selbstverständnis des Rosenkreuzerordens hervorgeht: „Während die Ursprünge unseres Rosenkreuzertums traditionell auf das alte Ägypten zurückgehen, liegen die Quellen seiner gegenwärtigen Geschichte größtenteils in Deutschland. Es ist also eine Reise ins Herz des Rosenkreuzes...“

Während die meisten Vorträge für Gäste zugänglich waren, blieben drei Veranstaltungen auf den Kreis der A.M.O.R.C.-Mitglieder beschränkt: Es handelte sich dabei um die Pronaoskonvokation bzw. Logenkonvokation sowie um den sog. „großen T.M.O.-Konventikel mit Botschaft des Imperators“. Im Programmheft hieß es: „Nur für TMO-Mitglieder! Bitte entsprechende Ritualkleidung – Kragen bzw. Schärpen – bereithalten.“

Parallel dazu fand an den Tagen ein umfangreiches Kinderprogramm statt. Im Foyer des Tempodrom wurden Bücher des A.M.O.R.C., Ritualgegenstände sowie CDs zum Verkauf angeboten. Die 45-Minuten-Vorträge, die jeweils von den Großmeistern (Frauen und Männern) der weltweiten Jurisdiktionen gehalten wurden, enthielten auch meditative Elemente, um das Gehörte durch praktische Übungen zu vertiefen.

Die Veranstaltung wirkte in technischer und organisatorischer Hinsicht gut vorbereitet. Es gab Simultanübersetzungen in mehrere Sprachen. Die Teilnehmer zeigten sich sehr diszipliniert. Auf pünktliches Erscheinen zu den Vorträgen legten die Veranstalter großen Wert. 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn wurden die Türen für den Einlass geöffnet und zeitnah geschlossen. Das Programmheft vermerkte: „Der Einlass nach Beginn der Veranstaltung ist nicht mehr möglich, wofür wir um Verständnis bitten.“ Parallel zu den laufenden Veranstaltungen gab es ein eigenes Kinderprogramm, das im „Raum der vier Elemente“ stattfand. Geboten wurde den Kleinen neben Malen und Basteln auch eine Kinderkonvokation und Gebete für den Frieden.

Bereits am Vorabend des Kongresses hatten die Veranstalter zu einem öffentlichen Vortrag für Mitglieder und Gäste in das Berliner Tempodrom eingeladen: Großmeister Maximilian Neff sprach vor rund 500 Zuhörern über „Mythos, Lehre, Philosophie der Rosenkreuzer“. Bei seinen Ausführungen wurde das Selbstverständnis dieser Rosenkreuzervereinigung noch einmal deutlich: Im Zentrum steht der „Weg der Einweihung“, der als „Weg der Evolution des Geistes“ betrachtet wird. Dabei klang auch das Thema „Karma und Reinkarnation“ an, das zwar vom A.M.O.R.C. nicht offiziell vertreten wird, jedoch zum festen Bestandteil der Weltanschauung dieser Rosenkreuzergruppe gehört und in den Vorträgen des Weltkonvents immer wieder anklang. Mit der Einweihung – so Neff – vollzieht sich das Heilwerden des Menschen mithilfe von Ritualen und einer „kosmischen Ausrichtung“. Der Mensch würde zwei Ebenen des Seins angehören – der materiellen und der geistigen Welt. Allerdings würde er nicht im Einklang mit seinem wahren Wesen leben. Nur die Seele, die in dieser Perspektive als wichtigster Bestandteil des menschlichen Wesens gilt, sei in der Lage, Gotteserfahrungen zu sammeln. Der Mensch müsse daher seine Intuition entdecken und sie mit Meditation und Kontemplation schulen. In Abgrenzung zur Esoterik-Szene – hier war gar von „Pseudo-Esoterikern“ die Rede – stellte Neff heraus, dass es sich bei der im rosenkreuzerischen Sinne angestrebten Erleuchtung um einen langsamen Weg handle. Anschließend erläuterte der deutsche A.M.O.R.C.-Großmeister die verschiedenen Ebenen und Einweihungen. Auf einer ersten Stufe, die die drei sog. Neophytengrade oder Atriumgrade (als Stufen zum Portal des Tempels) umfasst, mache der „Neophyt“ erste Erfahrungen mit seiner Intuition, wodurch sich das innere Wesen des Menschen mitteile. Damit erhalte der Einzelne Zugang zum Wissen von Vergangenheit und Zukunft (Reinkarnation). Auf der zweiten Stufe, mit der insgesamt neun Tempelgrade folgen, überschreite der Kandidat die Stufen der Inspiration, womit er die geistige Essenz der Dinge zu erfassen beginne. Mit der Aufnahme der Lehre habe die Veredelung des Lebens begonnen. Die dritte Stufe sei – wie Neff weiter ausführte – der Liebe zugeordnet. Hier erfahre der Mensch in den Hochgraden die Einheit, und er ahne den Einklang mit dem Göttlichen. Es komme dabei zur Vermittlung der Lehre, wonach äußere Erfahrungen den Spiegel des inneren Geistes darstellten. Weitere Einzelheiten über Inhalte und nähere Ziele dieses „mystischen Erkenntnisweges“ wurden indes nicht mitgeteilt. Der Konvent wurde mit einer Eröffnungszeremonie feierlich eröffnet und am vierten Tag mit einer Schließungs-Zeremonie beendet.

Zu Beginn des Kongresses beschrieb „der Großmeister für die USA und das englischsprachige Amerika“, Frau Julie Scott (Jg. 1958), den Gründer des A.M.O.R.C. in ihrem Vortrag „Harvey Spencer Lewis – Kosmische Mission erfüllt“ als Visionär. So habe er Zugang zu den mystischen Gesetzen, zu Visualisation, Meditation und Konzentration erlangt und sich damit ganz in den Dienst an anderen gestellt. Unterbrochen wurden die eher hagiografischen Ausführungen der US-Amerikanerin über den Werdegang Spencers durch praktische Übungen. Das Publikum sollte dreimal tief ein- und ausatmen. Dann setzte Julie Scott mit den Worten ein: „Rosenkreuzer sandten uns gute Gedanken, bevor wir geboren wurden. Öffnen Sie sich für gute Gedanken früherer Rosenkreuzer. Hören Sie gute Wünsche für den wahren inneren Frieden. Danken Sie für dies gewirkte Vermächtnis. Senden Sie Gedanken an zukünftige Rosenkreuzer! Senden Sie nun Ihre Botschaft!“ Weitere praktische Übungen unterbrachen immer wieder ihre Ausführungen: Mit geschlossenen Augen sollten die Zuhörer ihre eigene kosmische Aufgabe erkennen: „Wir sind der Kanal für die göttliche Intelligenz!“ Die Teilnehmer wurden aufgefordert, bequem zu sitzen, drei Atemzüge zu nehmen und sich beim Ausatmen jeweils zu entspannen. Insgesamt sieben Mal sollte dabei ein lang gezogenes „Aaauumm“ intoniert werden. Dadurch würde, so Julie Scott, die Zirbeldrüse angeregt werden. Die Teilnehmer sollten sich auf den Mittelpunkt des Gehirns konzentrieren: „Stellen Sie sich vor, Sie steigen zum kosmischen Sanctum auf!“ Den Abschluss bildete das gemeinsam gesungene Lied „Oh Liebe, die die Angst vertreibt und Freude über uns verströmt, befreie und beschütze uns“.

Im weiteren Programm folgten weitere Vorträge mehrerer Großmeister der unterschiedlichen, nach Kontinenten aufgeteilten Jurisdiktionen. Über „Emanuel Swedenborg und seine Botschaft für die Gegenwart“ sprach der Großmeister für Skandinavien, die Norwegerin Live Söderlund (Jg. 1963). Mehrere Personen trugen in einer Art feierlicher Prozession mehrere Bücher Swedenborgs zu einem auf der Bühne befindlichen Tisch. Dort wurden sie in Stapeln abgelegt. Live Söderlund schilderte kurz den Lebenslauf des schwedischen Visionärs. In ihren Ausführungen konzentrierte sie sich auf das Berufungserlebnis Swedenborgs und stellte dabei dessen Intuition heraus: Ganz im A.M.O.R.C.-Sinne wurde er als Prototyp für den Initianden eines esoterischen Schulungsweges – einer „heiligen Mission“ – vorgestellt: „Swedenborg fand sein eigenes inneres Licht und teilte es anderen mit.“ Swedenborg habe die Kirche, nicht aber die Bibel in Frage gestellt. Eine eigenwillige Erklärung lieferte die Vortragende im Blick auf die Tatsache, dass in Swedenborgs Werk die Reinkarnationslehre fehle. Darüber sei sie persönlich enttäuscht. Doch sie lieferte eine schlichte wie überraschende Erklärung: Die Reinkarnationslehre sei eine der Wahrheiten, über die die Engel ihm nicht zu sprechen erlaubt hätten. „Swedenborg lebte zur Ehre des Universums und zum Guten des Ganzen.“ Abschließend wurden die Bücher Swedenborgs in einer feierlichen Prozession von Mitwirkenden wieder von der Bühne getragen.

Der Weltkonvent bot neben den Vorträgen von zwölf Großmeistern auch drei interne, nur Mitgliedern von A.M.O.R.C. zugängliche Veranstaltungen. Am letzten Abend kam das von einem Ordensmitglied verfasste Theaterstück „Moses – oder die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ – infolge technischer Probleme allerdings mit einer Stunde Verspätung – zur Aufführung. Auf der Bühne unterhielten sich Charlotte von Stein, Lessing und Schiller über die Religion. Schließlich mündete das Stück in die bekannte Ringparabel, die im Sinne einer überkonfessionellen bzw. religionsübergreifenden A.M.O.R.C.-Perspektive interpretiert wurde. Am Ende erhielt jeder Besucher ein Glas Sekt, um nach einem „Toast“ des deutschen Großmeisters auf den „Orden“ anstoßen zu können. „Ein multikultureller Abend mit mystischer Note“ schloss sich daran unmittelbar an. Er beschränkte sich jedoch weitgehend auf den Besuch des im Foyer aufgebauten reichhaltigen Abendbuffets.

Dem kritischen Beobachter wurde schnell deutlich, dass der esoterische Weg von A.M.O.R.C. in der Entwicklung und Schulung der intuitiven Fähigkeiten des Einzelnen besteht. Zahlreiche intuitive Übungen, die die Vorträge begleiteten, ließen dies sinnfällig erkennen. Unübersehbar war insbesondere, dass sich die Weltanschauung dieser geschlossenen Rosenkreuzergruppe weniger aus einem christlichen denn aus einem gnostischen Welt- und Menschenbild speist. Der theosophisch geprägte Karma- und Reinkarnationsgedanke spielt in dem System eine wichtigere Rolle, als dies offiziell vertreten wird. Manches erinnerte an freimaurerische Ritualistik, die jedoch bei A.M.O.R.C. stark von esoterischem bzw. theosophischem Geist durchdrungen ist. Damit erweist sich diese Rosenkreuzergruppe nicht mehr als christlich-mystisch, sondern vielmehr als esoterisch-synkretistisch geprägt.


Matthias Pöhlmann