Literaturmission ohne Absender - Anmerkungen zur Kampagne "Kraft zum Leben"
Sendungen, die per Post in unsere Wohnungen kommen, informieren bereits auf dem Briefumschlag über den Absender. Als Empfänger von Werbeprospekten wollen wir jedenfalls wissen, wer uns anspricht. Wenn Kaufhof, Wertheim oder OBI für Produkte werben, enthält die Werbeaktion in der Regel den jeweiligen Namen des für die Aktion Verantwortlichen. Ob ich gelangweilt oder interessiert reagiere, hängt vom Absender ab. Tritt jemand werbend in das Licht der Öffentlichkeit ohne zu sagen wer er ist, provoziert er kritisches Nachfragen und nötigt den Empfänger, sich ein Bild über den Absender zu machen.
Auch wenn öffentlich - in Zeitungen, zeitweilig im Fernsehen, auf großen Plakatwänden - für den christlichen Glauben geworben wird, gelten solche Regeln. Ein Buch soll geschenkweise in die Hände möglichst vieler Frauen und Männer gelangen. Spenden werden ausdrücklich zurückgewiesen und es wird zugesichert, dass dem Betreffenden keinerlei Verpflichtungen erwachsen. Das Buch hat den Titel "Kraft zum Leben". Es handelt sich um ein 134-seitiges, zusammengesetztes Buch. 1983 wurde es in seinen Hauptteilen von Jamie Buckingham, einem aus dem Baptismus und der charismatischen Bewegung kommenden Autor, geschrieben, 2001 übersetzt, überarbeitet und um vorangestellte Teile erweitert. Eine Organisation, die Arthur S. DeMoss Foundation, verfügt über viel Geld, das u. a. zur Verbreitung dieses Buches eingesetzt wird. Prominente Sportler, u.a. der Golfspieler Bernhard Langer und der Fußballer Paulo Sergio, sind bereit, ihren Namen herzugeben, um die gute Nachricht zu unterstützen, die durch die Verbreitung des Buches unter die Leute kommen soll. "'Power For Living' is powerful reading. Its message has changed - and in some cases saved - the lives of millions" ("Das Lesen des Buches ,Kraft zum Leben' baut den Menschen auf. Es hat das Leben vieler Millionen verändert und in nicht wenigen Fällen gerettet"). Doch die Aktion erreicht ihr Ziel nicht. Warum?
Das Buch will den Leser zu einem christlichen Leben einladen. Es enthält zahlreiche aus der Sicht des christlichen Glaubens zustimmungsfähige Aussagen. Es ist also kein "Sektenbuch", sondern in seiner inhaltlichen Ausrichtung dem Spektrum des konservativen Evangelikalismus zuzuordnen. Auf den ersten 20 Seiten kommen verschiedenste Autoren mit Lebens- und Glaubenszeugnissen zu Wort. Im Weiteren beansprucht "Kraft zum Leben" eine Anleitung zum christlichen Glauben zu sein. Solche Anleitungen sind heute angesichts des Verdunstens christlicher Glaubensorientierungen fraglos nötig. Im 4. und 5. Kapitel des Buches finden sich Impulse zum Bibelstudium. Ob das Buch kirchendistanzierte Zeitgenossen anspricht, ist allerdings fraglich. Auf die Schwierigkeiten neuzeitlicher Menschen im Umgang mit dem christlichen Glauben geht es wenig ein. Es stellt vier geistliche Gesetze und Prinzipien in den Mittelpunkt seiner Aussagen, die durch die Organisation "Campus für Christus" bekannt wurden (1. Gott liebt dich - 2. Der Mensch ist sündig - 3. Christus rettet den Menschen - 4. Jeder muss Christus persönlich annehmen) und vermittelt einen schematischen Weg zum christlichen Glauben, der dem Sachverhalt nicht gerecht wird, dass die befreiende Kraft des Glaubens sich für viele Menschen nicht in einem Augenblick, sondern in einem Prozess erschließt. Die Sprache des Buches bleibt auf den Binnenbereich einer bestimmten Frömmigkeitsform beschränkt. Auf eine Darlegung des Zusammenhangs zwischen Glauben und Handeln wird verzichtet. Die klassischen ethischen Themen des protestantischen Fundamentalismus (Schutz des ungeborenen Lebens, Eintreten für die Todesstrafe, Kampf gegen Feminismus und Homosexualität, Engagement für Pornographieverbot, etc.), für die sich die DeMoss Stiftung im amerikanischen Kontext engagiert, spielen in dem Buch keine Rolle. Der christliche Glaube wird vor allem unter der Perspektive der individuellen Rettung und Vergewisserung gesehen.
Die Aktion versteht sich als Literaturmission. Vor wenigen Jahren, 1995, war es die Schrift Reinhard Bonnkes "Vom Minus zum Plus", die ähnliche Ziele verfolgte. Bonnke ließ diese Schrift per Post an alle Haushalte versenden und versprach sich davon eine flächendeckende Evangelisierung Deutschlands. Vielfach landete seine Schrift im Papierkorb. Über Chancen und Grenzen von Literaturmission wird auch von den Initiatoren dieser Kampagne offensichtlich nicht nachgedacht. Auf eine gemeindliche und kirchliche Kontextualisierung wird verzichtet. Die Werbeaktion erfolgte ohne jede Rücksprache mit den bestehenden christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Evangelistische Großaktionen, wenn sie wirkungsvoll sein sollen, bedürfen jedoch vorauslaufender Konsultativprozesse und einer breiteren Trägerschaft. Im Zusammenhang dieser Aktion stellt sich erneut die Frage, was Mission heute heißt und bedeutet und wie ein glaubwürdiges missionarisches Zeugnis heute aussehen kann. Mission ist ein Kommunikationsgeschehen. Zum christlichen Zeugnis gehört ein Zeuge, der bereit ist, Gesicht zu zeigen und Auskunft zu geben. Zwar haben die Prominenten ihre persönliche Glaubensüberzeugung öffentlich zur Sprache gebracht, die Initiatoren der Aktion halten sich jedoch bedeckt und verzichten darauf.
Das Management der Aktion ist äußerst unprofessionell. Wer Namen und Adresse angibt, um die kostenlose Publikation zu bekommen, hört die Nachricht, dass mit einer Zusendung wegen der großen Nachfrage erst in vier Wochen zu rechnen sei. Andere berichten darüber, dass sie sich schon vor Monaten an eine Postfachadresse in Schorndorf gewandt haben, ohne das Buch bekommen zu haben. Niemand ist jedoch bereit, für die Stiftung DeMoss zu sprechen. Diejenigen, die den Auftrag bekommen haben, das Buch zu verschicken, können über die Stiftung nichts sagen. Selbst die werbenden Sportler wissen kaum, was sich hinter der DeMoss Stiftung verbirgt. Wer anfängt, im amerikanischen Kontext zu recherchieren, wird darauf stoßen, dass die DeMoss Stiftung enge Verbindungen in den Kontext des politisierten konservativen Protestantismus unterhält. 1979 starb Arthur DeMoss, ein erfolgreicher Versicherungsunternehmer, dessen Glaubenszeugnis in dem Buch abgedruckt ist. Er hinterließ ein Millionenvermögen, mit dem zahlreiche Projekte sowohl evangelikaler wie auch christlich-fundamentalistischer Bewegungen unterstützt werden.
Das Informationsverhalten der Initiatoren der Kampagne hat in Deutschland dazu geführt, dass im Vordergrund der Debatte nicht der Inhalt des Buches steht, sondern die Frage, wer hinter dieser Aktion steckt. Dies zu erfahren, darauf hat der Empfänger einer Botschaft ein Recht. Wer für den christlichen Glauben in der Öffentlichkeit wirbt, sollte den Mut haben, sich zu zeigen. Geheimniskrämerei, fehlende Transparenz, Informationsverweigerung entsprechen jedenfalls nicht dem Evangelium, das für die Menschen eine Kraft zum Leben sein will.
Reinhard Hempelmann