Lust auf "Okkultur"? Schwarze Themen im Monumentalsound
"Aufgeschlagen liegt es da, seit Menschengedenken bewacht vom Herrn der Schatten, das Buch mit den düsteren Legenden, verfasst vom Atem der Zeit. Nur alle Tausend Jahre wird den Sterblichen Einblick gewährt, auf dass die Botschaft nie in Vergessenheit gerate. Die Botschaft der Offenbarung..." Mit diesen Worten, vorgetragen von der markanten wie voluminösen deutschen Stimme des international bekannten Schauspielers Oliver Reed, beginnt die neueste CD "Finsternis" der deutschen Gruppe "E Nomine", die im Januar 2002 veröffentlicht wurde und sich zum Kassenschlager entwickelt. Auf der Internetseite heißt es: "E Nomine ist der Dance-Akt, dessen Stimme die Dancefloors der Clubs vibrieren lässt." Mit ihrem neuen Album "Finsternis" habe - so die Plattenfirma - "E Nomine" einen "neuen Musiktrend initiiert und eindrucksvoll untermauert". Aufwändig ist das Werk in jedem Fall: Von einer einjährigen Produktionszeit und absurden Produktionskosten ist die Rede. An den Aufnahmen waren nicht nur der 90-köpfige Chor und das Orches ter der Deutschen Oper Berlin, sondern auch die bekannten deutschen Stimmen von Jack Nicholson, Anthony Hopkins, John Malkovich und Nicolas Cage beteiligt. Über die deutsche Synchronstimme von Robert De Niro, Christian Brückner, heißt es in der Werbung, sie ginge "dermaßen unter die Haut, dass man eine Gänsehaut nach der anderen bekommt..." Die Plattenfirma ist sich sicher: Diese Fusion aus beidem (Chor bzw. Orchester und markanten Stimmen) "sorgt für ‚Monumental Dance' der nächsten Generation". Der Inhalt spricht für sich, der CD-Titel "Finsternis" ist Programm. Die einzelnen Titel bieten ein wahrhaft schattenreiches Spektrum: Mitternacht, Wolfen (Das Tier in mir), Draculs Bluthochzeit, Séance, Das Böse, Hexenjagd, Der Exorzist, Herr der Schatten, Angst, Exitus und Aus dem Jenseits. Die einzelnen Titel werden durch so genannte "Interludes" (Zwischenstücke mit gesprochenem Text) miteinander verbunden, was "für ein weiteres Highlight im Hörerlebnis" sorgen soll. Die Auswahl dieser düsteren Themen überrascht umso mehr, als "E Nomine" 1999 im Album "Das Testament" biblische Themen und Zitate (Vater unser, Psalm 23) aufgegriffen und mit dem eigenwilligen Monumentalsound unterlegt hatte.
Beide Produkte von "E Nomine" zeigen im direkten Vergleich: Markante Stimmen sind unverwechselbar, Inhalte und Themen - ob hell oder dunkel - bleiben dagegen austauschbar und letztlich beliebig. Dies hängt auch von marktstrategischen Erwägungen der "Macher" ab. Doch nicht nur die Kommerzialisierung allein ist dafür ausschlaggebend. Offenbar liegt in den dunklen Themen und Motiven, die "E Nomine" literarischen und filmischen Vorlagen (u.a. Dracula, Der Exorzist) entlehnt und neu inszeniert, ein besonderer Reiz. In Teilen der jugendlichen Subkultur, etwa bei den Gothics, sind "schwarze Themen" geradezu Programm. Auch ein Blick ins Internet beweist: Vampirismus, Düsteres und auch Nekrophilie finden sich im Netz zuhauf.
Mit der CD "Finsternis" zeichnet sich die gezielte Kommerzialisierung dunkler Themen als neuer Musiktrend ab - mit der Folge, dass sie nun auch breite Teile der Musik- und Clubszene erreichen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. So wird im "Forum" der Internetseite kontrovers über die Rezeption der neuesten CD diskutiert. Einer schreibt, er höre die Musik ohne an Gott oder Satanismus zu denken. Ein anderer sieht in den Texten "eine Gratwanderung zwischen Perversität und Faszination". Manche äußern die Befürchtung, dass diese Musik auch für satanistische Umtriebe missbraucht werden könnte. In einem anderen Beitrag heißt es: "Mir persönlich gefallen die Lieder von E Nomine gerade deswegen, weil sie keine Liebeslieder sind ... und (nicht) nur von Friede, Freude, Eierkuchen handeln, sondern auch von den Schattenseiten des Lebens und des Glaubens." Er argumentiert mit dem klassischen Dualismus: "Denn wenn jemand an Gott und Engel glaubt, dann kann er Dämonen nicht leugnen."
Die ästhetisiert-gruselige musikalische In -s zenierung hat nicht nur Unterhaltungs-, sondern auch Erlebniswert. Die CD "Fins ternis" thematisiert verdrängte Themen aus dem gesellschaftlichen Schattenreich. Auf der Suche nach ersehnten "Kicks", nach Formen, um sich von der als langweilig empfundenen Anderswelt der "Normalbürger" abzugrenzen, sind viele musikalische Wege, Inszenierungen und Ausdrucksformen möglich. Tabubrüche sind einkalkuliert. "E Nomine" ist nur ein Beispiel unter vielen. Vor einer vorschnellen "Dämonisierung" sollte man sich allerdings hüten. Einen wichtigen Hinweis, das Werk so einzuordnen, wie es vielleicht gemeint sein könnte, liefert das jüngste Produkt selbst. So findet sich ein kleingedruckter Schriftzug auf der Rückseite des Albums, das nicht nur über die Namen der Produzenten, sondern auch über das "Label" der Plattenfirma Aufschluss gibt. Schlicht und einfach heißt es da: "Zeitgeist".
Matthias Pöhlmann