Magic. A Very Short Introduction
Owen Davies, Magic. A Very Short Introduction, Oxford University Press, Oxford 2012, 140 Seiten, 7,99 GBP.
Der Sozialgeschichtler Owen Davies widmet sich gerne Themenstellungen mit Abgrenzungsschwierigkeiten. Nach dem Band „Paganism“ in derselben Reihe nun also Magie: „Defining ‚magic‘ is a maddening task.“ Daher lässt der Autor es bleiben. Und natürlich kann eine wissenschaftliche Untersuchung zur „Magie“ auch nicht von der Existenz übernatürlicher Einwirkung des Menschen auf die Wirklichkeit ausgehen, die sich definitorisch abgrenzen ließe. Im Sinne evidenzbasierter Wissenschaft gibt es keine Magie. Also nähert sich Davies dem Thema phänomenologisch und konstruktivistisch durch Untersuchung der sozialen Funktionen von Magie in Gesellschaften vieler Kulturen durch mehrere Jahrtausende.
Die Frage, wie oder inwieweit Magie „funktioniert“, wird ausgeklammert – so, als handele es sich dabei einfach um einen gleichwertigen alternativen Zugang zur Wirklichkeit. Soziologische und psychologische Wirksamkeitsfragen kommen nur als historische Auseinandersetzungen vor. Dabei haben, wie Davies zeigt, Menschen schon lange vor der Aufklärung grundsätzlich bestritten, dass es übernatürliche Magie überhaupt gebe. Schon in der Antike und danach immer wieder haben einzelne Gelehrte einen kategorialen Unterschied zwischen magischer Weltsicht und menschlicher Vernunft gesehen, den der moderne methodische Relativismus nivelliert.
Die Zurückhaltung des Autors hierbei liegt in der Begriffsgeschichte, die er selbst darstellt: Magie ist demnach im Kern stets ein Abgrenzungsbegriff gewesen. Schon das griechische mageía bezeichnet die ausländische, die fremde Magie im Gegensatz zu den positiven einheimischen gōetes, phármaka und nekromanteía. Die Römer wiederum zeihen das frühe Christentum der Magie (Abendmahl, Taufe, Exorzismen, Zungenreden, all dies bei nächtlichen Katakombentreffen), die abrahamischen Religionen werfen sie sich gegenseitig vor, und auch innerhalb von Religionen war Magie ein beliebter Vorwurf gegeneinander. In dieser Perspektive kann man auch unsere moderne Bestreitung von Magie als Fortführung einer langen Abgrenzungstradition sehen. Nur findet sie heute nicht mehr im Namen der richtigen Religion, sondern im Namen der Vernunft und der Aufklärung statt. Weil diese Abgrenzung im Namen der Vernunft in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte notabene der Ethnologie mit teils fehlgeleiteten westlichen Überlegenheitsgefühlen gegenüber „primitiven Kulturen“ einherging, distanzieren sich heutige Wissenschaftler gerne und neigen zum genannten methodischen Relativismus. Ob solch künstliche Neutralität beim echten Verstehen weiterhilft?
Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert: 1. Anthropologies of magic (Forschungsgeschichte), 2. Historical perspectives (2500 Jahre Geschichte der Wahrnehmung und Darstellung von Magie), 3. All in the mind? (Deutungen und Bestreitungen von Magie im Wandel der Zeit), 4. Writing magic (Bücher über Magie und magischer Schriftgebrauch), 5. Practising magic (Kategorisierung von Formen der Magie im weltweiten Vergleich), 6. Magic and the modern world.
Der kurze Überblick über die Forschungsgeschichte (James Frazer, Emile Durkheim, Max Weber usw.) vermittelt zugleich einen Eindruck von der Entwicklung des Faches Ethnologie und sensibilisiert für noch heute populäre Fehlwahrnehmungen, so z. B. die Idee, Magie sei eine Vorstufe von (Hoch-)Religion oder es handele sich um Reste vormoderner Religion, die langsam verschwänden. Im Gegenteil, so Davies, seien magische Elemente bis heute Kernbestandteil aller Weltreligionen (Bekreuzigen, heilige Texte als Amulette und Talismane, Reliquien). Im 20. Jahrhundert sei Magie sogar erstmals, und zwar in Form des Neuheidentums, quasi zu einer eigenständigen Religion geworden. Dabei knüpft diese Neureligion an die Abgrenzungstradition des Begriffs an, nun aber mit umgekehrten Vorzeichen, nämlich als ausdrückliche Selbstabgrenzung.
Doch auch die Neuheiden irren: Das ganze Buch ist geprägt vom Bemühen, den Leser davor zu bewahren, die alles durchdringende Bedeutung von Magie in Geschichte und Gegenwart zu unterschätzen, sowie vor vereinfachten Erklärungsmodellen ihrer religiösen und sozialen Funktion. Magie ist entgegen der Begriffsgeschichte eben keineswegs „das ganz Andere“, sondern genuiner Teil menschlicher Weltbewältigung. Wer genau genug hinschaut, findet sie immer auch in der eigenen Kultur und Religion und womöglich sogar im eigenen Erleben und Handeln. „In its broadest sense, magic is a part of the human condition. To believe magic will eventually disappear is mere wishful thinking” (113).
Davies‘ Darstellung hält, was sie verspricht: Sie ist eine kompakte, gut lesbare Einführung mit zahlreichen Anknüpfungspunkten und Hinweisen auf die wesentlichen Forschungsansätze samt dazugehöriger Literatur.
Kai Funkschmidt