Gesellschaft

Magie als Kassenleistung?

Seit dem ab 1976 gültigen Arzneimittelgesetz existiert für die Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Therapie als "besondere Therapierichtungen" eine Ausnahmeregel. Bei der Zulassung ihrer Arzneimitteln werden nicht die herkömmlichen wissenschaftlichen Prüfkriterien angewandt, sondern es reicht aus, wenn dort die Erkenntnisse "der jeweiligen Therapierichtung" berücksichtigt werden. Aus Sorge vor einer uferlosen Ausweitung dieser sogenannten "Binnenanerkennung" hatte der Deutsche Ärztetag 1997 den Bundestag aufgefordert, die Worte "in der jeweiligen Therapierichtung" ersatzlos zu streichen. Es mehrten sich die Befürchtungen, dass dieses Prinzip auf eine Unzahl weiterer besonderer Therapierichtungen ausgedehnt werden könnte.

In Deutschland sind mehr als 50, in Großbritannien 116, in Schweden 194 besondere Therapierichtungen bekannt. Doch dieser Vorstoß konnte sich nicht durchsetzen, und das Privileg für die drei "besonderen Therapierichtungen" blieb bestehen.

Zweifelsohne ist eine Abgrenzung und Bewertung alternativmedizinischer Verfahren schwierig. Grenzüberschreitungen passieren zuhauf. So veranstaltete das Deutsche Rote Kreuz im Jahre 1998 in Berlin ein internationales Forum "Gesundheitsförderung mit den Mitteln der Komplementärmedizin". Dort kam neben seriösen Naturheilkundlern wie Malte Bühring, der den einzigen bundesweiten Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Freien Universität Berlin innehat und eine kompakte Darstellung seines Fachgebiets publiziert hat (Naturheilkunde, München 1997), auch der "Lama" Ole Nydal zu Wort, um die "Sterbebegleitung nach dem Tibetischen Diamantweg-Buddhismus" anzupreisen.

Die ungelösten Konflikte in der Alternativmedizin haben in den letzten Wochen erneut Nahrung erhalten, als Einzelheiten der geplanten Arzneimittel-Positivliste der Regierung bekannt wurden. Überwiegend argwöhnisch haben die Schulmediziner über Jahre mit angesehen, wie der Zulauf in die Praxen von Homöopathen, Phytotherapeuten und Anthroposophen zugenommen und der politische Einfluss der "alternativen" Heilkunde angewachsen ist. Um diesem Trend einen Riegel vorzuschieben, haben sich nun in einem Internet-Forum mehr als 3000 Ärzte und Professoren in eine Liste eingetragen, in dem gefordert wird, "Homöopathika, Phytotherapeutika und Anthroposophika, für die kein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis existiert, aus der Positivliste zu streichen" (www.konsequente-positivliste.de). Mit dieser Internet-Offensive wurde insbesondere die Anthroposophische Gesellschaft aufs Korn genommen. In einem "Manifest" unter dem Titel "Am Ende des Weges: Magie als Kassenleistung?" stellt es die Weltanschauung Steiners als eine esoterisch-okkultistische Geheimwissenschaft mit Elementen aus der Kosmologie, Alchemie und fernöstlichen Lehren vor.

In der Tat ist die Vorgehensweise problematisch, dass einfache Homöophatika ohne Indikationsangabe verabreicht werden dürfen. Wenig bekannt ist, dass anthroposophische Arzneimittel teilweise Schwermetalle wie Quecksilber und Blei enthalten. Rudolf Steiner bezeichnete den Menschen als ein "siebengliedriges Metall" und die Organe als ein "inneres Planetensystem". Nach anthroposophischer Auffassung sind Metalle planetarisch-kosmischen Ursprungs. Starke kosmische Kräfte nähmen ebenfalls Einfluss auf das organische Wohlbefinden des Menschen. Viele Krankheiten sollen auf eine mangelnde Vermittlung zwischen planetarischen und organischen Kräften zurückgeführt werden können. Dabei sollen metallische Präparate einen heilsamen Kräfte-Transfer ermöglichen. Quecksilber könne im Organismus Stauungen lösen sowie Schwellungen und Entzündungen ableiten (vgl. zum Ganzen Barbara Burkhard, Anthroposophische Arzneimittel, Eschborn 2000, 20-29). Dazu zwei Beispiele: Die Meditonsin®-Lösung enthält 40 % Quecksilberzyanid D8. Auf den ersten Blick erscheint das wenig. In der empfohlenen Dosierung von bis 12 mal täglich 5-10 Tropfen (Erwachsene) erhöht sich der Quecksilberanteil beträchtlich, und selbst Säuglinge ab dem 7. Monat dürfen ein Drittel der Erwachsenendosis schlucken. Zweites Beispiel: Eine Tablette Mercurius vivus comp. enthält 20 mg Quecksilber (Hg D4), als Einsatzgebiete werden Darmtuberkulose und Colitis ulcerosa angegeben. Gegen diesen Schwermetallanteil sind selbst umfangreiche Amalgamfüllungen gänzlich zu vernachlässigen.

Eine solche Verschreibungspraxis macht die Schärfe der Auseinandersetzung verständlicher. Grundsätzlich unterstützt die Kampagne die Ziele der Positivliste. Kritisiert wird jedoch ein "Druidentum", das einer mittelalterlichen "schamanistischen, mystischen und esoterischen" Heilkunde Vorschub leiste. Leidtragende, so glauben die Initiatoren der Kampagne einer konsequenten Positivliste, sei die Solidargemeinschaft der Krankenkassenzahler. "Kein aufgeklärter Bürger darf gezwungen werden, Pflichtbeiträge für derartige medizinische Leistungen zu entrichten", fordert das Manifest. Bewährte Präparate wie etwa Mistelextrakte sollten dagegen nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Dieses Detail erstaunt, urteilte doch vor einiger Zeit das arznei-telegramm (9/1999, 94): "Unabhängig von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erscheint uns in Anbetracht der wissenschaftlichen Datenlage die Nutzen-Risiko-Bilanz für Krebspatienten negativ". Der Münchener Professor H.-J. Gabius hat zudem in einer neueren Studie gezeigt, dass Mistelextrakte sowohl Tumore hemmen als auch stimulieren können (vgl. www.medpoint.ch/other/ars1200/10_Misteltherapie_Gabius.pdf).
Hinzu tritt die Schwierigkeit, dass sich die Dosierungsfenster im Nanogrammbereich bewegen.

Mit dieser Initiative zeichnet sich erneut ein Kräftemessen zwischen konkurrierenden Weltbildern ab, die in der Heilkunde um Anerkennung (und finanzielle Zuwendung) kämpfen. Leider erwies sich die Kritik als wirkungslos. Schon ab 1. Juli tritt die neue Arzneimittel-Positivliste in Kraft. Sie berücksichtigt Präparate, die am Stichtag 10.12.2002 zugelassen waren - auch jene der besonderen Therapierichtungen.

Michael Utsch