Annette Meuthrath

Meditation - eine Herausforderung für den christlichen Glauben?

Zu den Glaubensvorstellungen und zum Glaubensvollzug meditierender Christinnen und Christen

Seit vielen Jahren bewege ich mich in „Zen-Kreisen“. Im Katholizismus groß geworden und interreligiös erfahren entstand der Wunsch, eine Forschungsarbeit zum Verhältnis „ChristInnen – Östliche Meditation“ durchzuführen. Ich nahm wahr, wie ChristInnen nach östlichen Methoden und unter der Begleitung christlicher und nichtchristlicher LehrerInnen Meditation übten. Ich sah auch, wie sie augenscheinlich ohne Bedenken an nichtchristlichen Riten teilnahmen. Sie warfen sich vor Buddha-Statuen nieder oder rezitierten die buddhistische Zufluchtnahme, mit welcher BuddhistInnen unter anderem ihre Zugehörigkeit zum Buddha-Weg ausdrücken. Zudem las ich von religiösen Doppelzugehörigkeiten und traf Menschen, die sich z. B. sowohl zum Christentum als auch zum Buddhismus bekannten. So entstand der Wunsch, eine empirische Untersuchung durchzuführen, um mehr über das religiöse Selbstverständnis von ChristInnen zu erfahren, die eine östliche, genuin1 nichtchristliche Meditationsform praktizieren.2 Verändert sich die Art und Weise, wie sie ihren Glauben leben? Entspricht ihr Gottesbild noch dem christlichen? Dabei interessierte mich weniger, was die großen MeisterInnen der jeweiligen Meditationsform denken oder glauben, sondern vor allem die Meinung der vielen Menschen, die Meditation unter Anleitung üben.

Ein Fragebogen wurde vor dem Hintergrund meiner eigenen Meditationserfahrung entwickelt und an MultiplikatorInnen gesandt, d. h. an zumeist christliche MeditationslehrerInnen und -meisterInnen, die eine östliche Meditationsform lehren wie Zen, Vipassana, Yoga-Meditation, tibetische Meditation, Transzendentale Meditation.3 Als wichtig erwies sich dabei, dass ich selber Meditationserfahrung habe. Viele der Angeschriebenen waren zum Verteilen des Fragebogens erst bereit, als sie erfuhren, dass ich selbst seit vielen Jahren meditiere. Dennoch konnte ich die Angst, sich mit dem Ausfüllen des Fragebogens zu „outen“, nicht in jedem Fall ausräumen. So gab mir eine christliche Zen-Gemeinschaft insgesamt eine Absage, da sie sich um die Anonymität der Umfrage Sorgen machte. Die Sorge war unbegründet, da ich in keinem Fall nachvollziehen konnte, wer den Fragebogen zurückgesandt hatte, es sei denn, der Name war darauf notiert. Bemerkenswert oder auch besorgniserregend fand ich allerdings, wie häufig die Sorge geäußert wurde, dass es negative Konsequenzen haben könnte, wenn die jeweilige Kirchenleitung von den Antworten erführe. Diese Bedenken gab es vor allem bei kirchlichen MitarbeiterInnen.

Insgesamt wurden 2060 Fragebögen versandt (im Jahr 2008) mit einer Responsequote von 899, was ein guter Rücklauf für eine solche Umfrage ist. Zunächst war eine einzige Umfrage geplant. Es ergaben sich dann aber doch zwei Umfragen, denn bei der Recherche für die Untersuchung kam ich mit KontemplationslehrerInnen der „Würzburger Schule“ ins Gespräch. Da Willigis Jäger, der Begründer dieser Schule der Kontemplation, Zen-Meister ist, hatte ich die in dieser Gruppierung geübte Meditation den östlichen, genuin nichtchristlichen Meditationsformen zugerechnet. Das entsprach aber nicht dem Selbstverständnis dieser Gruppe. Und so befragte ich diese in Deutschland weit verbreitete Gruppe schließlich in einer zweiten Umfrage.

Aus den beiden Umfragen ergaben sich vier verschiedene Auswertungs- oder Vergleichsgruppen: 1. die nach östlichen Meditationsformen4 Übenden (451 gültige Stimmen); 2. die christliche Meditation/Kontemplation Übenden (311); 3. die östliche Meditation übenden NichtchristInnen (56); 4. Übende, die zwar den Fragebogen für die christliche Meditation/Kontemplation Übenden ausgefüllt hatten, aber angaben, eine nichtchristliche Meditationsform zu praktizieren (48). Die Antworten der vier verschiedenen Gruppen fielen im Durchschnitt gesehen tatsächlich unterschiedlich aus.

Allerdings war vielen Meditierenden die Unterscheidung zwischen östlichen und christlichen Meditationsformen nicht wichtig. Die überwiegende Zahl der nach östlichen Formen Übenden empfindet diese Meditationsform durchaus als christlich. Sie widerspricht ihrem Glauben nicht. Wird sie überhaupt als „fremd“ oder „anders“ empfunden, sieht man darin eine Erweiterung oder Bereicherung des eigenen Glaubens. Es kommt auch vor, dass verschiedene Meditationsformen von ein und derselben Person praktiziert werden, wie z. B. Zen und das Herzensgebet, wobei auch hier zumeist nicht in christlich und nichtchristlich unterschieden wird.

Da ich meditierende ChristInnen in Deutschland befragen wollte, musste ich definieren, wer zur Zielgruppe der Befragung gehören sollte. Aufgrund vieler Gespräche kam ich zu einer Definition, die sehr weit gefasst ist und die dann als Auswahl- oder Ausschlusskriterium für meine Arbeit diente: Als ChristInnen galten dabei diejenigen, die einer der christlichen Kirchen angehören, aber auch diejenigen, die sich ohne formale Kirchenzugehörigkeit als ChristInnen verstehen.

Die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf der Selbsteinschätzung der Antwortenden. Dabei ist zu beachten, dass sich das religiöse Selbstverständnis, die Glaubensvorstellungen und -praktiken der meisten Gläubigen im Laufe ihres Lebens auch ohne Meditation verändern. Dennoch kann man den Veränderungen durch Meditation auf die Spur kommen und zwar dann, wenn es z. B. zwischen Menschen, die christliche Meditation/Kontemplation üben, und solchen, die eine östliche Meditationsform praktizieren, Unterschiede gibt. Diese Unterschiede beruhen dann wahrscheinlich auch auf den unterschiedlichen Meditationsformen.

Die befragten Meditierenden5

Sozioökonomisches Profil: Es waren zumeist Personen höheren und mittleren Alters6 mit einem vergleichsweise hohen Bildungsstand und einem überdurchschnittlich hohen Engagement im religiösen und kirchlichen Bereich. Tätig sind sie oft im Gesundheits- oder Sozialsektor oder im Erziehungsbereich. Es sind Menschen, die sich vor allem auf ihre eigenen religiösen Erfahrungen und ihr eigenes Gewissen verlassen. Es scheinen mehr Frauen als Männer und mehr KatholikInnen als ProtestantInnen zu meditieren. Mit Blick auf die MeditationslehrerInnen lässt sich feststellen, dass die meisten der Antwortenden unter männlicher Anleitung üben. Obgleich also mehr Frauen als Männer meditieren, gibt es unter den Lehrenden mehr Männer. Die meisten Meditierenden7 sind verheiratet und haben Kinder. Das entspricht den demografischen Gegebenheiten in Deutschland. Nach eigener Einschätzung sind meditierende ChristInnen mit großer Mehrheit religiös bis tief religiös, eine Einschätzung, die in der christlichen Gesamtbevölkerung deutlich seltener vorkommt.

Religiöse Sozialisierung: Entsprechend ihrer Altersgruppe haben die Befragten eine religiöse Erziehung genossen, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren üblich war. D. h., sie haben Gottesdienste besucht, die Sakramente empfangen, sind nach christlichen Moralvorstellungen erzogen worden und haben kirchliche Feste gefeiert. Auch scheint der Weg zur Meditation nicht davon abzuhängen, ob die religiöse Erziehung eher streng oder eher liberal war. Wohl aber spielt die Erziehung eine Rolle bei der Wahl der Meditationsform, denn es finden diejenigen Meditierenden eher zu östlichen Meditationen und geben das Christentum eher auf, die weniger traditionell erzogen wurden. Es zeigte sich, dass das kirchliche Engagement der später Meditierenden in ihren jungen Jahren überdurchschnittlich stark war. Dabei üben die Menschen mit besonders hohem Engagement eher christliche Meditation/Kontemplation.

Zugang zur Meditationsform: Eine relativ hohe Anzahl derer, die eine östliche Meditationsform praktizieren, gaben an, dass sie durch Zufall zu ihrer Meditationsform gefunden haben oder dass ihnen das christliche Angebot auf diesem Sektor nicht ausreichte. Es handelt sich überwiegend also nicht um eine willentliche Entscheidung für eine östliche Meditationsform. Für diejenigen, die willentlich eine solche gewählt haben, sind die Unzufriedenheit mit der eigenen Religion oder die Frustration über die eigene christliche Kirche gewichtige Gründe. Im Allgemeinen finden ChristInnen durch Familie und Freunde, über Literatur und auch durch die Ansprache von LehrerInnen zu ihrer jeweiligen Meditationspraxis.

MeditationslehrerInnen der Befragten: MeditationslehrerInnen sind wichtig, da sie Meditierende in die Meditation einführen und sie auch danach weiter begleiten. Da es hauptsächlich christliche MeditationslehrerInnen waren, durch die die Fragebögen dieser Untersuchung verteilt wurden, sind diese unter den Lehrenden auch am häufigsten vertreten. Eine interessante Abweichung gab es allerdings in der Vergleichsgruppe derjenigen, die den Fragebogen ausfüllten, obgleich sie gemäß der oben genannten Definition nicht als ChristInnen galten. Hier gaben 50 % an, ihre MeditationslehrerInnen seien BuddhistInnen. Da die Untersuchung einige Hinweise lieferte, dass diese Gruppe zumindest überwiegend aus ehemaligen ChristInnen bestand, stellt sich die Frage, ob die Praxis einer östlichen Meditation unter einer nichtchristlichen LehrerIn dazu geführt hat, dass das Christentum aufgegeben wurde. Aus den erhobenen Daten konnte diese Frage allerdings nicht beantwortet werden. Es konnte festgestellt werden, dass die große Mehrzahl der MeditationslehrerInnen aus Europa, wahrscheinlich sogar aus Deutschland stammt und nicht mehrere unterschiedliche, sondern je eine bestimmte Meditationsform lehrt. Im Allgemeinen sind diese LehrerInnen von ihrer Tradition oder Schule zur Lehre autorisiert. Diese Angabe machten die nach einer östlichen Meditationsform Übenden häufiger als die christliche Meditation/Kontemplation Praktizierenden. Bei einer geringen Anzahl vor allem unter den östliche Meditation Übenden gab es Angaben zu einer religiösen Doppelzugehörigkeit ihrer MeditationslehrerInnen (z. B. ChristInnen und BuddhistInnen).

Erwartungen an die Meditation: Die Antwortenden sehen Meditation als festen Bestandteil ihres Lebens. Menschen, die länger als fünf Jahre meditieren, tun dies oft wöchentlich, wenn nicht täglich. Es wird in Gruppen, aber auch alleine meditiert. Meditation hat für die Antwortenden nicht nur eine religiöse Bedeutung, sie wird z. B. auch als Ruhe- und Kraftquelle, als Weg zu Frieden und Achtsamkeit, als Lebenshilfe und als Gegengewicht zum hektischen Alltag empfunden. Religiöse Aspekte der Meditation sind u. a. der Wunsch nach Gotteserfahrung, Erfahrung des Göttlichen oder des Urgrundes. Ob die Meditierenden eher auf Gotteserfahrung oder eher auf Erleuchtung hoffen, hängt z. T. von der geübten Meditationsform ab. Es kann nicht erstaunen, dass Menschen, die christliche Meditation/Kontemplation üben, eher nach Gotteserfahrung streben, wohingegen die nach östlichen Formen Übenden eher auf Erleuchtung hoffen.

Spirituelle Erfahrungen und Meditation:Die Antwortenden gaben an, dass es zu spirituellen Erfahrungen komme, allerdings stellen sich diese bei den meisten nicht unmittelbar ein. Wer aber mehr als zehn Jahre Meditationserfahrung hat, der macht zumeist auch spirituelle Erfahrungen. Ob man hierbei eher von mystischer Erfahrung spricht oder z. B. von einer Einheitserfahrung, hängt von der geübten Meditationsform ab. Nur wenige gaben an, dass diese Erfahrungen ihrem christlichen Glauben widersprechen. Das bedeutet aber nicht, dass die Erfahrungen immer mit dem christlichen Glaubensbekenntnis übereinstimmen. Für die Mehrheit der meditierenden ChristInnen gehört die Übereinstimmung mit dem Glaubensbekenntnis ihrer jeweiligen Kirche, also die Annahme grundlegender Glaubenswahrheiten, nicht unbedingt zu ihrem Christsein dazu.

Auswirkungen der Meditation auf Glaubensüberzeugungen und -praxis

Einfluss auf die Glaubensvorstellungen und die Glaubenspraxis: Die meisten Meditierenden gaben an, dass die Meditation einen Einfluss auf ihre Glaubenspraxis und ihre Glaubensvorstellungen hat. Dabei zeigte sich, dass die Stärke des Einflusses davon abhängt, wie viele Jahre und wie häufig meditiert wurde und wie hoch die Wichtigkeit von Meditation für das eigene Leben eingeschätzt wurde.

Meditation allgemein, aber auch der genuin religiöse Hintergrund der geübten Meditationsform haben Einfluss auf den Glaubensvollzug Meditierender. So kommt es bei nach östlichen Formen Meditierenden stärker zur Integration nichtchristlicher Elemente in die Glaubenspraxis als bei den christliche Meditation/Kontemplation Übenden. Z. B. sprechen sie häufiger Gebete oder rezitieren Texte anderer Religionen. Es lässt sich sagen, dass die Glaubenspraxis der letztgenannten Gruppe traditioneller christlich ist. Trotzdem geben insgesamt jeweils über 40 %8 aller Meditierenden an, sowohl in der Glaubenspraxis als auch in den Glaubensvorstellungen von „anderen Religionen“ beeinflusst zu sein.

Eine der nach Meinung der Befragten durch Meditation hervorgerufenen Veränderungen besteht darin, dass einige nicht mehr mit dem christlichen Glaubensbekenntnis übereinstimmen.Darüber hinaus verlieren christliche Moralvorstellungen bei nicht ganz der Hälfte aller meditierenden ChristInnen an Bedeutung. Dies geht damit einher, dass ethische Vorstellungen anderer Religionen in die Glaubenspraxis aufgenommen werden.

Insgesamt erfahren meditierende ChristInnen ihre Glaubenspraxis als intensiviert und als bewusster. Das Erfahrungselement im religiösen Leben ist ihnen wichtig. Ein zunehmend ganzheitliches Leben verändert auch die Gebetspraxis. So wird z. B. der Körper in das Gebet einbezogen. Das Beten ohne Worte ist für die meisten meditierenden ChristInnen die häufigste Gebetsform. Dabei zeigt sich, dass sie häufiger beten als die ChristInnen in Deutschland allgemein, legt man etwa die Ergebnisse des Religionsmonitors der Bertelsmann-Stiftung zugrunde.9 Und obgleich sich auch bei ihnen ein Abwärtstrend im Kirchgang verzeichnen lässt und die Bedeutung der Sakramente nachlässt, gehen meditierende ChristInnen doch insgesamt häufiger zu Gottesdiensten, engagieren sich öfter in einer christlichen Gemeinde und schreiben den Sakramenten häufiger Bedeutung zu. Meditierende sind also überdurchschnittlich hoch engagierte ChristInnen. Obgleich christliche Meditation/Kontemplation Übende häufiger zu Gottesdiensten gehen und das Abendmahl bzw. die Kommunion empfangen, sind es doch die nach östlichen Formen Meditierenden, bei denen ein positiver Zusammenhang besteht zwischen der Annahme, Meditation habe ihren Glaubensvollzug verändert, und der Teilnahme an Gottesdiensten, Abendmahl bzw. Kommunion.

Auswirkungen auf das Gottesbild: Über 80 %10 der meditierenden ChristInnen gehen davon aus, dass sich ihr Gottesbild verändert. Dabei hat bei etwa einem Drittel die christliche Gottesvorstellung an Bedeutung verloren. Der Trend geht von einer personalen Gottesvorstellung hin zu einer überpersonalen, wobei mehrheitlich außerdem eine Einheit (bzw. Nicht-Zweiheit) des Menschlichen und des Göttlichen angenommen wird. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Die christliche Gottesvorstellung verliert vor allem bei den christliche Meditation/Kontemplation Übenden an Bedeutung, wenn sie an ein überpersonales Göttliches glauben.

Die Glaubenspraxis hängt neben anderem auch von den Glaubensvorstellungen ab. Dies erklärt, warum es bei Meditierenden, bei denen eine personale Gottesvorstellung verblasst, zur Verehrung anderer höherer Wesen kommen kann. Dies ist vor allem bei nach östlichen Meditationsformen Übenden der Fall. Hier gibt etwa ein Drittel an, andere Gottheiten/höhere Wesen als den christlichen Gott11 zu verehren. Allerdings wird diese Verehrung nicht immer als im Konflikt mit dem christlichen Glaubensbekenntnis stehend gesehen. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn es um die Verehrung von Engeln geht. Anders ist das allerdings häufig bei ChristInnen, die christliche Meditation/Kontemplation üben. Dies kann in der festgestellten traditionelleren Haltung der Menschen dieser Gruppe begründet sein.

Meditation und konfessionelles Zugehörigkeitsgefühl: Ca. ein Fünftel der nach östlichen Formen Meditierenden gehört einer buddhistischen oder hinduistischen Gemeinschaft an. Nur eine kleine Minderheit fühlt sich mehreren Religionen oder gar keiner Religion (mehr) zugehörig. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen einer religiösen Mehrfachzugehörigkeit und der Angabe, in den religiösen Überzeugungen durch nichtchristliche Religionen beeinflusst zu sein.

Es kann nicht verwundern, dass die konkret geübte Meditationsform Einfluss auf das religiöse Zugehörigkeitsgefühl hat. So geben nach östlichen Formen Meditierende eher an, mehreren Religionen anzugehören, wohingegen christliche Meditation/Kontemplation Übende eher vom Überschreiten traditioneller Religionszugehörigkeiten hin zu einem als transreligiös oder transkonfessionell bezeichneten Zugehörigkeitsgefühl sprechen. In den Schriften des Gründers der Würzburger Schule der Kontemplation, Willigis Jäger, kommen Ausdrücke wie „transkonfessionell“ häufig vor.

Trotz Mehrfachzugehörigkeit oder Aufnahme nichtchristlicher Glaubenselemente empfinden Meditierende eine klare spirituelle oder religiöse Zugehörigkeit. Diese entspricht jedoch nicht in allen Fällen ihrer formalen religiösen Zugehörigkeit.

Einflüsse auf das Weltbild: In über 86 %12 der Antworten wird die Frage bejaht, ob sich das Weltbild durch Meditation verändert habe. Die Veränderung ergibt sich vor allem mit der Zeit, mit vielen Jahren häufiger Meditationspraxis und ihrer hohen Wichtigkeit für das Leben. Sie besteht überwiegend in einer Veränderung der Weltsicht hin zu einer ganzheitlichen. Im Zusammenhang mit dieser Veränderung des Weltbildes steht, dass Glaubensvorstellungen anderer Religionen aufgenommen wurden und sich die Antwortenden als religiöse Menschen verstehen.

Außerdem stehen die Veränderungen im Weltbild nicht allein, sondern hängen mit Veränderungen in den Gottesvorstellungen zusammen und mit dem Verhältnis, das die Meditierenden zu ihrer Kirche haben. Die Gottesvorstellung ist eher überpersonal, und Gott und Mensch werden als Einheit verstanden. Darüber hinaus hat die jeweilige Kirche an Bedeutung verloren, und das kirchliche Lehramt wird als einengend empfunden.

Meditation und kirchliches Lehramt: Meditierende ChristInnen unterscheiden sich in der Frage der Bedeutung von Kirche und Lehramt nicht von anderen ChristInnen in Deutschland. Die meisten empfinden sich als kirchenfern. Darüber hinaus scheint das Verhältnis gegenüber dem kirchlichen Lehramt und der Kirchenleitung für viele belastet zu sein. Sie fühlen sich in ihrem Glaubensvollzug und ihren Glaubensvorstellungen nicht akzeptiert. Besonders diejenigen, die nicht mehr mit dem Glaubensbekenntnis übereinstimmen, fühlen sich abgelehnt. Entsprechend verliert die Kirche und noch stärker das kirchliche Lehramt für meditierende ChristInnen mehrheitlich an Bedeutung. Dabei besteht die Kirche für sie überwiegend nicht aus hauptamtlichen Mitarbeitenden oder Priestern. Dennoch sehen sich nur die christliche Meditation/Kontemplation Übenden überwiegend als Teil der Kirche. Sie empfinden so auch eine größere Nähe als diejenigen, die östliche Meditation praktizieren.

Viele meditierende ChristInnen lehnen das kirchliche Lehramt ab. Sie fühlen sich eingeengt und geben gleichzeitig häufig an, dass sich ihre Glaubensvorstellungen durch die Meditation verändert haben. Es verwundert weder, dass der Bedeutungsverlust des kirchlichen Lehramts mit dem Gefühl der Einengung einhergeht, noch dass er bei den nach östlichen Formen Meditierenden häufiger gegeben ist als bei den kirchennäheren christliche Meditation/Kontemplation Übenden.

Unter den Antwortenden gibt es eine kleine Gruppe, der von der Kirchenleitung einmal Rede- oder Lehrverbot erteilt wurde. Es handelt sich dabei um Menschen mit überwiegend langer Meditationserfahrung, die wohl auch im kirchlichen Bereich tätig waren, sonst könnte das Erteilen eines Rede- oder Lehrverbot nicht zur Anwendung kommen.

Meditierende und religiöser Wahrheitsanspruch: Meditierende ChristInnen geben an, schon in „jungen Jahren“ anderen Religionen gegenüber offen gewesen zu sein. Das gilt vor allem für die nach östlichen Methoden Meditierenden. Außerdem konnte aufgrund der erhobenen Daten festgestellt werden, dass eine liberale religiöse Erziehung diese Offenheit begünstigt und dass die Offenheit durch die spätere östliche Meditationspraxis noch vergrößert wurde. Letzteres muss nicht verwundern, da diese Menschen durch ihre Meditationspraxis in vielen Fällen mit Texten und Riten anderer Religionen in Berührung kommen. Wer dies ablehnt, wird kaum zu östlichen Meditationsformen finden. Entsprechend ihrer Offenheit gegenüber anderen Religionen gehen die Antwortenden überwiegend davon aus, dass die verschiedenen Religionen voneinander lernen können.

Im Allgemeinen lehnen meditierende ChristInnen etwaige Absolutheitsansprüche ihrer Religion ab. Ihrer Meinung nach haben auch andere Religionen Heilsrelevanz, führen zu Gott und/oder bergen Wahrheit. Diese Meinung wird häufiger von Meditierenden als vom Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in Deutschland vertreten. Besonders offensichtlich ist dies bei nach östlichen Formen Meditierenden. Allerdings hält ein Drittel der Befragten nicht alle Religionen für gleich wahr oder gleich heilsrelevant.

Meditierende und ihr christliches Umfeld

Die Meditierenden geben an, dass ChristInnen, auch wenn sie selbst nicht meditieren, auf Meditierende in ihrem Umfeld überwiegend positiv reagieren. Allerdings spricht etwa die Hälfte der Meditierenden nicht mit ihnen über ihre Glaubenserfahrungen und -überzeugungen. Es ist aber wiederum nur eine Minderheit, die ihre Erfahrungen und Vorstellungen direkt „verbirgt“. Dabei handelt es sich dann auch um eine Gruppe, die sich überwiegend nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Glaubensbekenntnis sieht und für die das christliche Gottesbild an Bedeutung verloren hat.

Interessant ist auch, dass das „Verbergen“ etwas mit dem Berufsleben zu tun hat: Menschen, die christlich meditieren, halten dann etwas vor ihrer Umgebung zurück, wenn sie noch einem Beruf nachgehen. Es sind Menschen, für die Kirche und der Glaubensvollzug als ChristIn nicht mehr so wichtig sind. Außerdem fühlen sie sich von der Kirchenleitung nicht akzeptiert. Es waren vor allem die christliche Meditation/Kontemplation übenden KatholikInnen, die angaben, etwas vor MitchristInnen zu verbergen, weniger die ProtestantInnen.13 ChristInnen, die nach östlichen Formen meditieren, verbergen ihre Glaubensvorstellungen vor allem dann, wenn sie auch andere Gottheiten als den christlichen Gott oder „höhere Wesen“ verehren.

Gefährdet Meditation den christlichen Glauben?

Aufgrund der Untersuchung kann diese Frage in mancher Hinsicht mit Ja, in anderer Hinsicht mit Nein beantwortet werden. Z. B. ist es für den christlichen Glauben als positiv zu werten, wenn Meditierende angeben, dass sie Glaubensinhalte durch die Meditation besser verstanden haben und im Glauben gestärkt wurden. Die Meditierenden, die zu einem besseren Verständnis gefunden haben, stimmen auch eher mit dem Glaubensbekenntnis überein. Positiv ist es auch, dass meditierende ChristInnen überdurchschnittlich engagiert sind, z. B. beim Gebet, im Gemeindeleben und in Bezug auf Gottesdienstbesuche, und dass sie sich selbst durchschnittlich als religiöser einschätzen, als das die ChristInnen in Deutschland allgemein tun. Außerdem setzen sich meditierende ChristInnen häufiger mit anderen Religionen auseinander. Dies alles sind Zeichen eines vertieften und aktiv gelebten (christlichen) Glaubens.

Allerdings steht ein vertieftes Verständnis nicht immer mit dem Glaubensbekenntnis oder der Lehrmeinung der jeweiligen christlichen Kirche im Einklang. So zeigt die Untersuchung auch, dass Meditierende eher dann nicht mehr mit dem Glaubensbekenntnis übereinstimmen, wenn sie einen Einfluss anderer Religionen auf die eigenen Glaubensvorstellungen angeben.

Als negativ für den christlichen Glauben könnte vonseiten der Kirchenleitungen zudem gewertet werden, dass insbesondere nach östlichen Formen meditierende ChristInnen fremde Glaubensvorstellungen und auch z. B. Riten in ihre Glaubensüberzeugungen und ihre Glaubenspraxis aufnehmen.

Es zeigte sich weiterhin, dass vor allem nach östlichen Formen Meditierende andere „höhere Wesen“ oder „Gottheiten“ als den christlichen Gott verehren oder an ein überpersonales Göttliches glauben und eher an Konversion denken als andere meditierende ChristInnen. Allerdings ist es dann doch nur eine Minderheit, die tatsächlich schon einmal daran gedacht hat, zu einer anderen Religion zu konvertieren. Dies geht mit der Angabe einher, von anderen Religionen in den religiösen Überzeugungen beeinflusst zu sein.

Ein Fazit meiner Untersuchung ist, dass die Kirchenleitungen gut daran täten, mit ihren Meditierenden ins Gespräch zu kommen, sodass Ängste und gegenseitiges Misstrauen überwunden werden können und in einem gemeinsamen und offenen Lernprozess um ein besseres Verständnis des Glaubens gerungen werden kann.


Annette Meuthrath, Aachen


Anmerkungen

  1. Der Zusatz „genuin“ ist notwendig, da es z. B. Zen-MeisterInnen gibt, die ihre Meditationsform, eben Zen, keiner Religion zuordnen. Sie gehen davon aus, dass Zen eine Methode der Meditation ist, die keine Glaubensinhalte transportiert. Außerdem gab es eine Diskussion dazu, ob es ein christliches Zen gebe. Dennoch entstammen z. B. Zen, Vipassana oder auch Yoga einer nichtchristlichen Religion oder sind vor deren Hintergrund entstanden.
  2. Die Ergebnisse der Untersuchung sind veröffentlicht in: Annette Meuthrath, Wenn ChristInnen meditieren. Eine empirische Untersuchung über ihre Glaubensvorstellungen und Glaubenspraxis (Religionswissenschaftliche Studien 14), Berlin u. a. 2014.
  3. In Gesprächen hatten mir mehrere buddhistische MeditationslehrerInnen mitgeteilt, dass nur recht selten ChristInnen unter ihrer Anleitung meditieren. Deshalb begrenzte ich mich in der Umfrage auf die o. g. MultiplikatorInnengruppe.
  4. Im Folgenden sind mit „östlichen Meditationsformen“ einem nichtchristlichen Hintergrund entstammende Meditationsformen gemeint. Die „christliche Meditation/Kontemplation Übenden“ sind vor allem diejenigen Meditierenden, die nach der Methode der Würzburger Schule der Kontemplation meditieren.
  5. Vgl. zu den folgenden Ergebnissen Meuthrath, Wenn ChristInnen meditieren (s. Fußnote 2), 205-217. Es wird im Folgenden nur dann eine weitere Angabe gemacht, wenn sich das Wiedergegebene nicht auf diesen Seiten findet.
  6. Am stärksten war unter den Befragten die Gruppe der über 60-Jährigen vertreten, etwa gleich stark die Gruppe der 51- bis 60-Jährigen und die der 41- bis 50-Jährigen; vgl. ebd., 55.
  7. Wenn im Folgenden von „Meditierenden“ oder „meditierenden ChristInnen“ etc. die Rede ist, sind die auf die beiden Umfragen Antwortenden gemeint. Ob die Ergebnisse der Untersuchung für meditierende ChristInnen in Deutschland allgemein gelten, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
  8. Vgl. Meuthrath, Wenn ChristInnen meditieren (s. Fußnote 2), 144, 149, 174.
  9. Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007. Auch weitere Vergleiche mit ChristInnen allgemein beziehen sich auf den Religionsmonitor.
  10. Vgl. Meuthrath, Wenn ChristInnen meditieren (s. Fußnote 2), 163.
  11. Mit diesem Ausdruck ist Gott, so wie er im Christentum geglaubt wird, gemeint.
  12. Vgl. Meuthrath, Wenn ChristInnen meditieren (s. Fußnote 2), 178.
  13. Die in der Umfrage deutlich gewordenen Unterschiede zwischen KatholikInnen und ProtestantInnen lassen eine eigene Untersuchung dazu spannend erscheinen.