Mehr Verbindlichkeit im Dialog suchen
(Letzter Bericht: 11/2010, 421f) Vom 1. bis 3. Dezember 2010 haben sich im Berliner Johannesstift 40 Ökumene- und Weltanschauungsbeauftragte der Kirchen mit den Wandlungsprozessen in der Neuapostolischen Kirche (NAK) beschäftigt. Eingeladen zu der Studientagung hatten die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Berlin, und das Konfessionskundliche Institut, Bensheim. Eröffnet wurde der Austausch mit einem historischen Vortrag des Konfessionskundlers Helmut Obst von der Universität Halle-Wittenberg sowie dem Besuch eines NAK-Gottesdienstes der Spandauer Gemeinde. Bisherige Kontakte und Gespräche verschiedener lokaler und regionaler Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen (ACK) sowie der Bundes-ACK wurden ausgewertet. Hinzu kamen Einschätzungen aus weltanschaulicher und konfessionskundlicher Sicht. In Arbeitsgruppen waren umstrittene Lehren, wie sie sich in neueren NAK-Veröffentlichungen finden, Gegenstand der Diskussion (u. a. Versiegelung, Endzeit, Apostelamt, Entschlafenenwesen, Umgang mit der Geschichte). An einem Abend fand ein intensives Gespräch mit Vertretern der NAK aus der Projektgruppe Ökumene statt. Der Vorsitzende der Bundes-ACK, Landesbischof Friedrich Weber, betonte in seinem Referat zum Abschluss der Tagung den Unterschied zwischen einem interreligiösen und einem innerchristlichen Dialog. Bei der NAK handele es sich um einen innerchristlichen Dialog, weil das Gemeinsame größer sei als das Trennende. Als Ergebnis der Tagung kann festgehalten werden:
• Wenn vor 20 Jahren über die NAK in Lexika zu lesen war, dass sie ihren Weg allein geht, ohne Kontakte mit anderen Kirchen, treffen solche Sätze auf die heutige Situation nicht länger zu. Begegnungen mit Vertretern der Neuapostolischen Kirche finden gegenwärtig auf verschiedensten Ebenen statt, und zwar in freundlicher und offener Atmosphäre. Auch die geführten Gespräche im Rahmen der Studientagung waren von Offenheit und wechselseitiger Hörbereitschaft geprägt.
• Die NAK bemüht sich um weitere Klärungen bezüglich derjenigen lehrmäßigen Orientierungen, die aus ökumenischer Perspektive den grundlegenden Konsens im gemeinsamen Glauben in Frage stellen. Dazu zählt u. a. das Verständnis des Apostelamtes und der Versiegelung, aber auch die Identifikation der NAK mit der endzeitlichen Brautgemeinde. Initiativen, die darauf abzielen, Trennendes und Kontroverses offen anzusprechen und Gemeinsames wahrzunehmen und zu suchen, sind zu fördern und gleichzeitig verbindlicher zu gestalten.
• Weiterführende Kontakte und Begegnungen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene zwischen der NAK und anderen christlichen Kirchen sind wünschenswert. Der Aufbau einer Dialog- und Begegnungskultur und die Suche nach respektvollen Umgangsformen ist auch abgesehen von der Frage der ACK-Mitgliedschaft ein wichtiges Anliegen.
• Aus der Sicht der Weltanschauungs- und Ökumenebeauftragten sollte es in der NAK zu einer stärkeren Würdigung des Dienstes der Theologie für kirchliches und gemeindliches Leben kommen. Der christliche Glaube weicht der denkerischen Durchdringung seiner Erfahrungen nicht aus.
• Die NAK ist eine durch Laien geprägte Kirche. Gleichwohl hat sie starke Hierarchien und eine Vielzahl von Ämtern aufgebaut. Mehr interne Debatten über den rechten Weg, mehr synodale Elemente, mehr Verantwortung für jeden Einzelnen: Das wären Erwartungen anderer Christinnen und Christen an die Neuapostolische Kirche. Zur wahren Kirche gehören Partizipation, Aufgabenteilung und Gleichwertigkeit derer, die durch den Glauben an Gottes heilvolle Nähe in Jesus Christus und im Heiligen Geist verbunden und zur Freiheit und zum Dienst der Liebe berufen sind.
• Wandlungsprozesse benötigen Zeit. Eine in ökumenischer Hinsicht zustimmungsfähige Deutung und Neuinterpretation der neuapostolischen Tradition bedarf gründlicher Reflexion, die sich in einem längeren Prozess vollzieht. Wie der Weg anderer apostolischer Gemeinschaften zeigt, schließt die Bezugnahme auf die katholisch-apostolische Tradition den Weg in die Ökumene keineswegs aus.
• Manche NAK-Mitglieder erleben die Gruppenstruktur ihrer Kirche und die apostolische Autorität immer noch als einengend und vereinnahmend. Hier sind offene Gespräche mit allen Beteiligten zu führen, um mehr Transparenz und Freiheit zu ermöglichen.
• Für einen eigenständigen Zugang zum christlichen Glauben ist das persönliche und gemeinschaftliche Studium der Bibel ein empfehlenswerter und hoffnungsvoller Weg. In der Geschichte ökumenischer Bewegungen ist die zusammenführende und Gemeinschaft stiftende Kraft der Bibel immer wieder erfahren worden.
• Zu den Chancen und Grenzen einer Verständigung zwischen ACK und NAK wird sich auf Grundlage des neuen Katechismus, der für das Jahr 2012 erwartet wird, Weiteres sagen lassen. Christinnen und Christen aus anderen Kirchen werden mit Aufmerksamkeit den weiteren Weg der neuapostolischen Gemeinden begleiten.
Reinhard Hempelmann, Michael Utsch