Martin Walser

Mein Jenseits

Martin Walser, Mein Jenseits, Novelle, Berlin University Press, Berlin 2010, 120 Seiten, 19,90 Euro.


Den überreichlich erfolgten Würdigungen seitens der Journalisten und Germanisten möchte ich nur eine Lese-Erfahrung nachschieben: 120 Seiten verschlungen, bei geschlossenem Fenster (Lärm stört bei dieser Novelle) und laut gelesen, damit Walsers kristalline Prosa gemeißelter Sätze, apodiktisch vorgetragen, zur Geltung kommt. Die Story: Ein etwas weltfremder 63-jähriger Professor der Psychiatrie – merkwürdigerweise Klinikchef und überaus fähiger Autor (das Büchlein ist in der ersten Person geschrieben) – kommt mit Konkurrenz und Mobbing innnerhalb und außerhalb seiner Anstalt nicht zurecht. Sein Glück besteht in „seinem Jenseits“; damit meint er katholische oder zumindest katholisierende Kult- und Kontemplationshandlungen. Moderne und Religion stoßen sich in ihm und um ihn hart und heftig. Am Ende obsiegen, weltlich gesehen, die Weltkinder, religiös gesprochen triumphiert aber der Glaubende. Doch Vorsicht! Auch der Klerus bekommt seine Schelte und der christliche „Glaube“ des Protagonisten ist explizit eine Konstruktion, eine Projektion, die freilich die Welt schöner und erträglicher mache. Ob ich dieser mitreißenden Schrift damit gerecht werde, sei dahingestellt. Da hat sicher jeder Leser das Recht auf sein eigenes Jenseits.


Rainer Waßner, Hamburg