Missbrauchsvorwurf: Sogyal Rinpoche zieht offenbar Konsequenzen
Der Gründer und spirituelle Leiter des internationalen tibetisch-buddhistischen Rigpanetzwerks (www.rigpa.de), Sogyal Rinpoche, zieht sich zurück für „eine Zeit der Einkehr und der Reflexion“. Dies berichteten das kanadische Buddhismus-Magazin „Lion’s Roar – Buddhist Wisdom for our Time“ (online) wie auch das „Boeddhistisch Dagblad“ (Niederlande) unter Berufung auf eine kurze Pressemitteilung von Rigpa International vom 21.7.2017, die zunächst nicht auf offiziellen Rigpa-Seiten zu finden war (etwas versteckt dann unter About/Press auf www.rigpa.org). Darin heißt es, Sogyal Rinpoche werde professionelle Beratung einholen und weitere Schritte klären.
Grund sind offenbar massive Missbrauchsvorwürfe, die von einer Gruppe von acht langjährigen und verdienten Schülerinnen und Schülern vorgebracht wurden und in einem Brief mit Datum vom 14. Juli 2017 im Internet kursieren.1 Das zwölfseitige Schreiben an „Sogyal Lakar“ (dies ist der Familienname, der Ehrentitel Rinpoche wird vermieden) fordert den tibetischen Meister auf, sein „unethisches und unmoralisches Verhalten“ aufzugeben und auf den wahren Pfad des Dharma zurückzukehren. Die Vorwürfe wiegen schwer. Gegliedert in „physischen, emotionalen und psychologischen Missbrauch“, „sexuellen Missbrauch“, „unersättlichen Lebensstil“ und die „Vergiftung unserer Wertschätzung der Dharmapraxis“ werden sie in ruhigem Ton und begründet aufgrund von „Erfahrungen aus erster Hand“ vorgetragen.
Der Brief klagt eine Kultur der Geheimhaltung, der Täuschung und des Betrugs an, die der Meister, der auch der Autor des spirituellen Klassikers „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ ist, aufgebaut habe. Hinter den Kulissen hätten Menschen durch physische Gewalt blutige Verletzungen und Narben davongetragen, aber auch emotionale Zusammenbrüche erlitten. Junge Frauen seien eingeschüchtert und manipuliert, zu sexuellen Handlungen genötigt worden, darunter auch einige verheiratete Frauen. Die Fassade des warmherzigen Weisen voller Freundlichkeit und Humor verdecke das ständige Bloßstellen, Bedrohen, Befehlen und einen maßlosen Lebensstil, der auch mit Spendengeldern finanziert werde. Nach außen würden Beziehungen als einvernehmlich und angemessen hingestellt (Sogyal Rinpoche ist kein Mönch), nach innen werde zur Rechtfertigung die Tradition der „crazy wisdom“ herangezogen. Dahinter steht die Vorstellung, dass das Verhalten des (erleuchteten) Meisters auf der relativen Wahrheitsebene, die Schülern zugänglich ist, als unverständlich, ja falsch erscheinen mag („verrückte Weisheit“), auf einer absoluten Ebene aber sinnvoll und im Sinne der „geschickten Mittel“, die der Meister für die spirituelle Weiterentwicklung der Adepten wählt, notwendig sein kann.2 Zum Beispiel kann „zornvolles Mitgefühl“ zur Befreiung von „charakterlichen Mängeln“ oder dem „eigensüchtigen Ego“ dienen. Als die Missstände zu offensichtlich wurden, richtete Rigpa offenbar intern schon vor einiger Zeit eine „Rigpa-Therapie“ in Einzelgesprächen ein, deren Ziel allerdings darin zu bestehen schien, die Betroffenen zu verunsichern und die Schuld letztlich bei sich selbst suchen zu lassen.
Es wird betont, dass das persönliche Gespräch gesucht wurde, bevor man an die Öffentlichkeit ging, jedoch ohne Erfolg. Vielmehr seien Insidern die verstörenden und gewalttätig-missbräuchlichen Verhaltensmuster seit Jahrzehnten bekannt, würden aber vom innersten Kreis weiter gedeckt oder „wegerklärt“.
Immer wieder sind in der Vergangenheit Missbrauchsvorwürfe gegen Sogyal Rinpoche laut geworden. Durch die jüngsten Vorgänge ist jedoch eine neue Stufe eingetreten. Rigpa Deutschland teilte auf Anfrage mit, dass der Verein seine Beziehungen zu Sogyal Rinpoche neu ordnen müsse, und versicherte, dass innerhalb der Gemeinschaft in Deutschland ein offener und transparenter Dialog über die in dem Brief erhobenen Vorwürfe begonnen habe.
Aufklärung in Sachen Machtmissbrauch von buddhistischer Seite ist allerdings ein dringendes Desiderat. Bisher wird sie von wenigen Einzelpersonen zu einem zentralen Thema gemacht, so etwa von Tenzin Peljor3, Matthias Steingass, Christopher Hamacher. Das ehemalige Mitglied des Rates der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) Franz-Johannes Litsch hat schon vor über zehn Jahren nachhaltig Prozesse angestoßen.
Die Veröffentlichung der wichtigsten Dokumente des Rigpa-Skandals auf der Seite der DBU-Zeitschrift „Buddhismus aktuell“ (warum nicht auf der Hauptseite der DBU?) ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.4
Rigpa wurde 1979 gegründet und hat nach eigenen Angaben über 130 Zentren und Gruppen in 30 Ländern, für Deutschland werden zwölf Zentren und sechs Gruppen ausgewiesen. Rigpa e. V. ist Mitglied der DBU.
Friedmann Eißler
Anmerkungen
- www.lionsroar.com/wp-content/uploads/2017/07/Letter-to-Sogyal-Lakar-14-06-2017-.pdf (Letzter Abruf: 31.7.2017).
- Vgl. zur Thematik, auch zu den zwei Wahrheitsebenen: Martin Brauen: Geschlechterbeziehungen und Sexualität im klerikalen tibetischen Buddhismus, in: MD 5/2002, 142-149. „Crazy Wisdom“ wurde im Zusammenhang mit dem ausschweifenden Lebensstil des für die Verbreitung des Buddhismus im Westen bedeutsamen Tibeters Chögyam Trungpa (1939 – 1987) zu einem beachteten Thema; der gleichnamige Dokumentarfilm von Johanna Demetrakas erschien 2011.
- Ausführliche Zusammenfassung der aktuellen Vorgänge auf http://blog.buddhistische-sekten.de/turbulente-zeiten-zum-thema-missbrauch-im-buddhismus-nun-hats-auch-sogyal-rinpoche-rigpa-erfasst.
- http://buddhismus-aktuell.de/artikel/artikel-exklusiv-online-auf-buddhismus-aktuell/missbraucht-geschlagen-laecherlich-gemacht-schuelerinnen-und-schueler-von-sogyal-rinpoche-erheben-schwere-vorwuerfe.html .