Mormonen

Mission - jederzeit und überall

Das beachtliche Wachstum der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) kommt nicht von ungefähr. Weltweit waren im Jahre 2003 mehr als 60.000 ehrenamtlich tätige Missionare in etwa 100 Ländern unterwegs, um für diesen Glauben zu werben. Bei den meisten Missionaren handelt es sich um junge, ledige Männer und Frauen, die 18 bis 24 Monate lang ganztags auf eigene Kosten in fremden Ländern Dienst tun. Allein in Deutschland sind täglich etwa 700 von ihnen unterwegs. Dennoch erfahren Außenstehende wenig über die Welt dieser Missionare, darüber, wie sie mit Ablehnung, Desinteresse und Misserfolgen umgehen. Das wäre ein interessantes Thema, zumal die Missionserfolge in den deutschsprachigen Ländern bescheiden sind.

Spricht man Missionare in der Öffentlichkeit an, so fällt auf, dass sie oftmals wenig von den alltäglichen Sorgen der Menschen vor Ort wissen; politische oder gesellschaftliche Konfliktfelder sind kaum im Blickfeld, mitunter ist sogar ein einfaches Gespräch schwierig - es sei denn, man gibt sich den Belehrungen über die Glaubensvorstellungen der Mormonen aufmerksam hin. Es ist zwar nachvollziehbar, dass ein Missionar, der z. B. aus den USA nach Deutschland gekommen ist, hier auch missionieren will, man fragt sich dennoch, welcher innere Druck diese Missionare so rastlos erscheinen lässt.

In diesen Tagen sind auf einer halboffiziellen Homepage der Mormonen interne Texte zu finden, die für den Einsatz im Umfeld der Mission gedacht sind. Es handelt sich dabei um etwas holprige Übersetzungen aus dem Englischen. Das Material zeigt deutlich, unter welch großem Druck die Missionare stehen. So heißt es eingangs: "Wir müssen immer auf der Suche nach Menschen sein, die wir belehren können. Bei allem was wir tun ... müssen wir von diesem Gedanken beseelt sein." Der Slogan heißt: "OYM / ATAP = Open Your Mouth / Any Time Any Place." Wann auch immer die Missionare Menschen ansprechen, sie sollen "das Wort der Wahrheit" predigen. In dem Arbeitstext "Teach to Find" wird die rhetorische Frage gestellt: "Es gibt viele Menschen, die von Tür zu Tür gehen, um ihren Glauben vorzustellen. Was unterscheidet uns von ihnen?" Die ebenso schlichte wie verblüffende Antwort lautet: "Es ist der Geist. Wir haben den Heiligen Geist."

Jede Begegnung und jedes werbende Gespräch soll dem Dreischritt folgen: einen Grundsatz lehren - eine Frage stellen - Zeugnis ablegen. Dieses Muster ist beliebig oft und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen einsetzbar. Die Grundaussagen sollen dabei stets einfach sein: "Ich bin ein Gotteskind", "Familien sind ewig", "Gott ist mein Vater im Himmel" usw. Die Fragen sind möglichst offen zu formulieren: "Was denken Sie über Gott?" "Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Gebet gemacht?" "Was bedeutet die Bibel für Sie?" Schließlich sollen die Missionare "einfache und kraftvolle" Zeugnisse ablegen, etwa in dem Sinne: "Ich weiß, dass Gott lebt", "Ich weiß, dass es ein Leben nach dem Tod gibt" oder "Ich weiß, dass die Familie in alle Ewigkeit Bestand hat" usw.

Selbst Gottesdienstbesuche werden als potentielle Gelegenheiten für die Mission betrachtet: "Kein Nichtmitglied sollte diese Versammlung verlassen, ohne dass Missionare die Gelegenheit hatten, 'Find out Questions' zu stellen und Termine zu vereinbaren." Aus dem Material geht ebenfalls deutlich hervor, dass die oftmals von Mormonen angebotenen Englischkurse ausschließlich dem Missionsgedanken untergeordnet sind: "Verlieren Sie niemals Ihren Fokus. Sie sind hier, um das Evangelium zu lehren. Englischklassen sind nur ein Mittel, um den Menschen Berührungsängste mit den Missionaren und der Kirche zu nehmen." Viel wichtiger als die englische Sprache ist den Offiziellen der Mormonen, dass die Sprachschüler "die Sprache des Geistes" kennen lernen und "ein gutes Vertrauensverhältnis mit uns aufbauen und die Kirche kennen lernen".

Weil das Ansprechen fremder Menschen oft mit Schwierigkeiten verbunden ist, holen die Missionare auch gern Empfehlungen ein. So fragt man beispielsweise Mitglieder der Mormonen, wer in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis besucht werden sollte. Dafür werden Kriterien empfohlen, die besonders auf Menschen in Krisensituationen abzielen: nach Schicksalsschlägen und Todesfällen, bei Eheproblemen und Schwierigkeiten mit den Kindern oder bei Einsamkeit. Wenn also morgen Mormonen an Ihrer Haustür klingeln, dann sollten Sie sich überlegen, zu welcher Kategorie Sie möglicherweise gehören.

Andreas Fincke