Mitglieder der Colonia Dignidad verhaftet
(Letzter Bericht: 6/2010, 226f) Im Zusammenhang der Aufarbeitung der Verbrechen, die in der deutschen Sekte „Colonia Dignidad“, später umbenannt in „Villa Baviera“, in Chile begangen wurden, sind am 23. Mai 2011 acht Mitglieder des ehemaligen Führungskreises der Gemeinschaft verhaftet worden. Bereits im Januar waren sie wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen verurteilt worden. Nach Medienberichten handelt es sich dabei um Karl van den Berg (76), Gerhard Mücke (77), Kurt Schnellenkamp (84), Friedhelm Zeitner (47), Matthias Gerlach (40), Renate Freitag (71), Gerd Seewald (89) und Gisela Gruhlke (80). Zwei weitere gesuchte Personen, darunter Rebeca Schäfer, die Adoptivtochter des Sektenchefs Paul Schäfer, stellten sich den Behörden. Die Verurteilten waren unter Auflagen auf freiem Fuß, bis der Oberste Gerichtshof die Urteile bestätigen oder revidieren würde. Die Entscheidung sollte demnächst fallen.Ein prominentes Führungsmitglied der Gemeinschaft hat sich durch Flucht der Verhaftung entzogen. Der Arzt Dr. Hartmut Hopp (66), der ebenfalls wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, wird als die „rechte Hand“ des Sektengründers Paul Schäfer bezeichnet. Medien spekulieren, dass er der letzte noch Lebende sei, der wisse, wo sich die auf beträchtliche Höhe geschätzten Schwarzgelder der Colonia Dignidad aus Zeiten der Diktatur Pinochets befinden. Es wird vermutet, dass sich Hopp nach Deutschland abgesetzt hat. Seine Frau Dorothea Witthahn war bereits im April nach Deutschland geflogen, zusammen mit der ehemaligen Buchhalterin der Gemeinschaft, Erika Heimann. Auch sie sollen, wie weitere Sektenmitglieder, von der chilenischen Justiz gesucht werden, hieß es in Medienberichten. Die Schwiegertochter Hopps, Bärbel Schreiber, bestätigte gegenüber Journalisten, dass sich der Gesuchte in Deutschland aufhält. Bärbel Schreiber ist die Tochter des ebenfalls vor der Justiz nach Deutschland geflüchteten Albert Schreiber, der 2008 gestorben ist. Sie lebt in Krefeld, wie andere ehemalige Sektenmitglieder auch, die Chile nach der allmählichen Auflösung der Gemeinschaft verlassen hatten. Anziehungspunkt für sie ist die „Freie Volksmission Krefeld“ um Ewald Frank, der nach der Flucht des Sektenchefs Schäfer unter den Mitgliedern der Colonia Dignidad / Villa Baviera missioniert hatte. Medien spekulieren deshalb, dass sich auch Hopp im Umfeld der Freien Volksmission Krefeld aufhalten könnte. Hopp wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Das Bundeskriminalamt ist mit der Prüfung des Falls beschäftigt.Paul Schäfer war 1961 mit etwa 200 Anhängern nach Chile ausgereist, nachdem er in Deutschland wegen Kindesmissbrauchs angezeigt worden war. Seinen Anhängern, von denen später noch einmal etwa 100 nachkamen, versprach er in Chile ein Leben als „Brautgemeinde Christi“. In Chile erwarb er ein Landgut, wo die Gemeinschaft ein Dorf unter dem Namen Colonia Dignidad („Kolonie der Würde“) gründete. Paul Schäfer errichtete hinter Stacheldraht in kurzer Zeit ein System totalitärer Herrschaft. Die Bewohner waren in allen Lebensvollzügen seinem Diktat unterworfen. Es kam zu systematischer Gewaltanwendung gegenüber den Kindern und Jugendlichen der Gemeinschaft unter dem Vorwand, ihnen das Böse auszutreiben. Zudem wurden die Jungen von Paul Schäfer sexuell missbraucht. Seit dem Militärputsch von 1973 arbeitete Paul Schäfer mit der Diktatur von Pinochet zusammen. Nachweislich wurden Regimegegner auf dem Gelände der Colonia Dignidad von der Geheimpolizei gefoltert und getötet. Die Sekte war auch in Waffenhandel verstrickt. 1988 nannte sich die Gemeinschaft in „Villa Baviera“ um. Nachdem die Gemeinschaft nach dem Tod Pinochets 1989 und der Demokratisierung Chiles nicht mehr als unantastbar galt, floh Schäfer 1997 vor einer drohenden Strafverfolgung nach Argentinien und konnte erst 2005 verhaftet werden. Er wurde zu 33 Jahren Haft verurteilt. 2010 starb er 88-jährig im Gefängnis von Santiago de Chile.Seit 1997 befindet sich die Gemeinschaft in einem schwierigen Prozess der Neuorientierung. Dazu gehört die schmerzhafte Auseinandersetzung zwischen Opfern und Tätern, die noch lange Jahre zusammen gelebt haben und zum Teil heute noch in Villa Baviera Tür an Tür wohnen. Die Strafverfolgung gestaltet sich zum Teil schwierig. Die Sekte war in erstaunlichem Maß in die Politik Chiles verwickelt. Auch deutschen Politikern wie Franz Josef Strauß wurde eine mangelnde Distanz zu Paul Schäfer nachgesagt. Umso wichtiger wäre es, wenn die in Chile Angeklagten auch in Deutschland nicht vor einer Strafverfolgung sicher wären.
Claudia Knepper