Spiritualität

Modellstudiengang Integrale Medizin

Seit 2016 wird von der Steinbeis-Hochschule Berlin im Rahmen eines zweisemestrigen universitären Modellprojekts die berufsbegleitende Weiterbildung „Caring and Healing“ angeboten (www.caringandhealing.de ). Studierende der Medizin, Ärzte sowie Menschen aus anderen akademischen Heilberufen sollen hier eine heilsame ärztliche Persönlichkeit entwickeln. Anfang März 2020 findet dazu ein verpflichtendes Einführungsseminar zu Integraler Medizin statt. Die Lehrgangsleitung möchte damit die „ärztliche Kernkompetenz“ transpersonaler Verbundenheit schulen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen durch Introspektion und meditative Übungen zu persönlichen und transpersonalen Selbsterkenntnissen gelangen und in einen tiefgreifenden Beziehungsraum gelangen, in dem das Heilungspotenzial und die sinngebenden Ressourcen der Patienten leichter zugänglich sein sollen. Das Modellprojekt Integrale Medizin will die konventionelle und die Mind-Body-Medizin durch eine sogenannte „integrale“, alle Ebenen des Seins – Körper, Affekt, Verstand und höheres Bewusstsein – umfassende Vorgehensweise erweitern. Sie fußt auf dem integralen Menschenbild Ken Wilbers und will wissenschaftliches Denken und spirituelle Einsichten verbinden.

Die große Nachfrage nach spirituellen Heilungs- und Gesundheitsangeboten hat auch die akademischen Ausbildungen der Medizin erreicht. Die Integration der religiös-spirituellen Vorstellungen des Patienten in die Krankenbehandlung ist wichtig und verdient mehr Beachtung. Vergleicht man das Curriculum des genannten Modellprojekts jedoch mit internationalen Standards, etwa mit einem ähnlichen amerikanischen Trainingsprogramm (Michelle Pearce et al.: A novel training program for mental health providers in religious and spiritual competencies, in: Spirituality in Clinical Practice 6/2019, 73-82), fallen große Unterschiede auf. Vor allem sticht die dort stärker ausgeprägte kultur- und religionssensible Vorgehensweise ins Auge. Mit dem Fokus auf dem integralen Menschenbild und dem Konzept nondualer Verbundenheit von Person und Kosmos steht das Berliner Modellprojekt in Gefahr, den Bedürfnissen religiöser Patienten nicht gerecht zu werden, die in einer beziehungsorientierten, personalen Spiritualität verwurzelt sind.


Michael Utsch