Hans Jansen

Mohammed. Eine Biographie

Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie, Verlag C.H. Beck, München 2008, 491 Seiten, 24,90 Euro.

Nasr Hamid Abu Zaid mit Hilal Sezgin, Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam, Herder Verlag, Freiburg / Basel / Wien 2008, 222 Seiten, 19,95 Euro.


Im Jahr 2008 sind zwei von der Umschlaggestaltung her ähnlich aussehende Bücher veröffentlicht worden, die beide den Ursprung des Islam behandeln. Beide sind bei renommierten Verlagen erschienen. Beide stammen von Professoren, die an derselben Universität unterrichten. Beide haben als allgemeinverständliche Sachbücher ihre Meriten. Beide sind in der Wolle der aktuellen Debatten um den Islam in der Gegenwart gefärbt.

Die Archäologie hat in jüngerer Zeit den Anstoß gegeben, so manche sicher für historisch gehaltene religiöse Tradition in Frage zu stellen. So muss zum Beispiel die alttestamentliche Wissenschaft die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Salomo eine rein legendarische Figur ist – denn für ihn und sein Reich gibt es keine einschlägigen Funde. Auch für Mohammed, den Stifter des Islam, fehlt die archäologische Evidenz. So kann seine Historizität radikal in Zweifel gezogen werden. In jüngerer Zeit gab es verschiedene Arbeiten von Forschern, u. a. aus England und Israel, aber auch von deutschen Randsiedlern der Forschung, die in diese Richtung gegangen sind. Die radikale Skepsis ist mittlerweile in der kontinentaleuropäischen Islamwissenschaft angekommen.

Das zeigt Hans Jansen, außerordentlicher Professor für islamisches Denken der Gegenwart an der Universität Utrecht. Sein Buch folgt der klassischen Lebensbeschreibung des Propheten von Ibn Ishâq (704-767 n. Chr.). Diese hat bis in die jüngste Zeit einen enormen Einfluss auf das Bild Mohammeds auch in wissenschaftlichen Darstellungen, ist auf Deutsch aber nur in einer stark gekürzten Ausgabe erhältlich.

Jansen geht so vor, dass er die klassische Prophetenbiographie abschnittsweise nacherzählt und dann kritisch kommentiert. Er stellt das Werk Ibn Ishâqs als ausschließliche Quelle unseres Wissens über Mohammed dar (19). Hier werden ihm die Fachkollegen wohl überwiegend widersprechen. Immerhin kann Jansen zeigen, dass die klassische Prophetenbiographie historisch durch und durch fragwürdig ist. Dies betrifft nicht nur einzelne offensichtlich legendarische Episoden, sondern das gesamte Werk. Der Autor macht insbesondere deutlich, dass die Chronologie eine Fiktion ist, denn keine der zahlreichen Geschichten, die Ibn Ishâq berichtet, fällt auf einen der Schaltmonate, die erst in späterer Zeit abgeschafft wurden – was aber statistisch höchst unwahrscheinlich ist (448f). Die Bedeutung dieses Befundes ist kaum zu unterschätzen. Schließlich bildete Ibn Ishâqs Datierung das Rückgrat aller Rekonstruktionen des Lebens Mohammeds.

Heißt das, dass Mohammed letztlich nur eine fiktive, konstruierte Figur ist und keine historische Person? Jansen lässt diese Frage offen. Immerhin rückt er durch die genaue Betrachtung der Geschichten über Mohammed ein verbreitetes verklärtes Bild des Propheten zurecht. „Mohammeds Auftreten wurde gelegentlich mit dem des Patriarchen Abraham verglichen, wie es im Buch Genesis des Alten Testaments beschrieben wird. Eine gewisse Ähnlichkeit ist zwar durchaus vorhanden, aber wenn wir nun unbedingt ein Bild aus der Bibel entleihen wollen, gibt es einen treffenderen Vergleich: Die Rolle Mohammeds in den von Ibn Ishâq gesammelten Geschichten erinnert am meisten an diejenige der Richter im Alten Testament. Auch diese stellten, ohne Könige zu sein, in einer staatenlosen Gesellschaft Heere auf die Beine, die gegen die Feinde Gottes und seines Volkes kämpften“ (442). Diese Sicht Mohammeds ist zwar nicht neu, lässt sich aber angesichts der Quellen schlechterdings nicht widerlegen.

Kritisch dagegen ist festzustellen, dass sich Jansens Interesse an der Geschichte mit der Kritik am zeitgenössischen Islam überlappt. So sehr allgemeine und spezielle Religionskritik ehrenwerte Anliegen sind: Sie in eine historische Darstellung hineinzumengen, ist ein Indiz für eine schlechte Distanzlosigkeit. Und selbst wenn man moralische Betrachtungen zu den dargestellten – historischen oder quasihistorischen – Personen anstellen möchte, wäre es nach Meinung des Rezensenten geboten gewesen, eine andere Position zu wählen. Vom Historiker Gibbons soll der methodische Grundsatz stammen, dass man in der Geschichtsbetrachtung keinem erhabenen Motiv trauen darf, wenn sich auch ein niedriges finden lässt. Aber ist das nicht überkritisch? Muss der Wissenschaftler nicht bei allem Zweifel auch damit rechnen, dass man es bei den Tradenten mit Menschen mit Sinn und Empfinden für eine Form von Moral zu tun hat? Ethische Einstellungen mögen sich im Verlaufe der Kulturgeschichte ändern – aber keine Gesellschaft der Welt kann sich einen völlig willkürlichen Umgang mit der Wahrheit leisten. Insofern wird man den Geschichten Ibn Ishâqs mehr Authentizität zubilligen müssen, als Jansen das tut.


An derselben Universität, an der Hans Jansen Professor ist, lehrt auch der aus Ägypten stammende Nasr Hamid Abu Zaid. 1995 wurde er dafür bekannt, dass er wegen seiner Koraninterpretation von Gegnern als ungläubig gebrandmarkt wurde. Höhepunkt des Konflikts war, dass er in Ägypten als vermeintlicher Apostat gerichtlich von seiner Frau zwangsgeschieden wurde. Er ging daraufhin mit ihr ins europäische Exil, zuerst nach Leiden und dann nach Utrecht. Man hat ihn einmal einen „liberalen Theologen“ genannt, und vermutlich sieht er sich auch selbst so. Meines Erachtens ist er, wie im Folgenden deutlich wird, eher als „Vermittlungstheologe“ einzuordnen. Er hat in Zusammenarbeit mit der Publizistin Hilal Sezgin ein Buch auf den deutschen Büchermarkt gebracht, das – obwohl es das bestreitet – letztlich eine milde Apologetik des Islam bzw. einer netten Islam-Variante ist.

Nasr Hamid Abu Zaid beruft sich in seinem Umgang mit der Tradition auf Hans-Georg Gadamer. Seine Exegese des Korans ist von dem inspiriert, was wir aus der christlichen Theologie als existenziale Interpretation kennen. Was Mohammed angeht, gesteht er ihm etwa zu, dass er ein Mensch war, der auch in moralischer Hinsicht Fehler machte (54f) – im Gegensatz zur traditionellen islamischen Theologie, die eine Unfehlbarkeitslehre bezüglich des Propheten vertritt. Abu Zaid fordert zwar, den Koran historisch zu interpretieren, es fehlt ihm allerdings die Konsequenz, diese Sichtweise auch durchzuhalten. Auf den radikalen Skeptizismus, der in der akademischen Welt mittlerweile durchaus eine Rolle spielt, geht er nicht einmal ein.

Auch dass der Koran moralische Kritik verdient, gesteht Abu Zaid nicht zu. Hinsichtlich der Körperstrafen etwa meint er: „Der Koran hat sich diese Strafen nicht ausgedacht, sondern es waren die Strafen, die die Gesellschaften damals angewendet haben“ (175). Dagegen ist es so, dass der Koran die damals üblichen Strafen nicht einfach (deskriptiv) festgestellt hat. Natürlich wollte er sie entweder verschärfen oder erleichtern; selbst wenn er sie nur festschreiben wollte – in jedem Fall geht es darum, dass Gott die menschliche Strafpraxis (präskriptiv) bestimmt. – Ein anderes Beispiel betrifft die häufig diskutierte Passage des Korans, dass Männer ihre Frauen gegebenenfalls schlagen sollen, wenn sie von ihnen Widerspenstigkeit befürchten. Hier konstatiert Abu Zaid, diese Form häuslicher Gewalt sei „erlaubt, wenn auch nur in einem bestimmten Kontext“ (160). An der Verkennung des Textes wird deutlich: Abu Zaid versucht etwas zu retten, was ehrlichen Gewissens nicht zu retten ist.

Wie sich Abu Zaids Theologie von anderen Positionen absetzt, einerseits von traditionellen oder andererseits von modernen – seien sie säkular oder liberal-christlich –, ist z. B. aus folgender Bemerkung ersichtlich: „Ich persönlich bewundere Adam dafür, dass er als Einziger den Mut besaß, sich selbst aus diesem Gefängnis zu befreien, das ‚Paradies’ heißt“ (128). D. h. einerseits stellt er Adam als historische Person hin, die man persönlich bewundern kann; hierin zeigt sich seine Verbundenheit mit der traditionellen Sichtweise. Andererseits ist für Abu Zaid die nicht nur in der Sündenfallgeschichte bekannte, traditionelle Vorstellung vom Paradies problematisch; darin ist er modern. Das Buch ist daher durchaus mit Gewinn zu lesen. Etwa die Darlegungen zur inneren Vielstimmigkeit des Korans und zur Verteidigung des Monotheismus enthalten Passagen, die gut die Perspektiven einer zukünftigen islamisch-modernistischen Position erkennen lassen.

Insgesamt: Wer sich mithilfe populärwissenschaftlicher Literatur einen Eindruck von der Problemlage um Ursprünge und Gegenwart des Islam verschaffen möchte, der lese die ganz gegensätzlichen Bücher zusammen. Irgendwo zwischen Polemik und Apologetik sollte die Wahrheit schließlich liegen.


Gereon Vogel-Sedlmayr, Passau