„Mormons, Inc.“? Ehemaliger Mormone reicht Klage ein gegen die LDS wegen Betrugs und Zweckentfremdung von Spendengeldern
Am 22. März 2021 wurde eine Klage wegen Betrugs und möglicher Zweckentfremdung von Spendengeldern gegen die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (engl. Church of Jesus Christ of Latter-day Saints; kurz LDS)1 vor dem Bezirksgericht im Central District of California eingereicht. Geklagt hatte James Huntsman, ein einflussreicher amerikanischer Filmproduzent und Bruder des ehemaligen Gouverneurs von Utah, Jon Huntsman Jr. In der Klage fordert Huntsman rund fünf Millionen Dollar Schadensersatz mit der Begründung, dass die LDS sein gespendetes Geld nicht ausschließlich für religiöse oder wohltätige Zwecke verwendet habe, sondern auch für kommerzielle Interessen.2 Das zurückgeforderte Geld möchte Huntsman, der im Herbst letzten Jahres die Gemeinschaft verlassen hat, verschiedenen Organisationen spenden, die sich für Menschen einsetzen, die durch die Lehren der Glaubensgemeinschaft ausgegrenzt wurden. Dies schließt unter anderem Frauenrechtsgruppen, afroamerikanische Bürgerrechts- und „LGBTQ+“-Organisationen ein.3
Huntsmans Abwendung von der LDS folgte einem Enthüllungsbericht, der die Leitung der Glaubensgemeinschaft bereits vor gut einem Jahr in die Schlagzeilen gebracht hatte, nachdem ein ehemaliger Portfolio-Manager von Ensign Peak Advisors, einer zur Glaubensgemeinschaft gehörenden Investment-Abteilung, bei der US-amerikanischen Steuerbehörde (IRS) Beschwerde einlegt hatte. Wie die Washington Post damals berichtete, ging aus der Beschwerde von David Nielsen, einem ehemals hochrangigen Investment-Manager bei Ensign, hervor, dass die LDS bis zu 100 Milliarden Dollar in ihrem Fonds einlagerte und in zwei Fällen sogar in gewinnorientierte Projekte investiert haben soll.4 Im Interview kritisierte David Nielsens Bruder Lars, der eine Kopie der offiziellen Beschwerde seines Bruders an die Presse weiterreichte, dass die Steuerbefreiung von Einnahmen durch Spendengelder darauf beruhe, dass sie für religiöse oder karitative Zwecke eingesetzt werden, nicht jedoch zur Maximierung von Besitz.
Wie andere Glaubensgemeinschaften ruft die LDS ihre Mitglieder dazu auf, den Zehnten des Einkommens an die Institution abzugeben, begründet durch Gen 14,20. Da die Einnahmen durch Mitgliederspenden, die auf ca. 7 Milliarden Dollar jährlich geschätzt werden, jedoch die zu deckenden Ausgaben übersteigen, werden verbleibende Einnahmen auf den Fonds von Ensign übertragen. Dessen Volumen war in den letzten Jahren durch geschicktes Investment und daraus resultierende Kapitalerträge stark angewachsen, wie aus der Beschwerde hervorging.
Unmittelbar nach den ersten Medienberichten 2019 nahm die Leitung der LDS zu den Vorwürfen Stellung und versicherte, dass sie einen Großteil ihrer gespendeten Einnahmen direkt zur Finanzierung ihrer missionarischen Tätigkeiten sowie für Bildungszwecke und den Bau bzw. den Erhalt der Tempel verwende. Zudem erklärte ein hochrangiges Mitglied der Glaubensgemeinschaft in einem Vortrag 2016, dass die LDS pro Jahr rund 40 Millionen Dollar für internationale Hilfsprojekte und humanitäre Aufgaben ausgebe. Theologisch begründet wird das Ansparen größerer Reserven unter Verweis auf das Gleichnis der anvertrauten Talente (Mt 25, 14-30).
Aus juristischer Sicht scheinen weder die Beschwerde von David Nielsen noch die nun eingereichte Klage von James Huntsman Erfolgschancen zu haben. Da es keine festgelegte Höhe gibt, ab wann steuerbefreite Einnahmen von religiösen Institutionen ausgegeben werden müssen, ist es unwahrscheinlich, dass die Steuerbehörde den Vorwürfen nachgehen wird. Auch Huntsmans Klage scheint wenig aussichtsreich zu sein, da seine Spenden auf freiwilliger Basis erfolgten. Wie Eric Hawkins, ein Sprecher der LDS, in einer offiziellen Stellungnahme bekanntgab, sei die Gemeinschaft derzeit nicht im Gespräch mit der Steuerbehörde bezüglich der Beschwerde von 2019.5
Der Imageschaden und der damit möglicherweise einhergehende Vertrauensverlust innerhalb der Gemeinschaft gegenüber der Leitung könnte jedoch erheblich sein, glaubt man einzelnen Stimmen. Zwar war es bereits lange kein Geheimnis mehr, dass die LDS zu den wohlhabendsten Glaubensgemeinschaften der USA gehört, so schlug die Nachricht über den 100-Milliarden-Dollar-Fonds doch wie eine Bombe ein. Im persönlichen Austausch mit einigen Mormonen vor Ort schlug mir bereits 2019 großes Unverständnis entgegen, wie eine so reiche Gemeinschaft ihren ärmsten Mitgliedern Spenden abverlangen kann, während sie ihren Besitz zunehmend hortet. Berichte über große Finanztransaktionen im Corona-Jahr 2020 wie den Ankauf von Anteilen an Tech-Riesen wie Zoom (im Wert von 40 Millionen Dollar)6 verstärken dabei möglicherweise nur noch den Eindruck der institutionellen Leitung als Manager eines Unternehmens – oder wie ein Time-Cover von 1997 es bereits betitelte – „Mormons, Inc.“7
Claudia Jetter, 01.05.2021
Anmerkungen
- Mitglieder der Gemeinschaft bezeichnen sich selbst als Heilige der letzten Tage (HLT), sind aber für Nichtmitglieder bekannt unter dem Namen Mormonen.
- Vgl. Bradford Betz: High profile ex-Mormon church member James Huntsman files lawsuit against church alleging fraud, Fox News, 23.3.2021, https://tinyurl.com/57tstybv (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 10.5.2021).
- Vgl. Michelle Boorstein: In federal lawsuit, James Huntsman, of prominent Utah family, accuses Mormon Church of fraud, Washington Post, 23.3.2021, https://tinyurl.com/5a5t2sec .
- Vgl. Jon Swaine u. a.: Mormon Church has misled members on $100 billion tax-exempt investment fund, whistleblower alleges, Washington Post, 17.12.2019, https://tinyurl.com/2fbtr43r. Konkret handelte es sich dabei zum einen um finanzielles Investment in Beneficial Life, eine von der Gemeinschaft geführte Versicherungsfirma, und zum anderen um die finanzielle Unterstützung eines Einkaufszentrums in Downtown Salt Lake City, an welchem die LDS als Investor mitbeteiligt war. In beiden Fällen waren die Unternehmen während der Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten und erhielten finanzielle Unterstützung durch Ensign, ein Unternehmen, das als sogenanntes „integrated auxiliary“ („eingegliederte Hilfsabteilung“) an die LDS angegliedert ist und dadurch steuerbefreites Einkommen verbuchen kann.
- Vgl. Boorstein: In federal lawsuit, James Huntsman, of prominent Utah family, accuses Mormon Church of fraud (s. Fußnote 3).
- Vgl. Nate Carlisle: LDS Church stock riches drop by $8 billion as it sells Exxon shares, buys Zoom, The Salt Lake Tribune, 21.3.2020, www.sltrib.com/religion/2020/05/20/lds-church-sells-exxon.
- Time-Cover: http://content.time.com/time/covers/0,16641,19970804,00.html.