Gregor Siefer

Mosaiken. Religionssoziologische Streiflichter

Gregor Siefer, Mosaiken. Religionssoziologische Streiflichter (Spuren der Wirklichkeit, Bd. 26), LIT Verlag, Berlin 2011, 563 Seiten, 39,90 Euro.

Gregor Siefer, Splitter. Soziologische Akzente (Spuren der Wirklichkeit, Bd. 27), LIT Verlag, Berlin 2012, 604 Seiten, 39,90 Euro.

Etwa ab 1970 setzte parallel zur Aufsprengung der relativ homogenen und überschaubaren Sozial- und Kulturstrukturen der Nachkriegsjahre in multiplurale Lebenswelten eine dramatische Veränderung der bis dahin dominanten konfessionell-volkskirchlichen religiösen Landschaft ein, die – wie die Folgen einer Kernspaltung des Religiösen – noch heute anhält. Für die empirische Religionssoziologie bot sich damit die Chance und Herausforderung, diese neuen Phänomene vom gesamtgesellschaftlichen Befund her zu dokumentieren, zu kommentieren und verstehend zu deuten. Wie weit sie dem insgesamt nachgekommen ist, bleibe hier dahingestellt. Zumindest diese beiden Bände sind der Zumutung, den religiösen Wandel distanziert und informativ zu verarbeiten, voll und ganz gerecht geworden. Gregor Siefer, von 1961 bis 1991 Dozent und Professor für Soziologie an der Universität Hamburg, hat zahlreiche Beiträge aus den Jahren 1968 bis in die Jetztzeit versammelt und mit einem nachdenklichen, aber nicht pessimistischen Schlusswort über die Kirche in Deutschland im Jahre 2011 (Mosaiken) bzw. „Wege ins Ungewisse“ von 2012 (Splitter) abgeschlossen.

Die beiden Bände widmen sich den Transformations- und Krisenerscheinungen in vielen Einzelausprägungen und Momenten, die in Abschnitte gegliedert sind, wie Institution Kirche, Priester, Die Gläubigen und ihr Glaube, Ökumene, Dialog mit der Theologie (Mosaiken) bzw. Gesellschaft im Wandel, Werte und Moral, Kirche und Staat, Die Kirche und die Gläubigen (Splitter). Dem Autor kommen seine Nähe und Zugehörigkeit zum Untersuchungsfeld zugute (er hat nach dem Krieg die Katholische Akademie in Hamburg mitbegründet; die Älteren kennen vielleicht noch seine Dissertation über die „Arbeiterpriester“ in Frankreich von 1960), aus denen heraus er seine Zeitdiagnosen stellt, wobei er den umfassenden, wenig hilfreichen theoretischen Rundumschlag glücklicherweise unterlässt.

Entstanden sind die Beiträge großenteils aus Vorträgen, die sich an ein interessiertes und gebildetes Laientum richteten (Rundfunk, Akademien etc.) und entsprechend nicht in Soziologenkauderwelsch ausarten, sondern gut lesbar sind, und in denen man sich mit seinen eigenen Erfahrungen wiederfindet. Doch bleibt die Analyse stets im Rahmen seriöser Sozialwissenschaft und Kultursoziologie, nie gleitet sie in bloß unterhaltsames Feuilleton ab. So ist gleichsam eine bundesrepublikanische Religions- und Kirchengeschichte der letzten Jahrzehnte zusammengewachsen, die ganz und gar nicht antiquarisch wirkt, sondern nach wie vor gültige Relevanzstrukturen herauskernt, wie etwa den Wandel der Jenseitsvorstellungen, die Rolle der Frau in der Kirche, den Priestermangel, den kirchenterritorialen Umbau als Folge der deutschen Einheit oder des Mitgliederschwundes, Grenzen der Toleranz, konfessionelle Aspekte des Schul- und Bildungssystems usw.

Gleichzeitig wird – wohl nicht eigens intendiert – eine christliche Ökumene im Mangel erkennbar, denn die Probleme, Aufgaben und Aktionsstrategien, die hier debattiert werden, sind kaum noch einer der Konfessionen allein zuzuordnen.

Die Literaturangaben zu jedem Kapitel sind, nebenbei gesagt, eine Fundgrube für denjenigen, der sich noch näher mit den Problemen beschäftigen möchte, gleichgültig, welche Positionen er dazu bezieht.


Rainer Waßner, Hamburg