Karin van Nieuwkerk (Hg.)

Moving in and out of Islam

Texas University Press, Austin 2018, 421 Seiten, 25,98 Euro.

Die niederländische Kulturanthropologin und Inhaberin des Lehrstuhls für „Islam der Gegenwart in Europa und dem Mittleren Osten“ an der Radboud-Universität in Nijmegen präsentiert eine Aufsatzsammlung, die Beachtung finden sollte. Sie vereinigt darin neben einer ausführlichen Einleitung, die eine Einführung in die Konversionsforschung bietet und den dem Band zugrunde liegenden Forschungsansatz erläutert, 16 Beiträge von Autorinnen und Autoren unterschiedlicher religiöser Affiliation.

Hinsichtlich des Forschungsansatzes ist anzumerken, dass der Titel „Moving in and out of Islam“ mit Bedacht gewählt wurde. Die Herausgeberin betont, dass sie religiös und kulturell vorgeprägte Begriffe wie „Konversion“, „Dekonversion“ oder „Apostasie“ zu vermeiden suchte und eine weitgehend religiös neutrale Sprache die Analyse innerhalb des Buches prägen sollte. Dieses Anliegen findet sich in den einzelnen Beiträgen auch weitgehend wieder. Methodisch orientieren diese sich an soziologischen, sozialpsychologischen und ethnologischen Zugängen und stellen oftmals fallstudienartige Untersuchungen dar. Dabei teilen die Beiträge, wie von der Herausgeberin vorgegeben und in den ersten beiden Beiträgen theoretisch reflektiert, ein prozessuales Verständnis von „Konversion“, wobei dann die Nutzung dieses klassischen Begriffs auch infrage gestellt wird.

Dies proklamiert William Barylo bereits im Titel des ersten Beitrags „People Do Not Convert but Change“ (27-43), und Juliette Galonnier nutzt im Folgebeitrag Arnold van Genneps und Victor W. Turners Konzepte der prozessualen Ritualanalyse, um Konversionen zum Islam zu interpretieren (44-66). „Konversion“ wird innerhalb der Buchbeiträge als Prozess gedacht, der in seinem sozialen und kulturellen Kontext untersucht und verstanden werden soll. Die Beiträge beziehen sich auf zeitgenössische Phänomene. Hierbei werden unterschiedliche Regionen in den Blick genommen und auch unterschiedliche Ausprägungen des Islam und islamischer Milieus thematisiert. Der Schwerpunkt liegt klar auf Konversions- und Dekonversionsprozessen in westlichen Gesellschaften. So widmen sich Beiträge den Ländern Schweden, England, Deutschland, Tschechische Republik, Slowakei, Polen, Kanada, USA, Frankreich und Litauen, aber es findet sich auch ein Aufsatz zu Ägypten und einer zum Iran. Angemerkt werden sollte, dass der Band keine primär historisch orientierten Artikel bietet (beispielsweise zum Thema Konversion in der Frühzeit des Islam oder während des Osmanischen Reiches) und keine Artikel aus systematischer Perspektive der islamischen Theologie oder Rechtswissenschaft.

Die Beiträge sind fünf Themenblöcken zugeordnet. Der erste kreist, wie bereits angeklungen, um die Frage, in welchem theoretischen Rahmen religiöse Konversion sozialwissenschaftlich analysiert und gedeutet werden sollte.

Der zweite Teil präsentiert vier Beiträge, die beleuchten, welche Rolle Diskurse um Kultur, Ethnizität und Rassekonzepte für Konversions- und Dekonversionsprozesse spielen. So befasst sich Esra Özyürek mit deutschen Frauen im Berliner Stadtteil Wedding, die zum Islam konvertierten (91-106). Katarzyna Górak-Sosnowska und Michal Lyszczarz beleuchten die Situation der Tataren in Polen, die dort seit Jahrhunderten als muslimische Minderheit leben (152-175). Im Gegensatz zur Situation in Russland, wo tatarische Identität nicht gleichgesetzt wird mit einer speziellen religiösen Zugehörigkeit, erscheinen im polnischen Diskurs tatarische Ethnizität und Zugehörigkeit zum Islam auf das Engste ineinander verwoben. So stellt sich in diesem letztlich rassifizierenden Diskurs die Frage, ob es für Tataren möglich ist, ihre Religion zu wechseln oder sich vom Muslimsein zu distanzieren, ohne damit auch ihre ethnische Identität zurückzuweisen.

Der dritte Teil umfasst drei Beiträge und widmet sich Konversionen im Rahmen transnationaler islamischer Bewegungen. Diese Aufsätze richten den Blick auch auf Neupositionierungen innerhalb des Spektrums islamischer Traditionen. Oleg Yarosh befasst sich mit der Frage, wie religiöse Autorität in Berliner Sufi-Gemeinschaften ausgeübt wird (179-203). Die untersuchten Gemeinschaften, das Sufi Zentrum Rabbaniyya und die Tariqah Burhaniyya (180), haben viele Mitglieder, die Konvertiten oder Kinder von Konvertiten sind. Es befinden sich unter den Konvertiten aber auch Personen, die sich zwar als Anhänger des Sufismus verstehen, nicht aber als Muslime. So haben sie nicht die Shahada (Glaubensbekenntnis) abgelegt. Diese Gruppe unterscheidet sich teilweise auch in ihrem Habitus von den muslimischen Anhängern, wenn sie beispielsweise statt muslimischer ritueller Körperhaltungen aus buddhistischen oder hinduistischen Kontexten übernommene Haltungen, wie den Lotussitz, einnehmen und dabei die Finger zu Mudras formen. Der Beitrag Haifaa Jawads stellt den amerikanischen islamischen Theologen Hamza Yusuf vor (204-231). Er kontextualisiert dessen Programm zur Hinwendung zu einem traditionellen Islam vor dem Hintergrund des Aufstiegs salafistischer und dschihadistischer Diskurse unter muslimischen Studierenden im angloamerikanischen Raum in den 1990er Jahren und legt dar, wie er mit seinem Ansatz gegen die im Rahmen dieses Diskurses betriebene Radikalisierung und einseitige Politisierung argumentierte. Abschließend lässt die Autorin Kritiker von Yusufs Konzept zur Deradikalisierung durch Hinwendung zu einem traditionellen Islam zu Wort kommen, zieht jedoch den Schluss, dass seinem Ansatz weiterhin eine Schlüsselrolle zukomme (227).

Der vierte Teil vereint vier Aufsätze, die die Formen und Erfahrungen der Abwendung vom Islam thematisieren. Mona Alyedreessy vergleicht Konversions- und Dekonversionsprozesse von britischen Konvertiten zum Islam. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Gründe für den Bruch mit der neu angenommenen religiösen Identität vorlagen und warum sich die mit der Konversion einstmals verbundenen Hoffnungen nicht erfüllten. Simon Cottee befasst sich unter dem Titel „In the Closet“ mit Personen, die einen islamischen Familienhintergrund besitzen und sich im sozialen Kontext Großbritanniens und Kanadas vom Islam abwandten (281-305). Der Titel des Beitrags, der auf LGBTQ-Diskurse verweist, ist nicht ohne Grund gewählt, da Simon Cottees religionssoziologischer Interpretationsansatz eine Strukturanalogie zwischen Outing-Prozessen Homosexueller in westlichen Gesellschaften und dem Prozess der Abkehr vom Islam nahelegt. Karin van Nieuwkerk weist auf Diskurse hin, die in Ägypten seit der Absetzung Mohammed Mursis geführt werden. Ägyptische Medien thematisieren die Abkehr junger Ägypter vom Islam oder von Religionen, was zuvor kein öffentliches Thema war. Dabei präsentieren die großen Sender dieses Phänomen als eine Bedrohung für die Gesellschaft. Die Autorin zeigt auf, wie das Thema in unabhängig organisierten Medien aufgegriffen wird und welche argumentativen und rechtlichen Gegenmaßnahmen von unterschiedlichen staatlichen und religiösen Akteuren ergriffen werden. Teemu Pauha und Atefeh Aghaee richten ihren Blick auf den Iran (333-359). Sie weisen u. a. darauf hin, dass der sogenannte neue Atheismus, vermittelt über das Internet, durchaus auch dort Anhänger findet und man seine Rezeption nicht nur als Phänomen des „christlichen Westens“ verstehen sollte (356), wie dies bei Vertretern islamischer Apologetik nicht selten geschieht.

Teil fünf mit zwei Beiträgen trägt den Titel „Debating Apostasy and Deconversation“. Egdūnas Račius untersucht die Frage, wie in Litauen Konvertiten zum Islam die Abwendung vom Glauben interpretieren (363-384). Erstaunlich erscheint hier, dass von diesen nur eine förmliche und öffentliche Abwendungserklärung als Apostasie verstanden wird (380), wobei für diesen Fall dann einige der Befragten durchaus für eine Strafwürdigkeit optierten. Göran Larsson befasst sich mit der Frage, wie Imame in Schweden Personen bewerten, die sich vom Islam abgewandt haben (285-404). Er stellt fest, dass die Imame, mit denen er Interviews geführt hat, liberaler seien als diejenigen, die in den Medien porträtiert werden (393). Er stellt die Frage, ob es im säkularen Staat Schweden gefährlich ist, sich vom Islam abzuwenden, wie dies in schwedischen Medien diskutiert werde (393-400), und kommt zu dem Schluss, dass diese Frage in westlichen Medien verzerrt angegangen werde, da liberale Imame und Muslime zu wenig in diesen repräsentiert seien (401).

Der Band besitzt eine bei solchen Sammelbänden selten anzutreffende Einheitlichkeit. Diese beruht darauf, dass ein theoretischer Rahmen von den Autoren weitgehend geteilt wird und innerhalb der Beiträge Querverweise ausgewiesen sind. Das Stichwortverzeichnis ergänzt diese Verweise. Wer sich mit dem Thema Konversion und Dekonversion aus einer allgemeinen religionssoziologischen Perspektive befasst, sollte diesen Band einsehen, auch zu Vergleichszwecken, wenn man zu diesem Thema im Kontext anderer Religionen forscht. Wer sich speziell für Konversions- und Dekonversionsprozesse in muslimischen Kontexten interessiert, kommt an der Publikation nicht vorbei.


Harald Grauer, Sankt Augustin, 03.07.2020