Monika Nawrot

Multiple religiöse Identität

Dargestellt am Beispiel der Neureligion Sûkyô Mahikari

In der jüngsten Zeit hat sich die Religion der Gegenwart deutlich pluralisiert. So schwindet bei vielen Menschen die feste Bindung an eine Religionsgemeinschaft ebenso wie das Wissen um die Religion und ihre Symbole. Diese Pluralisierung1 scheint dazu zu führen, dass der konfessionelle Faktor für die Mehrheit keine große Rolle mehr spielt. Hierbei handelt es sich jedoch um eine vielschichtige Erscheinung. Es ist durchaus festzustellen, dass trotz des Bedeutungsrückgangs überlieferter Religiosität die Religion als privates Bedürfnis zurückkehrt. Anstelle des traditionellen überlieferten „Gottesglaubens“ entsteht nun ein Bedürfnis nach religiöser Erfahrung. Für den Einzelnen hat Religion viel mit Orientierung zu tun. Japanische religiöse Organisationen passen zu dem derzeitigen Trend einer freien Lebensführung, in der ein flexibler Glaube ohne starke institutionelle Bindung rezipiert wird. Am Beispiel der religiösen Organisation Sûkyô Mahikari soll dies näher betrachtet werden.

Ein Grund, warum immer mehr Menschen außerhalb Japans mit den Vorstellungen japanischer Religionen sympathisieren, könnte sein, dass japanische religiöse Organisationen von den unterschiedlichsten Weltanschauungen beeinflusst sind und einige dieser „neuen Religionen“ (shin shûkyô) wie beispielsweise Sûkyô Mahikari in ihren Lehren Begriffe aus dem Kontext des Christentums verwenden. Dies lässt neben dem exotischen Reiz auch eine Art Vertrautheit verspüren. Die japanische Sichtweise, dass Körper und Geist als Einheit gelten, wurzelt vor allem in der Lehre des Buddhismus. Bei Sûkyô Mahikari werden neben der Unterweisung durch die Schriften auch Methoden wie Akupressur, Licht(heilung) und Meditation angewandt.

Entstehung und Lehre von Sûkyô Mahikari

Aufgrund einer „Vision der astralen Welt“, die Okada Yoshikazu (1901 – 1974) als Offenbarung, „durch Vermittlung eines göttlichen Boten“, interpretierte,2 wurde Sûkyô (Verehrung der Lehre) Mahikari (wahres Licht) am 28. August 1959 als L. H. Yokoshi Tomo No Kai gegründet. Von seinen Anhängern wird Okada Sukuinushisama (großer Erlöser/Messias) genannt und als ikigami verehrt, die traditionelle Bezeichnung aus dem Shintô für „lebendiger Gott“. 1961 erhielt Okada durch ein von einem Shintô-Priester abgehaltenes Orakel den Beinamen Seigyoku (Heiliges Juwel). 1963 wurde Sekai Mahikari Bunmei-kyôdan (Kirche der Weltzivilisation des wahren Lichts) offiziell als religiöse Körperschaft eingetragen. 1965 bekam Okada einen weiteren spirituellen Namen: Seiô (großer Erlöser). Später nannte er sich Kautama (Kôtama), in Anspielung auf den historischen Buddha Siddharta Gautama.3 1971 gelangte Mahikari nach Europa. Nach einer Spaltung in zwei Glaubensrichtungen gibt es seit 1974 die Gruppierungen Sûkyô Mahikari und Sekai Mahikari.

Als Okada seine erste Offenbarung erhalten haben soll, war er durch einen Militärdiensteinsatz (schwerer Reitunfall) beinahe gelähmt. Wenn man diese erste Offenbarung vom 27. Februar 1959, die ein panentheistisches4 Weltbild widerspiegelt, näher betrachtet, wurde ihm der Name Kautama bereits hier erteilt: „Alles im Himmel und auf Erden ist Gottes Stimme. Die göttliche Wahrheit strömt daraus hervor. Es ist die rhythmische Bewegung der Vorsehung für alle Geschöpfe, die aus Gottes großer Liebe (welche aus dem wahren Kreuz von großer Gnade und großer Strenge besteht) strömt. Es ist der Atem göttlicher Energie, deshalb atmet die ganze Schöpfung. Shintoismus (Gottes Weg), die Buddhistischen Schriften, die Bibel und andere hatten vor mir die Erlaubnis, nur jeweils einen Teil der Wahrheit bekannt zu geben. Wenn eine dieser behauptet, vollkommen perfekt sein, dann ist das bereits eine pseudo-wahre Lehre. Es ist Selbstbetrug … Durch Egoismus und Hochmut haben sogar Gottheiten Fehlschläge erlitten. Es ist auch ein Beweis dafür, dass der Mensch ‚Gott auf die leichte Schulter nimmt und die großen göttlichen Seelen vernachlässigt‘. Du sollst die innerste Tiefe der göttlichen Wahrheit aussprechen. Der Geist der Wahrheit ist in Dich eingetreten. Du sollst aussprechen, was Du hörst. Die Zeit des Himmels ist gekommen. Erhebe Dich. Dein Name sei Kautama. Übe die Kunst der Reinigung aus. Es brechen schwere Zeiten über die Welt herein.“5

Es folgten noch weitere Offenbarungen, die in den Büchern „Goseigenshu“ (Die heiligen Anordnungen)6 und „Norigotoshu“ (Buch der Gebete) zusammengefasst sind. In dem monatlich erscheinenden „Mahikari International Journal“ und in den am letzten Sonntag eines jeden Monats stattfindenden Dankesfeiern wird aus diesen ursprünglichen Offenbarungen sowie anderen ergänzenden Weissagungen und Lehren, welche sowohl Elemente des Shintô, des Buddhismus, des Taoismus, des Schamanismus als auch des Christentums enthalten, zitiert. Trotz dieser Mischung verschiedenster religiöser Elemente wird Sûkyô Mahikari meist den schintoistischen Gründungen moderner religiöser Organisationen zugeordnet.7 Der internationale Hauptsitz ist in Takayama/Japan. In Deutschland gibt es ein Zentrum in Bremen.8

Sûkyô Mahikari versteht sich überkonfessionell und betont, wie viele andere japanische moderne religiöse Organisationen auch, den Religionspluralismus: Jedes Mitglied kann diejenige Religionszugehörigkeit weiter behalten, die es bereits besitzt.9 Da diese religiösen Organisationen in Deutschland häufig als eingetragene gemeinnützige Vereine fungieren, werden Anhänger in den offiziellen Statistiken als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft kaum erfasst. Einige der Vereinsmitglieder sind auch Mitglied einer Landeskirche. In Japan ist es indes nicht unüblich, zwei Religionsgemeinschaften gleichzeitig anzugehören. Hierzulande kommen diese Organisationen seit den letzten Jahren mit ihren Angeboten der allgemeinen Sinnsuche verstärkt entgegen.10

Nach den Aussagen der meisten Besucher von Dankesfeiern, welche meist in Privatwohnungen stattfinden, wird vor allem sehr viel Wert auf das „Erleben“ gelegt, und der Empfang des „göttlichen Lichts“ erlangt eine große Bedeutung. So vermerkt eine evangelische Anhängerin im Anschluss an eine Dankesfeier auf einem verteilten Fragebogen: „Ich gebe und empfange Licht – dabei bin ich nahe bei mir und bei Gott, Entspannung, bewusster leben, bewusste Körperwahrnehmung, Intuition.“ Eine katholische Teilnehmerin gibt an: „Beim Praktizieren fühle ich mich selbst, Entspannung, Befreiung, und bekomme Selbstvertrauen, Mut und Freude. Der Tag läuft anders, bin dankbar fürs Essen, spüre Erlösung und innere Ruhe und kann Schwierigkeiten besser überwinden.“ Die Lehren werden zwar oftmals während oder nach einer Dankesfeier besprochen, aber dennoch unkritisch reflektiert.

Der Gründer Okada Yoshikazu, der sich als endgültiger Erlöser (Messias) sieht, schreibt über seine Offenbarung: „Seit uralten Zeiten haben zahlreiche Heilige und Führer der großen Religionen Lehren verbreitet, da sie die Stimme Gottes vernahmen und durch Offenbarungen geführt wurden. Moses hörte die Stimme Gottes in der Wüste. Buddha wurde durch die Stimme einer großen himmlischen Gottheit (BONTEN) aufgefordert, für die Rettung der Menschheit zu beten. Johannes der Täufer, Jesus und Mohammed haben ebenfalls häufig die Stimme eines göttlichen Boten (sie werden in der Bibel als Engel oder heiliger Geist bezeichnet)11 gehört und folgten den Anweisungen … Gott offenbart, dass Er mir, einem einfachen Mann, die sehr wichtige Mission übertragen hatte, den Grundstein für den zukünftigen wahren Wohlstand der Menschheit zu legen. Dies ist die Mission ‚des ersten Messias‘. Es ist eine beispiellose Mission in der Geschichte der Menschheit, um ihr die Taufe durch den heiligen Geist des Feuers zu geben und die Menschen zu veranlassen, eine Kehrtwende hin zum gerechten spirituellen Weg des Einstimmens auf Gott (SEIHO SHINKO) durchzuführen, weg vom Prinzip der gegenwärtigen Zivilisation, das auf dem Prinzip des Gott entgegengesetzten Weges (GYAKUHO) basiert und die Menschen in allen Bereichen in eine Sackgasse geführt hat.12

Des Weiteren schreibt Okada: „Es hat den Anschein, dass es den bisher erschienenen Heiligen Moses, Gautama Buddha und Jesus gestattet war, in gewissem Umfang Kenntnis von dem geheimen Prinzip der himmlischen Welt zu erlangen, dass es ihnen zu jener Zeit aber nicht erlaubt war, dies offen an die Menschheit weiterzugeben. Ihre schwierige Lage lässt sich weitgehend an den Gesprächen erkennen, die sie mit ihren Jüngern führten. Auf die Frage seines Jüngers: ‚Wie kann man Buddhas Lehren mit einem Wort bezeichnen?‘ Antwortete Buddha beispielsweise ohne zu zögern: ‚Es sind pseudo-wahre Lehren.‘ Pseudo-Wahrheit bedeutet wortgetreu ‚etwas, das wie die Wahrheit ist‘, alle möglichen Verzerrungen inbegriffen. Es sind ‚Lehren des Mondes‘ oder ‚vorläufige Lehren‘. Darüber hinaus hinterließ Buddha eine Lehre, in der es heißt, dass 3000 Jahre nach seinem Tod ein Mann in der Welt erscheinen wird, der den gottgerechten spirituellen Weg lehren wird. Eine klare Antwort auf die Frage eines Jüngers sprach Jesus: ‚Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten‘ (Johannes, 16. Kap., Vers 13). Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen ist, dass Jesus sich nicht auf einen genauen Zeitraum, nämlich 3000 Jahre, festlegte.“13

Zusammengefasst beinhalten Okadas Lehren, welche er, wie auch schon viele andere Religionsgründer vor ihm, nach einer Reihe von Krankheiten und Enttäuschungen (Desillusionierungen) niederschrieb, folgende Glaubenselemente:

1. die Erde durch „göttliches Licht“ zu reinigen (läutern);

2. Menschen zu befähigen, nach den „Anordnungen Gottes“ zu leben und sie somit auf den „richtigen“ Weg zu bringen;

3. die geoffenbarte Existenz einer spirituellen und einer astralen Welt;

4. der Glaube an die Realität besitzergreifender Geister.14

Ein wichtiger Aspekt in der Lehre ist auch das Training der Dankbarkeit. In dem Buch für die Mitglieder von Sûkyô Mahikari „kami kumite sônen“ (Gott/Götter, Mitglied/er und die gedankliche Vorstellung) steht unter Punkt 1: „Seid für Alles und Jedes dankbar von morgens bis abends.“ Der Schwerpunkt der Lehre Okadas basiert jedoch, wie bereits oben erwähnt, auf der spirituellen Reinigung durch die Weitergabe von Licht.15

Die göttlich-spirituelle Strahlung (okiyome)

Okiyome bedeutet die „Wiederherstellung der Energie (ki)“.16 Okada Yoshikazu nahm in seinen Lehren an, dass die Menschen durch die Ritualpraxis, die er okiyome nannte, ein tieferes Verständnis für die buddhistische Sichtweise erlangen; Körper und Geist gelten als Einheit. Durch okiyome soll erreicht werden, dass der Praktizierende den Wunsch entwickelt, spirituellen Dingen gegenüber materiellen Werten den Vorrang zu geben.

Die Praxis des okiyome beinhaltet die Übermittlung des Lichts durch die Handinnenfläche auf Stirn (Zirbeldrüse im Gehirn)17, Nacken (Hals), Nieren oder andere gewünschte Punkte des Gegenübers, nachdem der autorisierte „Heiler“ die Gottesanrufung (an Gott Su) rezitiert hat. Die Autorisierung wird durch den Besuch eines dreitägigen Seminars mit anschließendem Empfang eines Amuletts (Omitama) erlangt.18 Bevor jedoch das Licht, das sich aus den unsichtbaren höheren Sphären in der Handfläche sammeln soll, auf die gewünschten Punkte geleitet wird, wird auf diese einige Sekunden mit den Fingerkuppen von Daumen oder Zeigefinger stumpfer Druck durch eine kurze, kreisende Massage ausgeübt. Diese aus der Chinesischen Medizin (TCM) stammende Therapieform wird Akupressur (Shiatsu) oder Akupunktmassage genannt und kann gefahrlos von Laien angewandt werden.19 Im Anschluss wird auf diese Stellen „göttliches Licht“ gegeben. Die Realität besitzergreifender Geister, welche Ursache für Krankheiten sein sollen, scheint auch im Bewusstsein der Praktizierenden stark ausgeprägt zu sein. Laut der Lehre soll sich der Hauptgeist (honrei) in der Gegend des Gehirns (Zirbeldrüse) aufhalten und durch ein solches Ritual vom „göttlichen Licht“ gereinigt werden (kiyomaru). Nach Beendigung der Behandlung ruft der ausführende und autorisierte „Heiler“ dreimal „oshizumari“ (beruhigt euch), um die geistigen Kräfte wieder zu besänftigen. Mit diesen Worten gilt das okiyome-Ritual als vollzogen. Die Übermittlung des „göttlichen Lichts“ stellt gleichermaßen einen Akt des Gebens wie des Nehmens dar. Aus diesem Grund werden nach dem Vollzug des Rituals die Positionen gewechselt, wenn beide, sowohl der durchführende „Heiler“ als auch der Empfangende, berechtigt sind, „Licht“ zu geben. Hervorzuheben ist, dass das „göttliche Licht“ nicht ausschließlich Menschen gegeben werden kann, sondern auch Tieren, Nahrung, Landschaften, Städten oder technischen Gegenständen.20

Die Lehre der feinstofflichen Körper

Durch die Empfindungen während einer Lichtübertragung soll sich der Mensch der Existenz Gottes und seiner universellen Prinzipien bewusst werden. Um diese Interaktionen zu erklären, wird von einer feinstofflich-medialen Sphäre ausgegangen, die eine vermittelnde Funktion haben soll, und es wird zwischen dem spirituellen, dem physischen und dem astralen Leib (skrt. kosha)21 unterschieden.

Viele esoterische Konzepte erklären sich aus einer Mittlermaterie, die sich nicht widerlegen lässt. Martin Lambeck weist darauf hin, dass für die Esoterik „das Verbinden von Begriffen, die für den Alltagsverstand und für die heutige Wissenschaft keinerlei Zusammenhang haben“, charakteristisch ist.22 Als Beispiel gibt er das anthroposophische Verfahren der „spirituellen Kosmologie“ an, bei der Kosmos, Erde, Mensch (Planeten, Elemente, Körperteile, Pflanzen usw.) verbunden werden, was „grundlegend für die von Rudolf Steiner entwickelte anthroposophisch erweiterte Heilkunst“ ist.23 Des Weiteren weist Lambeck darauf hin, dass die Zuordnung von „Wesenheiten“ zu den Elementen der Natur und die Einteilung des Menschen in „Wesensglieder“, physischer Leib, Äther-Leib, Astral-Leib und „Ich“, bestimmend ist.24

Das Konzept der feinstofflichen Körper war aber bereits antiken Philosophen bekannt. In der taoistischen Philosophie besteht das Koordinatensystem aus den fünf Elementen oder Wandlungsphasen Wasser, Erde, Holz (Luft), Feuer und Metall. Die Vorstellung vom Qi (ki) als universeller Energie des Kosmos, diente zunächst der Naturbeschreibung und war Sinnbild für Rhythmen, die alle Naturphänomene durchlaufen. Qi, der Stoff aus dem alles Leben gemacht ist, soll sich im steten Übergang von einer Zustandsform in die nächste befinden. Im Laufe der Zeit wurden in dieses System noch andere Phänomene wie Organe und Krankheiten integriert. Die Methode des Berührens bestimmter Körperpunkte, was stark beruhigend auf die Seele wirkt, führte Okada Yoshikazu, wie oben bereits beschrieben, in seinem Ritual des okiyome fort.25 Ulrich Dehn weist jedoch darauf hin, dass im Unterschied zur taoistischen Philosophie Yin und Yang als zwei dualistische Elemente in positiver und negativer Wertung interpretiert werden, die als Symbol für Weltzeitalter stehen.26 Des Weiteren erwähnt er die Reinigungszeremonie, welche durch einen Priester in Schamanenfunktion mit exorzistisch-schamanistischen Elementen durchgeführt wird. Mithilfe von Beschwörungsformeln versucht dieser den menschlichen Leib von dem bösen Geist zu trennen und diesem die Rückkehr in die Seelenwelt (tamashii) zu ermöglichen. Dehn kommt zu dem Schluss, dass hier eine Dualisierung von Leib und Seele vorliegt, die sich deutlich vom chinesischen Denken und den ki-Vorstellungen abhebt.27

Der biologische Yoko-Anbau

Das Weltverständnis alternativer Landwirtschaft und biologischen Gartenbaus bilden die Eckpfeiler des angestrebten Gott-Mensch-Natur-Verhältnisses bei Sûkyô Mahikari. Spirituelle Aspekte wie Übermitteln des „göttlichen Lichtes“ und Beten werden dabei in den Vordergrund gestellt. Ziel ist es, die im Boden befindlichen Giftstoffe auszuleiten und ihn dadurch wieder in seinen ursprünglichen gesunden Zustand zu bringen. So sollen wieder Nahrungspflanzen wachsen können, die die Vitalkraft und die spirituelle Energie der Natur enthalten. Es wird kein Dünger verwendet. Das auf natürliche Weise wachsende „Unkraut“ wird nur an der Erdoberfläche abgeschnitten, damit die Wurzeln den Boden weiterhin auflockern. Die Anbaumethode basiert auf folgenden Grundbegriffen der Yokonoen28-Praxis:

• (Okiyome) Neubelebung der Erde mit göttlichem Licht.

• (Sônen) Eine Übung, sich zu konzentrieren und der Natur Licht zu geben, mit der Voraussetzung, dankbar zu sein und Gott um Vergebung zu bitten.

• (Taihi) Anwendung von natürlichen Anbaumethoden, Kompost, Saatgut.

• (Kotodama) Übermittlung positiver Schwingungen wie Dankbarkeit an die Natur, besonders an die Pflanzen, den Boden und die in ihm lebenden Mikroorganismen.

Durch diese der Anthroposophie Rudolf Steiners verwandten Lehren soll auf in naher Zukunft zu erwartende Ernährungsschwierigkeiten vorbereitet werden.29

Auswertung

Organisationen wie Sûkyô Mahikari scheinen aufgesucht zu werden, um eine Methode zu finden, die einem persönlichen Bedürfnis nach religiöser und spiritueller Erfahrung entspricht. So antwortete ein Teilnehmer auf die Frage nach der Empfindung während des Empfangs und der Gabe von „göttlichem Licht“: „Entspannung, ich fühle mich selbst, Befreiung, Erlösung.“ Ein anderes Mitglied notierte auf dem ausgeteilten Fragebogen: „nahe bei mir und bei Gott sein, Gottes Willen zu entsprechen.“ Auf die Frage, was sie denn nach dem Besuch einer Dankesfeier empfindet, entgegnete ein weibliches Mitglied: „besserer Tag, innere Ruhe, kann die Schwierigkeiten der kommenden Woche besser überwinden.“30

Im Hinblick auf doppelte Religionszugehörigkeit bzw. multiple religiöse Identität ist folgende Aussage eines belgischen katholischen Priesters, auf den sich nach Cornille31 die Organisation Sûkyô Mahikari gerne beruft, von Bedeutung: „Christian followers sometimes ask me, ‚Don’t you feel guilty practicing Mahikari as a Catholic priest?‘ or ‚How can you follow both the teaching of Mahikari and doctrines of the Catholic Church?‘ … I have lost nothing as a Catholic priest by practicing Mahikari no Waza32, and there is no turmoil in my life as a Catholic priest because of practicing Mahikari. On the contrary, due to Mahikari, I have a better understanding of how I should live as a Catholic priest, and I can achieve my mission even better. I think that Mahikari teachings are not teachings that replace those of Catholicism, but teachings that complement and harmonize with them.”

Hier sollte hinterfragt werden, ob der Priester lediglich „Mahikari no Waza” als Ergänzung zu seiner Religionspraxis ausübt. Es ist anzunehmen, dass er sich noch nicht näher mit den Lehren des Gründers Okada Yoshikazu auseinandergesetzt hat. Diese Vermutung ergibt sich allein schon angesichts der Tatsache, dass sich Okada als endgültiger Erlöser sieht.

Fazit

Die Welt wird mit den religiösen Erfahrungen des Gründers Okada Yoshikazu und seinen Vorstellungen gedeutet. Der Glaubende erlebt diese Welt sprichwörtlich im „Licht“ seines Glaubens. Spiritualität kann so zur Lebenshilfe geraten, da Glaube vermehrt als Wegweiser für das Leben verstanden wird. Das religiöse Erlebnis verspricht den Zugang zu einer profanen Wirklichkeit, und für einen kurzen Augenblick scheint die Dualität zwischen der profanen und der göttlichen Welt überwunden. Somit verwandelt sich Religion in eine Angelegenheit des Gefühls. Aber auch wenn die Teilnehmer in der Praxis des okiyome eine Ergänzung oder Erweiterung ihrer persönlichen Glaubenspraxis sehen, steht die Lehre von Sûkyô Mahikari im Gegensatz zum christlichen Glauben, da sich Okada Yoshikazu als endgültiger Erlöser sieht und sein Gedankengut, das auch Lichtheilung und Elemente des Ahnenkultes enthält, in die hiesigen Religionen einfließen lassen möchte. Es ist jedoch unübersehbar, dass sich immer mehr Menschen ihren Glauben aus unterschiedlichen Quellen zusammensetzen und in sogenannten Neureligionen nach Antworten suchen, die sie in ihrer ursprünglichen Religion nicht gefunden haben. Das Ergebnis ist der Trend zur „Patchwork-Religiosität“.


Monika Nawrot


Literatur

Cornille, Catherine, Jesus in Japan. Syncretism in Mahikari, in: Peter B. Clarke/Jeffrey Somers (Hg.), Japanese New Religions in the West, Sandgate/Folkstone 1994, 89-103
Davis, Winson, Dojo. Magic and Exorcism in Modern Japan. Stanford 1980
Dehn, Ulrich, Mahikari. „Wahres Licht“. Eine nicht mehr ganz neue japanische Neureligion, in: Materialdienst der EZW 12/2000, 432-237
Immoos, Thomas, Ein bunter Teppich. Die Religionen Japans, Leipzig 1989
Lambeck, Martin, Irrt die Physik? Über alternative Medizin und Esoterik, München 32014
Mittwede, Martin, Spirituelles Wörterbuch. Sanskrit-Deutsch. Überarbeitete und erweiterte Fassung. Bonn 1992
Nawrot, Monika, Das Phänomen des Heiligen in japanischen Religionen, Berlin 2015
Somers, Jeffrey, Japanese New Religious Movement in Britain, in: Peter B. Clarke/ders., Japanese New Religions in the West, Sandgate/Folkstone 1994, 54-76
Sukyo Mahikari Deutschland e. V. (Hg.), Goseigen. Die Heiligen Worte, zweite vorläufige Fassung (Entwurf), Bremen, August 2001


Anmerkungen

1 Der religiöse Pluralismus sieht Religionen als prinzipiell gleichwertig an, was jedoch nicht heißt, dass alle Religionen oder religiösen Lehren letztendlich gleich seien. Bei vielen japanischen religiösen Organisationen ist festzustellen, dass der religiöse Pluralismus zwar betont wird, in den Schriften der Gründer aber ein Elitedenken vorzufinden ist.
2 Sukyo Mahikari Deutschland (Hg.), Goseigen 2001, 3. In einigen Schriften steht auch „durch den Sonnengott (Gott Su)“.
3 Nawrot 2015, 80.
4 Um mit Thomas Immoos (1989, 207) zu sprechen, ist Panentheismus „(d)ie besonders in den östlichen Religionen anzutreffende Lehre von der Alleinheit Gottes. Im Unterschied zum Pantheismus ist die ganze Realität zwar ein Teil Gottes, erschöpft aber nicht sein ganzes Wesen.“
5 Sukyo Mahikari Deutschland (Hg.), Goseigen 2001, 7. Hierzu vermerkt Okada, „von Gott gegebener Name Seio (Kautama Okada): ‚Am 27. Februar 1959 erwachte ich um 5.00 Uhr morgens nach einer fünftägigen Bewusstlosigkeit, die durch sehr hohes Fieber verursacht worden war. Ich empfing die erste Offenbarung von Gott, eine spirituelle Organisation zu gründen. Es war ein wirklich geheimnisvoller Moment der Zwiesprache mit Gott, als ich die Offenbarung erhielt, etwas, was nach dem heutigen Stand der materiellen Wissenschaft kaum zu erklären ist.‘“
6 Die deutsche Übersetzung, aus der hier zitiert wird, ist die zweite vorläufige Ausgabe (Entwurf): „Goseigen. Die heiligen Worte“, hg. von Sukyo Mahikari Deutschland e. V., Bremen, August 2001.
7 Nawrot 2015, 80f.
8 Vgl. Dehn 2000, 433.
9 Vgl. Nawrot 2015, 88.
10 Ebd., 35.
11 Hier liegt offensichtlich ein Übersetzungsfehler vor. Der Heilige Geist ist keine eigenständige Substanz, sondern die dritte Person der göttlichen Trinität im Christentum. Eine Botin wäre die Taube als Symbol. Verkündigungen durch Engel gibt es nicht nur in der Bibel, sondern auch im Koran. Der Glaube an Engel war in Arabien jedoch schon vor Mohammed verbreitet.
12 Sukyo Mahikari Deutschland (Hg.), Goseigen 2001, 3.
13 Ebd., 4.
14 Somers 1994, 66, sowie Nawrot 2015, 82.
15 Ebd., 83.
16 Cornille 1994, 91.
17 Es wird angenommen, dass die Zirbeldrüse das Organ ist, in dem Leib und Geist (Seele) interagieren. Nach der hinduistischen Cakra-Lehre wird das 6. Cakra (Âjnâ) in der Zirbeldrüse gesehen und mit Wahrnehmung, Intuition und Erkenntnis in Verbindung gebracht.
18 Vgl. Dehn 2000, 434.
19 Auch im christlichen Bereich ist die Handauflegung ein wichtiges Zeichen der Zuwendung. Bei dem durch die Berührung vermittelten auto-somatischen Wohlbefinden handelt sich hier um den spürbaren Segen Gottes.
20 Vgl. Nawrot 2015, 85.
21 Mittwede 1992, 114: „in der Taittirîrya-upanishad werden fünf koshas, die das Selbst (âtman) umhüllen, beschrieben. Die erste, äußere Hülle ist die aus Nahrung bestehende Hülle (annamayakosha), die grobstoffliche Hülle, d. h. der physische Körper. Die zweite ist die aus Lebenskraft bestehende Hülle (prânamayakosha), sie ist feinstofflicher Natur und belebt den physischen Körper. Solange diese Vitalhülle im Organismus vorhanden ist, bleibt er am Leben.“
22 Lambeck 2014, 85.
23 Ebd.
24 Ebd., 85f.
25 Nawrot 2015, 84.
26 Dehn 2000, 436.
27 Ebd.
28 Yoko (jap. für natürliche Freude, strahlendes, leuchtendes Licht/Sonne) Yokonoen = Yoko-Anbau (no steht für Bauernhof und en für Garten).
29 Nawrot 2015, 184f.
30 Ebd., 238.
31 Vgl. Cornille 1994, 99.
32 Mahikari no Waza = die Kunst des wahren Lichtes.