Mormonen

Musikalische Religionssatire

(Letzter Bericht: 6/2011, 226ff) Mit großem Erfolg läuft derzeit im Eugene O’Neill-Theatre, einem der größeren Häuser des New Yorker „Theatre Disctrict” (der gemeinhin unter der Bezeichnung „der Broadway“ bekannt ist), ein Musical mit dem Titel „The Book of Mormon“. Wer angesichts des Titels eine orthodoxe Darstellung der Vorgänge um Joseph Smith und die Auffindung des Buches Mormon erwartet, wird spätestens bei der Nennung der Autoren aufhorchen. Das Stück wurde maßgeblich von den Machern der Zeichentrickserie „South Park“, Trey Parker und Matt Stone (in Kooperation mit dem Musicalkomponisten Robert Lopez) konzipiert und geschrieben. Die in den USA seit 1997 ausgestrahlte Serie ist immer wieder durch die äußerst ironische bis beißend satirische Auseinandersetzung mit verschiedenen Religionsgemeinschaften und damit in Zusammenhang stehenden Themen aufgefallen. Die Geschichte der Mormonen war dabei in einigen Folgen bereits Gegenstand der Darstellung, andere Episoden setzen sich mit dem Katholizismus, dem Islam oder der Church of Scientology auseinander.Die Premiere des Musicals „The Book of Mormon“ fand im März 2011 statt, und es wurde rasch zu einer der erfolgreichsten Produktionen dieser Saison. Rekordverdächtig ist vor allem die Nominierung in insgesamt 14 Kategorien für den Tony Award, der höchsten Auszeichnung für Musicals am Broadway. Aufgrund des großen Erfolges wird schon von einer möglichen Produktion in London und einer größeren Amerikatour für 2012 gesprochen.Inhaltlich geht es um die Erlebnisse zweier mormonischer Jungmissionare, die entgegen ihrer Hoffnung auf begehrte Destinationen in Uganda landen und dort mit allen möglichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Angesichts der Situation der dortigen Bevölkerung, die durch Hunger, Krankheiten und einen brutalen Warlord einer ständigen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt ist, erscheint das Ansinnen der amerikanischen Religionsimporteure etwas deplatziert. In einem dementsprechend beklagenswerten Zustand ist auch die bisherige Arbeit der dortigen Missionsstation, die noch keine einzige Taufe verbuchen kann. Der Erfolg stellt sich erst ein, als Arnold Cunningham, der ursprünglich unscheinbarere der beiden neuen Missionare, erkennt, dass man die Geschichte des Buches Mormon nur etwas umändern und an die Situation anpassen muss, um die Menschen vor Ort zu erreichen. Dabei flicht er Themen, die gerade vor Ort aktuell sind (Mädchenbeschneidung, prekäre Hygieneverhältnisse, rücksichtslose Warlords, die Babys vergewaltigen, um sich vor Aids zu schützen), Versatzstücke des Buches Mormon, aber auch Elemente aus der Science-Fiction-Serie „Star Wars“ zu einem neuen Mix, der so viel Überzeugungskraft hat, dass sich tatsächlich das gesamte Dorf taufen lässt. Den Höhepunkt erreicht die Handlung, als die Dorfbewohner ihre neue Version des Buches Mormon und die Geschichte des Propheten Joseph Smith dem visitierenden Mormonenbischof als Theaterstück präsentieren. Diesem bleibt – geschockt angesichts des Ergebnisses – nichts anderes übrig, als die Mission als gescheitert zu betrachten und die Station zu schließen. Die Nun-doch-nicht-Mormonen beginnen daraufhin, das „Book of Arnold“ als neues Glaubensdokument weiterzuverbreiten.Die erwähnte Nähe zur Zeichentrickserie „South Park“ ist durchgehend erkennbar, unter anderem auch in der äußerst expliziten Sprache. Die Aufführung wurde mit einer sogenannten„parental advisory“ versehen, d. h. der Empfehlung, Minderjährigen das Stück nicht zu zeigen. Das „F..“-Wort ist in der Tat äußerst präsent, Anspielungen auf homosexuelle Neigungen unter den „Mormon boys“ sind omnipräsent, und die Bestrafung eines der Missionare nach seiner Gefangennahme durch einen Warlord mittels eines anal eingeführten Buches Mormon ist natürlich auch nicht jedermanns Geschmack. Vielfach entspricht dies aber einer spezifischen Satire-Tradition, die in der genannten Serie South Park oder auch bei der bekannteren Serie über das Leben der „Simpsons“ präsent ist. Allen diesen Zugängen ist gemein, dass sie mit ihren Verzerrungen den Kern der Fragestellungen treffen und vielfach zentrale Punkte und Schwierigkeiten eines religiösen Selbstverständnisses in der modernen Welt thematisieren. Zudem lässt sich bei aller Grobheit eine große Sensibilität in Bezug auf die Thematisierung von Religion und das Wirken von Religionsgemeinschaften erkennen.Die Reaktion der Musicalkritiker war überragend positiv. In der „New York Times“ war sogar von der „Zukunft des Musicals“ die Rede, die sich in dieser Produktion zeige. Die „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“ (Mormonen) in Salt Lake City hat bislang nicht sehr intensiv auf das Stück reagiert. In einer kurzen offiziellen Stellungnahme als Antwort auf zahlreiche Medienanfragen wird bemerkt, dass das Stück ein Publikum vielleicht für einen Abend unterhalten könne, das Buch Mormon jedoch das Potenzial habe, das Leben von Menschen grundlegend zu ändern. Die Art der Reaktion steht im Einklang mit der auch sonst üblichen Verfahrensweise in Bezug auf vergleichbare Thematisierungen der mormonischen Tradition in Büchern, Filmen und anderen Medien. Man fürchtet das „publicity dilemma“ und sieht jede übermäßige öffentliche Reaktion als unangebracht an, weil sie die Provokation ernst nehme.


Franz Winter, Boston/Wien