Muslime als Minorität in nicht-islamischen Ländern
Das Münchner Amerika-Haus veranstaltete Ende 2006 eine Reihe zum Islam in westlichen Gesellschaften. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Islam leben, lehren und lernen in der nicht-muslimischen Welt" sollten zwei Vertreter der Muslime Deutschlands sowie ein US-amerikanischer Imam Einblick in die Lage muslimischer Minderheiten in den beiden christlich geprägten Staaten USA und Deutschland geben.
Imam A. R. Muhammad studierte in den USA sowohl an der Universität als auch bei muslimischen Gelehrten den Islam, erklärte sich aber als 50-prozentiger Autodidakt. Seit 1993 betreut er als Militärgeistlicher Soldaten, die in Heidelberg stationiert sind. Obwohl es sich um eine Informationsveranstaltung mit gemischtem Publikum handelte, nutzte er die Gelegenheit, zu Anfang Koranverse auf Arabisch zu rezitieren.
Christian Hoffmann, vormals ein CDU-Politiker, konvertierte 1989 zum Islam, publizierte 1995 die Erfahrungsschrift „Zwischen allen Stühlen“ und arbeitet heute als Unternehmensberater für internationale Firmen. Er engagiert sich aber auch in der Sozial- und Rechtsberatung von Berliner Muslimen.
Der türkisch-stämmige Wirtschaftsingenieur Isa Güzel, der im Vertrieb eines Münchner Maschinenbauers arbeitet, vertrat Idizem – Interkulturelles Dialogzentrum in München e.V. Als Vereinsvorsitzender hatte er – wie am Applaus und den vielen Kopftuchträgerinnen zu merken war – sein Publikum mitgebracht. Idizem, vor fünf Jahren gegründet, widmet sich der interkulturellen, vor allem der interreligiösen Verständigung, organisiert islamische Kulturwochen, Feste, Moscheeführungen, Istanbulreisen und türkische Kochkurse. Für die Durchführung einer „Nacht der Religionen“ mit islamischen, christlichen und jüdischen Gruppen erhielt der Verein im April 2006 den Förderpreis des Ökumenischen Jugendrates in Bayern (Broschüre „5 Jahre Idizem“, München 2006).
Insgesamt saßen um die 80 bis 90 Personen im Auditorium, wohl überwiegend Muslime nichtdeutscher Herkunft. Der erste Zweck der Veranstaltung, nicht-muslimische Bürger zu informieren, wurde dadurch kaum erfüllt. Dafür gelang es hier, in Deutschland lebende Islamanhänger mit Ansichten anderer westlicher Muslime zu konfrontieren, was die Debatte zweifelsohne bereichert.
Ein erster Schwerpunkt der Diskussion lag auf dem Aspekt „Leben von Muslimen“ im Vergleich Deutschland und USA. Imam Muhammad erwähnte dabei zwar Diskriminierungen, die er als Afroamerikaner wie als Muslim erlebte, hob jedoch hervor, dass er bei seiner Arbeit als Militärgeistlicher seinen christlichen Kollegen gleichgestellt sei, ob nun bei Gebetsgottesdiensten oder bei der seelsorgerischen Betreuung der Soldaten und Soldatinnen. Für letztere beispielsweise stelle die Army Kopftücher, die nur während des Gebets, nicht aber zur Uniform im Dienst getragen würden. Religion sei Privatsache – ein unüberhörbarer Wink an Muslime in Deutschland, die das Kopftuch für Beamtinnen fordern. In einer von Dissidenten gegründeten Gesellschaft wie den USA herrscht für Imam Muhammad die größtdenkbare Religionsfreiheit. Da es eine absolute Trennung von Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaft gebe, hätten die Muslime in den USA Spielraum für Gemeindegründungen. So existiere eine Vielfalt muslimischer „congregations“. 35 Prozent der Muslime in den USA seien Afroamerikaner, 25 Prozent indisch-pakistanischer Herkunft. Größere Gruppen stammten aus dem arabischen und osteuropäischen Raum. Die Kongregationen bestünden meist in Großstädten, wo sie gut integriert seien. Muhammad bemühte sich offensichtlich, das Bild einer – trotz der Sicherheitspolitik seit dem 11. September – freiheitlich-harmonischen, beinah utopischen US-Gesellschaft zu zeichnen, in welcher der Islam sogar an Einfluss gewinnt.
Güzel, dessen Verein Idizem sich zu einem konservativen Islam bekennt, ging von Details aus: Man vermisst Muezzinrufe und ersetzt sie durch Tonbandaufnahmen, die im Wohnzimmer ablaufen, die Gläubigen fühlen sich isoliert von der Umma, da es zu wenige Moscheen gebe, es bestehe ein Defizit an Islamunterricht und deutschsprachigen Islamlehrbüchern. Güzel, der in Siegen und Boston studierte, meinte, an amerikanischen Unis sei es selbstverständlich, dass man Räume für rituelle Waschungen und Gebete vorfinde – daran sei an deutschen Hochschulen nicht zu denken. Ebenso seien in den Staaten Lebensmittel als „koscher“ gekennzeichnet, in Deutschland aber nicht. Güzels Bilanz zum Leben im nicht-muslimischen Land: In den USA sei man „oberflächlich höflich“, in Deutschland dagegen „offen unhöflich“. Diskriminierungen fänden auf allen Ebenen statt, Presse und TV berichteten durchweg negativ. Der Idizem-Vorsitzende zeichnete ein finsteres und pauschalisierendes Bild, das jedoch die Ansichten vieler Muslime spiegelt. Verglichen mit der Pogromstimmung, die ein Ahmad von Denffer, Ratsvorsitzender des Islamischen Zentrums München und eine Zentralfigur an der umstrittenen Freimanner Moschee, auf Vorträgen in München verbreitet, wirkten Güzels Äußerungen allerdings gemäßigt und nostalgisch.
Christian Hoffmann äußerte sich insgesamt optimistischer. Er hielt sich weniger bei angeblichen deutschen Versäumnissen der Vergangenheit auf, verwies stärker auf das, was heute und zukünftig möglich sei: Er engagiere sich in der politischen Erwachsenenbildung ebenso wie für die Information muslimischer Eltern zum deutschen Schulsystem oder bei den Islamforen in Berlin. Ansonsten betrachtete Hoffmann Religion betont als Privatsache, die man nicht vor sich hertragen solle. Man solle nicht immer bloß abstrakt von „Dialog“ reden, sondern Sachprobleme identifizieren und Lösungen in Angriff nehmen. Die Muslime mit Migrationshintergrund forderte er auf, als Bürger und Bürgerinnen eines säkularen Staats an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren. Er verwies darauf, dass sich doch einiges bewege, etwa in Sachen Islamlehrer-Ausbildung.
Der Aspekt „Islam lehren und lernen“ kam etwas zu kurz. In punkto Islam-Unterweisung waren sich die drei Podiumsgäste jedoch einig, dass Lehre und Predigt in der Sprache des Landes erfolgen sollen, in dem ein Muslim lebe, in den Staaten hätte Englisch Vorrang, in Deutschland eben Deutsch.
Ein weiterer Schwerpunkt bildete sich zur Frage, mit welcher Muslim-Gruppierung der Staat Dialoge führen und Verträge abschließen solle. Güzel verwies auf die „Einheit der Muslime im Glauben“, für den Staat sei die sunnitische Mehrheit problemlos der Ansprechpartner, wie er sich bei den Christen an Mehrheiten wie Katholiken oder Lutheraner halte. So vereinfachte er die Problematik. Hoffmann und Muhammad nahmen die Gegenposition ein. Sie berücksichtigten die Verbände in ihrer Eigenart bzw. die vielerlei „congregations“ der USA. Diese seien jeweils Ansprechpartner eines Bundeslandes bzw. des Staates. Hoffmann postulierte, die Regierung müsse die Isalm-Verbände akzeptieren, wie man analog dazu etwa in Hessen die 18 christlichen und jüdischen Körperschaften berücksichtige. Es sei nicht nötig, die muslimischen Organisationen dem Staatskirchenrecht zu unterwerfen, vielmehr solle man neue Modelle entwickeln. Auch Imam Muhammad sah keine Notwendigkeit, eine nicht vorhandene Einheit der Muslime zu konstruieren. Wenn es in den USA fünf Verbände gebe, die z.B. in der Frage des Ramadan-Beginns differierten, dann könne man eben nicht alle über den gleichen Kamm scheren.
Der amerikanische Imam machte im Laufe der Veranstaltung auf einen gravierenden Unterschied zwischen den Muslimen in Deutschland und denen in den USA aufmerksam. Die amerikanischen Muslime seien zu einem hohen Prozentsatz amerikanische Staatsbürger, die zum Islam konvertierten, sich aber dennoch als Patrioten mit ihrem Land Amerika identifizierten. Während der Geiselnahme von Teheran 1979 hätten amerikanische Imame mit dem Sternenbanner öffentlich gegen den Terrorakt demonstriert. Amerikanische Muslime strebten danach, einen eigenen bodenständigen Islam zu entwickeln, dessen Intellektualität amerikanisch geprägt sei. Die in Deutschland lebenden Muslime, von denen rund drei Viertel türkischer Herkunft seien, betrachtete Muhammad hingegen als noch nicht recht verwurzelt in ihrer Wahlheimat. Sie seien meist von Geburt an Muslime, die als solche Forderungen stellten, statt sich mit Deutschland zu identifizieren. – Hoffmann kommentierte dazu, der Folksong „This land is your land, this land is my land“ liefere ein gutes Motto. – Die Verfasserin interpretiert Hoffmann so, dass der Islam als Religion, welche die Politik dominieren will, einerseits entpolitisiert werden muss im Sinne einer noch konsequenteren Trennung von Religion und Staat in Deutschland. Andererseits sollten aber die einzelnen Muslime, die in Deutschland Fuß fassen wollen, säkularer und demokratischer werden, ihre Rückwärtsorientierung ablegen und mehr Aufgaben und Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernehmen.
Mochte einiges an den Erfahrungen, Urteilen, Vorurteilen, Pauschalitäten und Argumenten, die an diesem Abend zur Sprache kamen, auch bekannt sein, so scheint der Ansatz, über die deutschen Verhältnisse hinaus den Horizont zu erweitern, insgesamt lohnenswert. Diskussionspartner aus anderen westlichen Kulturen könnten durchaus Anstöße zur Lösung der innerdeutschen Islam-Fragen vermitteln.
Angelika Koller, München