Muslimische Jugend in Deutschland gut vernetzt
Die Muslimische Jugend in Deutschland e. V. (MJD) war mit einer Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz teilweise erfolgreich. Mit Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts (Az.: VG 1 K 237.10) muss der Verfassungsschutzbericht 2009, in dem die MJD erstmals auftaucht, korrigiert werden. Darin wird der Vorwurf erhoben, die MJD verwende für Schulungen Material, das desintegrativ wirken und gegen die „westliche Gesellschaft“ emotionalisieren könne. Außerdem empfehle die MJD ihren Mitgliedern, sich „bei allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung“ an den Maßgaben des Europäischen Rates für Fatwa und Forschung (European Council for Fatwa and Research, ECFR) zu orientieren. Dazu wird ein Schulungsleitfaden zitiert, in dem es heißt, ein Teilnehmer sollte nach Abschluss des Kurses dazu „fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern.“
Trotz entsprechender Indizien, so die Verwaltungsrichter, habe es die Kölner Behörde nicht vermocht, die tatsächliche Verwendung dieser Sätze zu belegen. Gleiches gelte für die Behauptung zum ECFR. Eine weitere Passage darf hingegen stehen bleiben, weil die Verwendung belegbar war: „Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien eine Regierung zu führen zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen.“
Die MJD (s. dazu in diesem Heft S. 141ff) versteht sich als unabhängige deutsche Jugendorganisation, die sich an alle jungen Muslime in Deutschland ungeachtet ihrer Nationalität und Herkunft wendet. 1994 in Berlin gegründet, hat sie durch zunehmend professionelle Jugendarbeit in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Ein alle zwei Jahre gewählter Bundesvorstand koordiniert die Arbeit der „Lokalkreise“. Gerade auf lokaler Ebene konnte sich die MJD als Ansprechpartner in der Jugendarbeit etablieren. Es bestehen langjährige Kontakte mit Partnerorganisationen wie der Arbeitsgemeinschaft der Evang. Jugend (aej), die von Beteiligten als fruchtbar und erfolgreich beschrieben wurden. Die MJD sieht sich als Teil der westlichen Gesellschaft und ruft zur gesellschaftlichen Partizipation auf. So weist MJD-Vizevorsitzende Malika Mansouri den Vorwurf, antiwestlich und antidemokratisch zu agitieren, entschieden zurück: „Wir sagen genau das Gegenteil.“ „Was diese Textpassagen aussagen, ist einfach nur Hetze ... Also, das sind genau die Punkte, gegen die wir ankämpfen“ (www.dradio.de).
Die juristische Korrektheit klärt die Verhältnisse in Sachen MJD allerdings noch nicht. Der Verein wurde von einem ECFR-Mitglied, Muhammad Siddiq, gegründet. Auch sonst sind persönliche und organisatorische Verbindungen ins islamistische Umfeld unterschiedlicher europäischer Akteure der Muslimbruderschaft unübersehbar und bekannt. In Berlin stellt sich die Situation so dar, dass die MJD 2001/02 das Netzwerk „Initiative Berliner Muslime – IBMus“ mitgegründet hat, zu dem unter anderem die Vereine Inssan für kulturelle Interaktion, IKEZ (Islamisches Kultur- und Erziehungszentrum), DMK (Deutschsprachiger Muslimkreis Berlin) und nicht zuletzt das IZDB (Interkulturelles Zentrum für Dialog und Bildung) gehören, aber auch salafitische Moscheen wie die Al-Nur-Moschee Neukölln. Zu den ersten Mitgliedern zählte die Muslimische Studentenvereinigung (MSV) des multifunktionalen Islamisten Ibrahim el-Zayat. Ziel des Netzwerkes ist es laut dem ersten Vorsitzenden, „die vorhandenen Bestrebungen zu verknüpfen und mit vereinten Kräften Aktionen für die Belange der Muslime und für die Ziele des Islam vorzubereiten und durchzuführen“.
In der Vergangenheit gab es zahlreiche gemeinsame Aktivitäten, vor allem wurden und werden Referenten vermittelt, Schulungs- und Praxiserfahrungen ausgetauscht sowie gemeinsame Plattformen für die Literaturverbreitung genutzt. Man kennt und empfiehlt Literatur islamistischer Vordenker und Wortführer wie Sayyid Qutb, Abul A’la Maududi, Yusuf al-Qaradawi, wichtige Mentoren sind Ahmad von Denffer, Amir Zaidan und Tariq Ramadan. Ein umfangreiches Fernstudienprogramm, das zu Zwecken der islamischen Einladung (da’wa, Mission) „die islamischen Wissenschaften“ ins Deutsche überträgt, kann über den Deutschen Informationsdienst über den Islam e. V. (DIdI – www.didi-info.de) im Internet heruntergeladen werden. Es dient dazu, in sieben Semestern ein dem „Schariastudium in islamischen Ländern“ entsprechendes Curriculum zu absolvieren. Werbeprospekte verhießen schon vor Jahren, der Lernstoff sei angelehnt an das Schariastudium des „Europäischen Instituts für Geisteswissenschaften“ (IESH), die Dozenten seien entweder Absolventen dieser privaten Muslimbruderschaft-Hochschule im burgundischen Château-Chinon oder direkt Schüler namhafter Scheichs und Gelehrter z. B. in Saudi-Arabien. Geleitet wird der Kurs von dem aus dem Irak stammenden Samir Mourad mit Verbindungen zur MSV und zum Deutschsprachigen Muslimkreis Karlsruhe. In letzter Zeit ist eine „Salafitisierung“ des DIdI zu verzeichnen, die radikal-sunnitisch missionarische Richtung der Salafiten gewinnt an Einfluss. Potenzielle Studenten für dieses „Schariastudium“ sehen die Dozenten auch in den Reihen der Muslimischen Jugend.
Einen Eindruck von dem „ausgeglichenen Islamverständnis“, das der Fernkurs vermitteln will, mögen wenige Zitate aus dem DIdI-Lehrbuch „Islamische Geschichte“ von S. Mourad geben (Kap. 6 „Die muslimische Umma als Bewahrer und Träger der Botschaft Gottes“, 569): „Aufgaben der Umma: Aufbau einer islamischen Gesellschaft – Bewahrung und Verteidigung des Islams und der Muslime – Ausbreitung der Botschaft – Ausbreitung von Gerechtigkeit und Bekämpfung von Unterdrückung.“ Die Aufgaben der muslimischen Umma werden in folgende Kategorien aufgeteilt: „1. Aufbau von Zivilisation und im speziellen Aufbau einer islamischen Gesellschaft, d. h. einer Gesellschaft, die nach dem Gesetz Gottes regiert wird. 2. Verbreitung der Botschaft des Islams. 3. Verteidigung des Islams und des Landes des Islams gegen Angriffe – Diese Phasen können z. T. zeitlich und örtlich parallel laufen. 4. Zusätzlich hat die Umma die Aufgabe, Gerechtigkeit in der Welt zu verbreiten und gegen Unterdrückung vorzugehen.“ Die weiteren Ausführungen lassen keinen Zweifel daran, dass zwar keinesfalls auf Gewalt oder Terror, sondern auf soziale und berufliche Integration sowie Bildung gesetzt wird. Doch ebenso zweifellos soll mittels Erziehung und Missionierung ein säkulares und demokratisches Verständnis der Trennung von Staat und Religion verhindert bzw. überwunden werden, um die Einheit von Staat, Gesellschaft und Islam zu propagieren. Selbstverständlich sollen im Einheitsstaat „auch Nichtmuslime leben [können], die nicht das Gesetz Gottes für sich selbst im privaten und religiösen Bereich umsetzen ... Auch ist ein föderales Gebilde möglich, bei dem Muslime unter sich die Scharia umsetzen und die Gruppe der Nichtmuslime ihre eigenen Gesetze hat, wobei das Zusammenleben vertraglich geregelt ist. Solch ein föderales Gebilde war der erste islamische Staat in Medina mit dem Propheten Muhammad“ (569f) – das klassische Dhimmi-Konzept.
Es mag damit sein Bewenden haben. Indizien? Beweise? Es gibt jedenfalls eine ganze Reihe von Indizien, die an der Glaubwürdigkeit des forschen Gegenangriffs durch MJD-Vorstandsmitglied Mansouri begründete Zweifel aufkommen lassen. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.
Friedmann Eißler
Internetseite (mit ausführlicher Stellungnahme der MJD): www.mjd-net.de .