Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Bülent Ucar (Hg.)

„Nahe ist dir das Wort ...“ Schriftauslegung in Christentum und Islam

Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Bülent Ucar (Hg.), „Nahe ist dir das Wort ...“ Schriftauslegung in Christentum und Islam, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2010, 277 Seiten, 19,90 Euro.


Das im Rahmen des siebten „Theologischen Forums Christentum – Islam“ (März 2009) entstandene Buch beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Schriftauslegung in Islam und Christentum sowie den möglichen Anknüpfungspunkten für den interreligiösen Dialog. Die im Buch enthaltenen Texte spiegeln die bei der Fachtagung von mehr als 120 muslimischen und christlichen Wissenschaftlern diskutierten Themen wider. Die Gliederung lehnt sich weitgehend an die Vorträge der verschiedenen Arbeitskreise an und umfasst sechs Themenkomplexe. Als sehr gelungen erweist sich die dem Dialogprinzip geschuldete Gegenüberstellung der Vorträge christlicher und muslimischer Autoren, die durch jeweils einen Beobachterbericht kritisch zusammengefasst und in Bezug zueinander gesetzt werden.In der von Hansjörg Schmid, Theologe an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Mitbegründer des dort angesiedelten Theologischen Forums Christentum – Islam, sowie Bülent Ucar (Universität Osnabrück) verfassten Einleitung betonen beide, dass es nicht um einen Vergleich der Offenbarungskonzepte von Christentum und Islam gehen kann. Vielmehr stehe die Rezeptionssituation der heiligen Texte beider Religionen im Mittelpunkt. Bibel und Koran befinden sich in einer ähnlichen hermeneutischen Ausgangsposition, die durch eine dialektische Spannung zwischen dem Anspruch einer zeitlosen und universalen Lebensorientierung und dem kulturellen Umfeld ihrer Entstehung gekennzeichnet ist. Im ersten, mit fünf Texten umfangreichsten Teil des Buches werden die hermeneutischen Grundlagen der Auslegung von Koran und Bibel diskutiert. So arbeitet Elias Kattan, christlicher Theologe aus dem Libanon, drei ähnliche Prinzipien in der christlichen und muslimischen Schriftinterpretation heraus, die sich in einer am Literalsinn orientierten, allegorischen und liturgischen Exegesetradition niederschlagen. Sein historischer Ansatz öffnet dabei den Blick für die zu verschiedenen Zeiten vorherrschenden Auslegungstraditionen in Christentum und Islam. Einen anderen hermeneutischen Zugang zum Koran entwickelt der türkische Theologe Burhanettin Tatar. Die historisch-kritische Methode führt in seinen Augen nicht weiter, da sie eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber der Vergangenheit impliziere und diese so zu einem „bloßen Objekt von Wissen“ mache. Ziel der Koranhermeneutik sollte es sein, die religiösen Quellen mit der Moderne ins Gespräch zu bringen, ohne sie als historisch bedingt zu diskreditieren. Für Tatar steht der gläubige Mensch im Mittelpunkt, der zwar die Freiheit der Koranauslegung besitze, aber auch entsprechende Verantwortung dafür trage.Nach diesem grundlegenden Einstieg werden Fragen nach den Möglichkeiten und Gefahren von Übersetzungen behandelt sowie der Versuch einer feministischen Auslegung von Bibel und Koran. Die beiden Autorinnen Muna Tatari und Kerstin Rödiger zeichnen sich dabei durch eine strikt historisch-kritische Herangehensweise und eine Verpflichtung zur „Hermeneutik der Revision“ aus. Mit ihren auf der Tagung viel diskutierten Beiträgen wurde einer breiter werdenden emanzipatorischen Bewegung innerhalb der christlichen und islamischen Theologie Rechnung getragen.In den nachfolgenden Abschnitten liegt der Fokus auf den möglichen theologischen Anknüpfungspunkten für einen Dialog zwischen Christentum und Islam. Im Kapitel „Interdependente Interpretation“ unternehmen Stefan Schreiner (Universität Tübingen) und Abdullah Takim (Universität Frankfurt) den Versuch, Koran und Bibel hermeneutisch in Bezug zu setzen. Auch Enes Karic von der Universität Sarajewo tritt in seinen Ausführungen zu dieser Thematik konsequent für eine gemeinsame Hermeneutik auf der Grundlage der Menschenrechte ein, die aber nicht zur Auflösung der Eigenständigkeit der einzelnen Religionen führen dürfe, sondern als Hilfe zur gegenseitigen Verständigung dienen solle.Das Buch bietet einen umfangreichen Einblick in den aktuellen Diskurs zwischen islamischer und christlicher Theologie. Dabei ist es übersichtlich gegliedert. Aufgrund der Komplexität einiger Fragestellungen bleibt aber noch viel Bedarf zur weiteren Diskussion. Die seit 2003 stattfindenden Fachtagungen in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart widmen sich diesen Fragestellungen und bieten Raum zum Gespräch. Die Vorreiterrolle und zunehmende Bedeutung des Forums im Rahmen des christlich-islamischen Dialogs zeigt sich in der stetig wachsenden Beteiligung muslimischer Wissenschaftler, die mittlerweile fast den gleichen Anteil wie christliche Teilnehmer ausmachen und aus verschieden Ländern stammen. Die Förderung des Forums durch das Bundesministerium des Inneren und die 2009 gehaltene Eröffnungsrede von Wolfgang Schäuble unterstreichen die Bedeutung des Forums.


Rabih El-Dick, Hildesheim