Matthias Pöhlmann

Natürliches Lernen?

Zum esoterischen Hintergrund von „Laising“ und „Lais-Schulen“

Esoterische Offerten durchdringen zunehmend den Alltag von Menschen: Ratgeberliteratur, Heilungs- und Gesundheitsratgeber, übersinnliche Beratungsangebote am Telefon, Aura-Soma und Bachblüten. Über Bücher, Zeitschriften, Internet, Spartensender wie AstroTV und sogar einschlägige Apps für das Smartphone ist der Zugang zu Angeboten jederzeit möglich und nahezu spielerisch geworden.

Die moderne Esoterik hat schon seit Ende der 1990er Jahre die Erziehung von Kindern und Jugendlichen für sich entdeckt. Darauf deutet die in diesem Bereich anwachsende Ratgeberliteratur hin. Besonders sind dabei Eltern und das pädagogische Personal im Blick. Esoterische Anbieter profitieren von dem wachsenden Unbehagen mancher Eltern gegenüber dem herkömmlichen Schulsystem. Mit ihrem speziellen Sensorium für Krisenherde unserer Gesellschaft haben Esoterikautoren auch die Pädagogik entdeckt und eigene Zauberworte wie „Indigokind“ oder „Kristallkind“ entwickelt.1 Damit reagieren sie auf gängige Ressentiments gegenüber der herkömmlichen Medizin und dem Bildungssystem insgesamt. Kinder mit einer ADHS- oder einer Autismus-Diagnose seien in Wahrheit „Kinder der neuen Zeit“. Für den rechten Umgang mit ihnen offerieren esoterische Verlage entsprechende Ratgeberliteratur für betroffene Eltern und Pädagogen.

So macht derzeit „Laising“ von sich reden, eine Lernmethode, die den „Kindern der neuen Zeit“ großartige Zukunftsmöglichkeiten verheißt: „Die neue Zeit bringt bei allen Modellen mit sich, dass der einzelne immer mehr zu seinen eigenen Fähigkeiten findet und in Form der Gruppenarbeit die Gemeinschaft stärkt. Außerdem Prinzipien der Belohnung, statt Bestrafung, als sowohl kurz- wie auch langfristig förderlich erkannt werden. Eine starke Bewegung mit Zukunftscharakter. Auf die Kinder der neuen Zeit wartet damit eine großartige Welt … ermöglichen wir es ihnen ...“2

Lais-Schulen als Alternative?

Neuerdings gibt es den Versuch, sog. Lais-Schulen als Alternative zu herkömmlichen Bildungseinrichtungen für Kinder in Südwestdeutschland3 und Bayern zu etablieren. Doch nicht nur dort: Im deutschsprachigen Raum soll es 30 Schulgründungsprojekte geben. Zur Vernetzung für diese angeblich „revolutionäre Lernmethode“ werden mittlerweile 22 Kontaktpersonen in Deutschland genannt.4 Interessenten können sich auf einer weiteren Netzwerkkarte eintragen.5 So wird in Bremen bereits intensiv an einer Lais-Schulgründung gearbeitet und ein Schulgründer gesucht.6 Die dortige Initiatorin ist Martina Rautenhaus. Sie ist eigenen Angaben zufolge „Dipl. Betriebswirtin“ und ausgebildet als „Kinder u. Jugend Coach/Potenzialtrainerin“, „ADHS-Trainerin/-Elterntrainerin“, „LRS- u. Dyskalkulie Trainerin“, „Access Bars® Bodywork Practitioner Ausbilderin“, „Energetikerin“ sowie „Psychologische Beraterin“. Darüber hinaus betreibt Rautenhaus „MaRa Life – Praxis & Zentrum für Potenzialentfaltung“. Dort kann der Kunde ein sog. Erfolgs-Coaching buchen, „um Befreiung von Geld-, Gesundheits- und Erfolgsblockaden“ zu erleben. Er könne „Potenziale entdecken u. leben“ sowie „Mentalkraft u. Bewusstsein entfalten“.7 Speziell für Kinder und Jugendliche bietet sie ein eigenes Coaching an. Im Mai 2015 gab es den Versuch, in Mupferting (Chiemgau) eine Privatschule nach der Lais-Methode zu errichten. Der Antrag wurde vom Bauausschuss der Gemeinde aus baurechtlichen Gründen abgelehnt. Immerhin hielt er die Art der Schule nach Presseinformationen für fragwürdig.

Mittlerweile verbreiten Anhänger im Umfeld der spirituellen Lebensgemeinschaft Breitbrunn am Chiemsee einen Flyer zum „Natürlichen Lernen“ sowie zur Schulgründung für eine Grund- und Mittelschule im Chiemgau nach der Lais-Methode.8 Auch die Lebensgemeinschaft Nature Community im bayerischen Schönsee zeigt sich an Laising interessiert. Darüber hinaus wurde das „LAIS Institut Bayern – Natürlich lernen“ gegründet.9 Die ehrenamtlichen Mitarbeiter bezeichnen sich als „frei bzw. unabhängig von: Ideologien, Religionen, Sekten, Politik“. Sie wollen für „Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Selbstbestimmtheit, Menschenwürde“ einstehen.10 Eine der Informationsveranstaltungen fand 2015 im Maitri Yoga Zentrum in Breitbrunn/Chiemsee statt11, dessen Inhaber – Sophia und Winfried Ruhs – auch zu den Unterstützern der Laising-Idee zählen. Beide lehren Yoga und Thaimassage. Eigenen Angaben zufolge sind sie „zertifizierte Level 2 AcroYoga Lehrer von Jason Nemer und Jenny Sauerklein“. Wie sie schreiben, leben sie auf dem Höllbachhof, „einer Gemeinschaft, die sich der Nachhaltigkeit und der spirituellen Entwicklung widmet“. Sie möchten „Vision, Frieden und Liebe in den Herzen der Menschen … wecken“.12 Die Initiatoren sind derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Ort, um eine solche Schule gründen zu können.

Zur Entstehung

Als „Begründer und Entwickler“ von Laising gilt Dieter Graf-Neureiter (Jg. 1965) im österreichischen Klagenfurt. Eine besondere pädagogische Qualifikation kann er nicht vorweisen. Als Stationen seines Ausbildungsweges nennt er: Operations- und Stationsgehilfe (1988), Konzessionsprüfung Gastgewerbe (1991), Studium Philosophie (1996 – 1997), NLP Practicioner (2000 – 2001), Männerinitiation und Ausbildung zum Mentor (2006 – 2009). Er war 20 Jahre als Unternehmer tätig. Als Tätigkeiten gibt er u. a. an: Seminarleiter und Vortragender, Mentor und Mentalcoach, Karrierebegleitung von Tennisspielern.13

Am 14. Oktober 2014 wurde von Dieter Graf-Neureiter, Ingeborg Schober und Martina Graf in Klagenfurt das „LAIS.Institut“ gegründet. Es soll das „natürliche Lernen“ verbreiten. Dazu zählt auch das sog. „LAIS.Friends Projekt“, das das pädagogische Anliegen in nicht-deutschsprachigen Ländern verbreiten möchte. Zur finanziellen Unterstützung wurde das LAIS.Friends „Crowdfunding“-Projekt ins Leben gerufen. Inzwischen gibt es mehrere „Ausbildungen“ innerhalb des Laising-Systems. Angeboten werden vom Laising-Institut in Klagenfurt Kurse für LAIS.Lernbegleiter, LAIS.Lern-Elder, LAIS.Lehrer, LAIS.Mentoren sowie eine LAIS.Modul Anleiter-Ausbildung.14 In Österreich existieren derzeit sechs „LAIS.Institute“. In Zürich wurde das „LAIS.Institut Schweiz“ gegründet.

Kurze Zeit nach der Gründung des österreichischen Lais-Instituts gab es auch in Deutschland die ersten Informationsveranstaltungen. Bereits Ende 2014 fand in Germering bei München der erste Lais-Gründer- und Schulkongress statt. Initiatoren waren Amir Nasser vom Verein Altruismus e. V. und Richard Kandlin, ein engagierter ehemaliger Schüler der russischen Schetinin-Schule (s. u.), dessen Vorträge auf YouTube zu finden sind.

Natürliches Lernen als „altes Wissen“

Die Bezeichnung Lais bzw. Laising soll auf das Gotische zurückgehen. Offensichtlich wollen die Verbreiter des Laising an einem angeblich alten Wissen anknüpfen. Im Gotischen heißt lais„ich weiß“, „ich habe nachgespürt“, laistsbedeutet „Spur“. Die Verantwortlichen schreiben zu Laising: „Laising ist die Methode, welche uns dieses ‚natürliche Lernen‘ wieder beibringt, oder anders gesagt: die uns an das ‚natürliche Lernen‘ erinnern lässt. Raum geben, nachforschen und nachspüren und gelebte Ganzheit, sind wesentliche Faktoren des ‚natürlichen Lernens‘. Spielerisch einfach kannst du beim Laising natürliches Lernen und natürliches Leben wieder entdecken.“15

Wie es heißt, soll die Lais-Methode dem Kind ein angstfreies, unbeschwertes, einfaches, leichtes, begeisterndes Lernen ermöglichen, ob in sog. „LAIS.Schulen“, in Regelschulen oder zu Hause. Auf der Internetseite www.laising.net hieß es im Frühjahr 2016: „Da es nicht möglich ist natürliches Lernen zu erlernen, geht es also nur darum, den Menschen daran zu erinnern. Kinder bis zum 12. Lebensjahr erinnern sich aus meiner Erfahrung heraus ungemein schnell daran, brauchen kaum länger als Minuten. Erwachsene, oder eben Kinder, welche älter als 12 Jahre alt sind, brauchen da schon etwas länger um sich wieder an das natürliche Lernen zu erinnern … Wie funktioniert natürliches Lernen? Natürliches Lernen funktioniert immer gleich, folgt stets der gleichen (natürlichen) Abfolge. Wesentlicher Bestandteil des natürlichen Lernens ist ein spontanes von innen kommendes ‚AHA‘. Dann geht es darum ... dem Impuls folgend beginnt das 1. Ausprobieren, um dann 2. dem eigenen Interesse folgend, 3. Begeisterung zu entwickeln welche 4. auf andere überschwappt und gemeinsam lernend 5. Fehlern Raum gibt. Wird das erworbene Wissen noch von anderen genützt um daraus etwas zu machen, funktioniert natürliches Lernen.“16

Schaubilder und Lerngruppen

Über die Ausrichtung des Laising gibt sein „Entdecker“ Dieter Graf-Neureiter in einem Interview Auskunft: „In der Lais-Schule gibt es keinen Unterricht, sondern ausschließlich ‚Lernen‘. Beim Lernen geht es weniger um den Gruppenprozess als um die verschiedenen ‚Blickwinkel‘ der einzelnen Kinder auf das im Moment Gelernte. Deshalb ist die altersmäßige Durchmischung der Lerngruppen auch ganz wesentlich. Die Kinder organisieren sich selbständig in sogenannten Lern- und Spielgruppen. In jeder dieser Gruppen lernen 6 bis 8 Kinder und Jugendliche miteinander und voneinander, unterstützt von einem Lernbegleiter oder einer Lernbegleiterin. Die Leitungsrolle in der Gruppe wird von den Kindern abwechselnd übernommen. Jedes Kind ist gleichzeitig Lehrer und Schüler. Kinder, die Wissen bereits erfahren haben, werden zu Experten über diese Themenbereiche und übernehmen so die Verantwortung für die Wissensübergabe.“17

Die Bezeichnung „LAIS.Schule“ suggeriert, es handle sich um eine Schule.18 Tatsächlich handelt es sich um einen von Eltern organisierten häuslichen Unterricht, der von Lernbegleitern unterstützt wird.19 In Österreich ist das sog. Homeschooling möglich. In Deutschland verstößt es wegen der allgemeinen Schulpflicht jedoch gegen geltendes Recht. In Österreich kann der Schulpflicht durch häuslichen Unterricht nachgekommen werden, wenn bestimmte Auflagen erfüllt sind. Dementsprechend müsse jedes Kind dort am Ende des Schuljahres seiner Schulstufe entsprechende Prüfungen an einer staatlichen Schule absolvieren.

Das Konzept der Lais-Schule wird weiter so beschrieben: „Gemeinsam gestaltete Strukturen geben den Kindern und Jugendlichen jene Sicherheit, die als Basis für natürliches Lernen dienen ... Struktur des Lernens: Natur- und Geisteswissenschaftliche Inhalte werden in einer logisch aufeinander aufbauenden Abfolge erlernt. In 6-12 Wochen wird ein fachliches Themengebiet erarbeitet, bis die Gruppe den Inhalt in all seinen Kontexten erforscht und verstanden hat. Darüber hinaus erwerben die Kinder und Jugendlichen auch Kompetenzen durch Mitverantwortung in der Organisation und Gestaltung des Schulalltags (z. B. Reinigung, Bauen, Gärtnern und Kochen, etc.). Natürliches Lernen mit Schaubildern: Schaubilder geben von Beginn an einen klaren Überblick über den gesamten Umfang eines Faches und ermöglichen dadurch, spezifische Inhalte stets in einem größeren Kontext zu verstehen. Von einem Schaubild ausgehend werden daraufhin die Unterthemen erarbeitet, je nach Interesse bis ins kleinste Detail.“20

Das Schaubild stellt demzufolge das besondere Merkmal des natürlichen Lernens dar. Es soll dazu dienen, Wissen und Erfahrungen zusammenzutragen. Allmählich werde beides „nach und nach wieder kristallisiert und die universale Essenz als Bild oder Bilder auf ein Plakat gemalt“21. Die nächste Gruppe kann sich über diese „Manifestation“ mit dem Thema befassen und es weiter vertiefen. Letztlich sollen damit den Kindern bereits innewohnende Potenziale natürlich genutzt werden.

Wie sieht der Alltag eines Lais-Kindes aus? Darüber gibt die Laising-Lerngruppen-Leiterin in Oberösterreich, Birgit Bangerl, in einem Zeitungsbericht Auskunft: „Um acht Uhr beginnt die erste ‚Laising-Einheit‘. Gearbeitet wird in Gruppen von vier bis acht Kindern, die einzelne Themen oder Projekte bearbeiten: ‚Man wählt beispielsweise das Thema Baum und behandelt dabei nicht nur die Biologie, sondern auch die Chemie (Wie funktioniert Photosynthese?), die Physik (Was versteht man unter der Haarröhrchenwirkung?) oder Mathematik (Wie berechnet man den Umfang eines Stammes?)‘, so Bangerl. Laising möchte die Freude und Neugier der Kinder am Lernen auch im Bildungslernen erhalten. ‚Es wird darauf geachtet, dass die Kinder viel selber mit der Hand schreiben, Fragen stellen und die Antworten darauf mithilfe von Büchern, Internet oder Experten gefunden werden‘, erklärt Bangerl. Nach der ersten Einheit dürfen sich die Kinder bewegen. Im Laufe des restlichen Vormittags wird gemeinsam gejausnet, nochmals geforscht und Mittagessen gekocht. Um 13 Uhr werden die Kinder von den Eltern abgeholt. Für die Lerngruppe ab September sind ‚elders‘ geplant: ‚Ältere Leute, die am Nachmittag für die Kinder da sind, mit ihnen weiter forschen und ihnen Weisheiten mit auf den Weg geben können‘, erklärt Bangerl. Die Lernbegleiter arbeiten größtenteils ehrenamtlich oder werden von Sponsoren finanziert. Geplant sei, dass sich die Eltern die Miete und die Kosten für die Nahrungsmittel teilen. Leistungsbeurteilungen wie in der Schule gebe es nicht, außer die Kinder würden selbst danach verlangen. Darüber hinaus müssen alle Kinder im häuslichen Unterricht ein Mal im Jahr eine Externistenprüfung an einer öffentlichen Schule ablegen.“22

Laising versteht sich weder als Methode noch als Pädagogik. Ziel sei vielmehr natürliches Lernen, die Weitergabe von Mensch zu Mensch. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Lerngruppen, die wechselseitig das bereits vorhandene Wissen in den Kindern abrufen sollen. Damit verbindet sich ein spezifischer weltanschaulich-religiöser Hintergrund.

Esoterischer Hintergrund: Schetinin-Schule und Anastasia-Bewegung

Vorbild für die Lais-Schulen ist die Schetinin-Schule in Tekos/Kaukasus. Sie ist nach dem russischen ehemaligen Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin benannt, der sie 1997 gegründet hat. Schetinin ist begeisterter Anhänger der „Anastasia“-Bücher des Geschäftsmannes und Esoterikautors Wladimir Pusakow aka Wladimir Nikolajewitsch Megre (Jg. 1950).23 1996 hatte Megre den ersten Band der Reihe „Die klingenden Zedern Rußlands“ veröffentlicht. Das Werk, das den Titel „Anastasia – Tochter der Taiga“ trug, stieß in Russland auf unerwartet große Resonanz. Bald folgten weitere Bände. Inzwischen liegen insgesamt zehn Bände vor. Sie erzählen vom Leben und Lehren der sagenhaften Anastasia, einer Einsiedlerin aus der sibirischen Taiga. Eine Kernbotschaft lautet: „Der Mensch kann selbst zum Schöpfer werden und die Welt durch die Kraft seiner Gedanken vervollkommnen.“24

Nähere Informationen zu den weltanschaulichen Hintergründen einer „natürlichen“ Kindererziehung bietet der dritte Band der Anastasia-Reihe. Er trägt den Titel „Raum der Liebe“. Darin erfährt der Leser, dass das geistige Erbe der Menschen spiritueller Natur sei. Aufgabe sei es, das Kind in den „natürlichen Prozess“, „den Prozess des ewigen Wandels und der ewigen Erneuerung des Lebens“25 einzuführen. Anastasia zufolge seien die Kinder als ursprüngliche Wesen sogar in der Lage, die Menschen zu retten und ihnen den Weg ins Paradies zu weisen!26 In dieser Perspektive werden die Kinder – wie im esoterischen Kontext üblich – als den Erwachsenen geistig überlegene Persönlichkeiten betrachtet, da sie noch reiner und noch nicht durch „moralische Dogmen“ negativ beeinflusst seien.27

Die Anastasia-Bände vertreten insgesamt ein esoterisches und parawissenschaftliches Gedankengut: „Megres Bücher nehmen die Vorstellungen von Roerich, pseudowissenschaftliche Lehren …, Ideen des Positiven Denkens, der Noosphären Bewegung, Gedanken aus biblischen Apokryphen, Lehren des Porfiriy Ivanov, einige Elemente und Ideen der Theosophie, des Hermetismus und der Kabbala auf, aber auch Vorstellungen von Wunderheilung und Behexung, von Atlantis, den Indigo-Kindern, Schutzgeistern, Shambalah, von Klarträumen, Weltverschwörungen, Reinkarnation, Telegonie, Hellsehen; auch Teile der Glaubenslehre der Vissarion-Bewegung, der Internationalen Akademie der Informationalisierung, des Integralen Yoga, Theorien aus Parapsychologie, Ufologie, Neuheidentum, Spiritismus usw.“28

Megre hatte in seinem mehrbändigen esoterischen Romanwerk „Anastasia“ auch die Schetinin-Schule bekannt gemacht. Das gesamte Wissen sei bereits im Menschen vorhanden. Megre erzählt in „Anastasia“, dass er während einer Geschäftsreise eine junge Frau aus der Taiga kennenlernte, die inmitten der Natur lebte und sogar mit Tieren kommunizieren konnte. Anastasia soll aber auch über besondere esoterische Kenntnisse verfügen. So äußert sie sich zur Kindererziehung und „ihren“ Kleingärtnern, die sie mit ihrem heilenden Strahl unterstützt. Damit könne sie sämtliche Informationen, Emotionen, Ahnungen durch den Willen des Menschen bewusst steuern. Mit diesem Strahl könne sie in die Ferne sehen, heilen und den Menschen Ideen und Inspirationen übermitteln. Im dritten Band geht Megre näher auf die Schetinin-Schule ein, die er mit einer Roerich-Theosophin besuchte. Er hatte den Eindruck, dass Anastasia mit den Kindern der Schule im geistigen Austausch stand und sie an ihren Fähigkeiten Anteil haben ließ.29 Megre berichtet später von einer Begegnung mit einem Mädchen, das ihm eröffnete, die Kinder dieser Schule hätten ihr Wissen von den Sternen. Auf die Frage, was es von Anastasia gelernt habe, antwortete es: „Dass es sehr wichtig ist, die eigene Heimat zu lieben und zu verstehen … Weil die Heimat das Werk unserer Eltern und Ahnen ist.“30 Mit dem Strahl könne Anastasia Menschen „wärmen“ oder auch heilen. Zusätzlich sei sie dadurch in der Lage, Menschen Ideen und Inspirationen zu übermitteln. Grundlage bei diesen Vorstellungen ist der Gedanke eines esoterischen „Urwissens der Menschheit“. Demnach reichten Anastasias Wurzeln weit in die keltische Vergangenheit, sogar bis zu den sogenannten Menschen der Urzeit zurück, die einen angeblich authentischen Zugang zu ihrem natürlichen Potenzial und einer fast unbegrenzten Weisheit hatten. Diesen Gedanken lässt Megre seine Gewährsfrau Anastasia im zweiten Band „Die klingenden Zedern Rußlands“ der Anastasia-Bücher offenbaren.31

Die Schule von Michail Petrowitsch Schetinin in Russland ist, wie es bei Megre heißt, eine staatliche Einrichtung und untersteht dem Ministerium für Schulbildung der Russischen Föderation. Für Eltern fallen keine Schulkosten an. Für einen freien Platz gebe es 2500 Bewerbungen. Im Zentrum der Schule stehe das ganzheitliche Leben der Kinder. Dort lernen sie nicht nur. Sie verrichten praktische Tätigkeiten wie Bauen, Kochen, Putzen, Nähen. Dadurch sollen sie das Leben in seiner Gesamtheit erlernen. In der Schetinin-Schule gibt es nicht nur Schulfächer wie Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften. Die Kinder dort errichteten, wie Megre berichtet, sogar ein komplettes Haus, das sie selbst geplant hätten. Mit anderen Worten: Eine Zehnjährige sei nicht nur in der Lage zu kochen, zu singen, zu malen und zu tanzen, sondern könne sogar ein Haus bauen. Darüber hinaus sei sie bereits mit einer russischen traditionellen Kampfart vertraut.

Megre beschreibt auch den „normalen“ Schulbetrieb: Beim Besuch seien die Kinder der verschiedenen Altersstufen beschäftigt gewesen. Sie seien durch das große Zimmer gelaufen, einige hätten den Raum verlassen, andere seien vor Tafeln mit irgendwelchen Zahlen stehen geblieben. Wieder andere hätten miteinander gesprochen, als wollten sie einander etwas beweisen. Der Schulleiter Schetinin gibt Besuchern dafür folgende Erklärung: „Was Sie hier sehen, ist in erster Linie ein Versuch der Kinder, miteinander Kontakt aufzunehmen. Wenn sie dabei erfolgreich sind, können sie den Lehrstoff der Mathematik, der in normalen Schulen auf zehn Jahre angelegt ist, in nur einem Jahr absolvieren. Das ist ihre Aufgabe. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob es ihnen gelingt, zu jemandem Kontakt aufzunehmen, der das nötige Wissen bereits hat. Mit Hilfe ihrer Feldstrukturen sind sie in der Lage, die Informationen voneinander abzulesen. Ist der Kontakt zwischen zwei bioenergetischen Feldern hergestellt, kann der Informationsfluss problemlos stattfinden. Das ist etwa so wie bei der sprichwörtlichen Liebe auf den ersten Blick: Der eine versteht den anderen schon, bevor der überhaupt etwas gesagt hat.“32

Der besondere Ansatz der Schetinin-Schule sei, dass sie keine Lehrer habe. Vielmehr sollen sich die rund 300 Schüler wechselseitig unterrichten. So ist daran gedacht, dass die Jüngeren den Älteren den Unterrichtsstoff nahebringen.

Insgesamt ist dieses „Lernmodell“ von der Annahme übersinnlicher Fähigkeiten geprägt, die angeblich in den Kindern schlummern und die mit dieser Methode „abgerufen“ werden. Euphorisch heißt es auf einer deutschen Internetseite: „Das Konzept der Schetinin-Schule ist außergewöhnlich, es verkörpert die Idee der Potentialentfaltung in ihrer höchsten Stufe.“33 Doch es gibt auch Problematisches, so etwa den militärischen Teil der Schule: „Die Schüler sind körperlich durchtrainiert, fast jeder macht leicht einen Salto aus dem Stand, Flick-Flacks oder sonstige akrobatische Manöver. Man ist offensichtlich in seinem Körper zu Hause. Sie sind in Kampfsport ausgebildet – auch an Waffen. So sieht man auch mal ein 10-jähriges Mädchen Schwertkampf auf Ninja-Niveau vorführen. Oder Jungs in Militär-Klamotten bei militärischen Kampfübungen im Wald. Wer diese Schule verlässt, ist nicht nur ein Allround-Genie, er ist auch ein Krieger. Angstfrei, durchtrainiert und stark.“34 Schetinin begründet dies damit, dass Kinder an die kollektive Volksseele, ihre Ahnen angebunden und in der Natur ihres Heimatlandes verwurzelt sein müssten. Nur so könne ein Mensch seine volle Kraft entfalten. Besucher berichten, dass die Anastasia-Philosophie in der Schule omnipräsent sei: „Wachheit, Intelligenz, Verantwortungsgefühl und Würde stehen den Kindern ins Gesicht geschrieben. Allerdings: wie ausgelassene Kinder wirken sie kaum. Der Tag ist von fünf Uhr morgens bis abends um neun durchorganisiert, Zeit für freies Spiel, Alleinsein oder kindliche Spiele bleiben ihnen nicht. Bücher gibt es nur wissenschaftliche oder Hochliteratur. Ferien im eigentlichen Sinne gibt es auch keine. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von ‚Roboter- und Zombie-Kindern‘.“35

Der Autor einer bekannten Film-Dokumentation über die Schetinin-Schule teilt diesen Eindruck: „Ich habe tolle Erinnerungen an meine Arbeit mit den Kindern hier. Meine einzige Besorgnis ist: Die Kinder haben keinerlei Privatsphäre [die Kinder leben in Mehrbettzimmern und sind den ganzen Tag zusammen; M. P.]. Sie haben keine wirkliche Freizeit, um sich selbst zu erkunden. Es gibt eine einzige alles umspannende Vision: Die von Michael Schetinin. Viele der Arbeiten erfordern enorme Disziplin und Gehorsam. Und ihre Verehrung des Vaterlandes grenzt teilweise an Unterwürfigkeit.“36

Problematische Unterstützer der Lais-Schulen

Zu den Unterstützern und Verbreitern von Lais-Schulen zählt auch der 2011 gegründete Verein „Gaia Energy – Gesellschaft für autarke Energie, technische Innovationen & Altruismus“ mit rund 2300 Mitgliedern. Er hat seinen Sitz in Althofen/Österreich. Der Verein stützt sich bei Gesundheit und Ernährung auf die höchst fragwürdigen und lebensgefährlichen Ideen der „Germanischen Neuen Medizin“ Ryke Geerd Hamers37, die der sog. braunen Esoterik zuzurechnen ist. Hamer werden auch antisemitische Tendenzen vorgeworfen. Für kritische Beobachter weist sein System wahnhafte Züge auf. Oftmals wird die destruktive Wirkung der Germanischen Neuen Medizin im alternativ-spirituellen bzw. esoterischen Milieu unterschätzt. Bereits 2005 urteilte die Deutsche Krebsgesellschaft in einer gutachterlichen Stellungnahme, die nichts an Aktualität eingebüßt hat: „Bei der sog. ‚Germanischen Neuen Medizin’ von Ryke Geerd Hamer handelt es sich um ein in der Biographie und Träumen von Herrn Hamer begründetes Theorem ohne jede wissenschaftliche oder empirische Begründung. Im Gegenteil, nach heutigem Erkenntnisstand ist die zugrundeliegende Grundhypothese widerlegt. Es sind mehrere Todesfälle von Menschen, die seiner Theorie vertrauten, gut belegt, die unter schulmedizinischer Behandlung eine realistische Heilungschance besessen hätten. Deshalb ist die Germanische Neue Medizin mit allem Nachdruck als einerseits absurd, andererseits aber bewiesenermaßen als gefährlich zurückzuweisen. Ihrer Verbreitung muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln juristisch und auf dem Wege der Aufklärung Einhalt geboten werden. Eine Plattform zur Selbstdarstellung darf ihm und seinen Anhängern nicht geboten werden.“38

Einschätzung

Die Lais-Schule ist keine Schule im klassischen Sinn. Es handelt sich vielmehr um Lerngruppen. Das oben dargestellte Schulmodell Schetinins wird unkritisch übernommen und als Vorbild für die Lais-Schulen präsentiert. Im Grundsatz wird der weltanschauliche Hintergrund, die russische Anastasia-Esoterik Megres, geteilt. Das „natürliche Lernen“ soll nach Auffassung der Lais-Anbieter in jedem Kontext ermöglicht werden.

Laising bzw. natürliches Lernen soll – so die Intention der Anbieter – eine Alternative zu herkömmlichen schulischen Lehr- und Lernangeboten sein. Das wirkt für Eltern attraktiv, die gegenüber dem Bildungssystem skeptisch und auf der Suche nach nicht ausschließlich leistungsbezogenen, angstfreien Lernräumen für ihre Kinder sind. Die Initiativen zur Gründung von Lais-Schulen gehen meist von dieser Klientel aus.

Das Konzept des Laising weist infolge der Bezüge zu den Anastasia-Büchern Megres und auch in der praktischen Umsetzung einen esoterischen Hintergrund auf. Das wird von den Protagonisten der Lais-Methode nach außen hin nicht deutlich gemacht, bzw. es wird bewusst verschleiert. Als wesentliche Inspirationsquelle für Laising bzw. natürliches Lernen dient das esoterisch-pädagogische Konzept des Anastasia-Anhängers Schetinin, den Megre in seinem Anastasia-Werk wiederum literarisch protegiert.

Die Schweizer Stelle „InfoSekta“ in Zürich urteilt im Blick auf die wachsende Zahl der Laising-Angebote: „Offenbar wird bei den genannten Massnahmen bzw. Zielen davon ausgegangen, dass Kinder bereits viele negative Erfahrungen in dem unvollkommenen System, in dem sie leben, gesammelt haben und von Ängsten und Hemmungen geplagt seien. Es scheint das in der Esoterik häufig bemühte Bild eines von sich und seinen Möglichkeiten entfremdeten Menschen, in diesem Fall Kindes, auf.“39 In den Anastasia-Büchern Megres wird auf ein esoterisches angebliches Urwissen der Menschheit rekurriert. Jedes Kind trage das gesamte Wissen bereits in sich. Es müsse lediglich über die Methode des „natürlichen Lernens“ abgerufen werden. Darin gibt sich ein esoterisch unterfüttertes Überwissen bzw. ein Erkenntnisanspruch zu erkennen, der für die Pädagogik ein idealisiertes Menschenbild postuliert, das in seinen Grundsätzen herkömmlichen entwicklungs- und lernpsychologischen Erklärungsmodellen zuwiderläuft.


Matthias Pöhlmann, München


Anmerkungen

  1. Vgl. hierzu meinen Beitrag über Indigo- und Kristallkinder, www.sektenwatch.de/drupal/sites/default/files/files/indigo_kinder.pdf  (die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden zuletzt abgerufen am 9.12.2016, falls nicht anders angegeben); vgl. auch Kai Funkschmidt, Stichwort: Indigokinder, in: MD 7/2016, 271-274.
  2. www.horizonworld.de/laising-eine-neue-form-um-das-natuerliche-lernen-wieder-zu-entdecken .
  3. So etwa das Laising Institut Südwestdeutschland im rheinland-pfälzischen Bann: www.laising-swd.de
  4. www.laising-swd.de/vernetzung.html .
  5. Vgl. www.n2l2.de/netzwerk.html .
  6. Vgl. www.laising-bremen.de .
  7. www.maralife.de .
  8. Vgl. www.flying-yogis.de/news/pdf/lais/Schulgruendung-Faltflyer.pdf  (Abruf: 12.3.2016).
  9. Vgl. http://laising-chiemgau.weebly.com .
  10. Ebd.
  11. Vgl. http://maitri-yoga-chiemsee.de/wp-content/uploads/2015/09/Workshop-Bedürfnisse-1.pdf .
  12. www.flying-yogis.de/index.php?loc=yogalehrer (Abruf: 12.3.2016).
  13. Vgl. www.tennis-academy.at/data/lebenslauf_grafneureiter.pdf .
  14. Vgl. www.lais-institut.net/lais-termine-Übersicht  (Abruf: 13.3.2016).
  15. www.laising.at  (Abruf: 13.3.2016).
  16. www.laising.net/natürlich-lernen  (Abruf: 13.3.2016).
  17. Dieter Graf-Neureiter im Interview: www.sein.de/laising-natuerlich-lernen-2 .
  18. Kritik an der Bezeichnung „Schule“ wurde bereits in Österreich laut. Es handle sich nicht um eine „echte Schule“: „‚Die Kinder wurden von ihren Eltern vom Regelschulunterricht abgemeldet und befinden sich im häuslichen Unterricht‘, sagt der Präsident des Kärntner Landesschulrats Rudolf Altersberger. Und weiter: ‚Das ist eine Lerngruppe, die nach außen den Eindruck erweckt, eine Schule zu sein.‘ Um sich ‚Schule‘ nennen zu dürfen, müssen mehrere Vorgaben eingehalten werden. ‚Es muss einen Lehrplan geben, das Personal muss eine anerkannte pädagogische Ausbildung haben und bei der Ausstattung der Schule müssen Vorgaben eingehalten werden‘, erklärt Altersberger. Selbst wenn diese Auflagen eingehalten werden, dauert es mehrere Jahre, bis eine Schule öffentlich anerkannt ist. ‚Während dieses Zeitraums gibt es eine verpflichtende wissenschaftliche Begleitung‘, sagt Altersbeger“, www.meinbezirk.at/st-veit/lokales/heftige-kritik-an-geplanter-schule-d1276678.html .
  19. So Birgit Bangerl, die mit weiteren Eltern die Laising-Lerngruppe Oberösterreich-Ost gegründet hat, www.tips.at/news/kematen-an-der-krems/leben/367872-natives-lernen-in-lais-gruppen-als-alternative-zur-regulaeren-schule .
  20. www.laisschule.at/was-wir-tun  (12.3.2016).
  21. http://laising-freiburg.de/nativ/index.htm l.
  22. www.tips.at/news/kematen-an-der-krems/leben/367872-natives-lernen-in-lais-gruppen-als-alternative-zur-regulaeren-schule .
  23. Vgl. Vladimir Martinovich, Die Anastasia-Bewegung. Eine utopische Gemeinschaft aus Rußland, in: Berliner Dialog 31/2014, 8-17.
  24. Wladimir Megre, Anastasia, Bd. 2: Die klingenden Zedern Russlands, Neuhausen/Schweiz 2004, 9.
  25. Megre, Anastasia, Bd. 3: Raum der Liebe, Zürich 32015, 162.
  26. Vgl. ebd., 173.
  27. Vgl. ebd., 175.
  28. Martinovich, Die Anastasia-Bewegung (s. Fußnote 23), 8.
  29. Vgl. Megre, Anastasia, Bd. 3, 151.
  30. Ebd., 153.
  31. Vgl. Megre, Anastasia, Bd. 2, 74.
  32. Megre, Anastasia, Bd. 3, 159.
  33. www.lernen-im-aufbruch.de/informationen-zum-konzept-der-schetinin-schulenatuerliches-lernen .
  34. https://wissenschaft3000.wordpress.com/2013/01/30/die-tekos-schule-11-jahre-schule-in-einem-jahr.
  35. Ebd.
  36. SEIN vom 29.1.2013, www.sein.de/die-tekos-schule-11-jahre-schule-in-einem-jahr .
  37. Vgl. http://gaia-energy.org/tag/geerd-hamer .
  38. www.krebsgesellschaft-mv.de/_downloads/17789_gutachten-zu-hamer-dkg.pdf .
  39. InfoSekta, Einordnung der Anastasia-Bewegung im rechtsesoterischen Spektrum. Einfluss der Bewegung auf Bildungsangebote, mögliche Folgen bezüglich Gesundheitsverhalten und Konsequenzen hinsichtlich Erziehungskonzepten, www.infosekta.ch/media/pdf/Anastasia-Bewegung_10112016__.pdf , 18.