Psychologie/Psychotherapie

Negative Presse für die Positive Psychologie

Wenn ein Popstar sein neues Album fertiggestellt hat, ist eine Tournee fällig. Nach den Konzerten findet der frisch gebrannte Silberling bei der wartenden Fangemeinde in der Regel reißenden Absatz. Ein Popstar der Psychologenzunft ist Martin Seligman, der sich zu den 15 meistzitierten Psychologen der Welt zählt. Bekannt wurde der Professor an der Universität Philadelphia durch seine Theorie der „erlernten Hilflosigkeit“. Nachdem er 1998 zum Präsidenten der amerikanischen Psychologenvereinigung (APA) gewählt worden war, hat er maßgeblich dazu beigetragen, die „Positive Psychologie“ zu einer erfolgreichen akademischen Disziplin zu entwickeln. Mittlerweile werden auch in England, Italien und Spanien Masterstudiengänge in „Applied Positive Psychology“ angeboten. 2009 lockte Seligman zum ersten Weltkongress der „International Positive Psychology Association“, der an seinem Institut veranstaltet wurde, 1500 Wissenschaftler aus über 50 Ländern nach Philadelphia; der zweite Weltkongress wird dort vom 23. bis 26. Juli 2011 stattfinden.Seligman hat ein neues Buch geschrieben (Flourish. A Visionary New Understanding of Happiness and Well-being). Darin erläutert er seine neue Theorie des Wohlbefindens, die auf Wachstum („flourishing“) gründet. Die deutsche Übersetzung des gerade erschienenen Werkes soll rechtzeitig zu den beiden großen europäischen Symposien zur Positiven Psychologie in Zürich und Heidelberg fertig sein, die intensiv beworben werden und Anfang Juli 2011 stattfinden sollen (www.selig maneurope.com). Ob die skeptischen Europäer auf den Zug der Positiven-Psychologie-Fans aufspringen, ist aber noch nicht ausgemacht.Während die akademische Psychologie bisher eher zurückhaltend auf diesen Trend reagierte, wird die Positive Psychologie im Coaching und in der Personalentwicklung euphorisch aufgegriffen. Häufig werden ihre Methoden schon in Wirtschaft, Erziehung, Therapie und Politik angewendet. Sicher korrigiert diese neue Richtung der Psychologie das moralpessimistische Menschenbild der traditionellen Psychoanalyse und des klassischen Behaviorismus. Sie stellt in den Mittelpunkt, dass der Mensch zum Guten fähig ist und ethische Werte sein seelisches Wohlbefinden fördern (vgl. Bernhard Grom, Positive Psychologie auf den Pfaden der Tugend, in: Stimmen der Zeit 4/2011, 278-280). Aber ob an dem neuen Trend mehr dran ist als simpler Zweckoptimismus, darüber gehen die Expertenmeinungen weit auseinander. Kritiker bemängeln den suggestiven Grundansatz als „Wohlfühlterror“. Vielleicht spielen hier aber auch kulturelle Unterschiede eine Rolle – in den USA ist das „Streben nach Glück“ grundrechtlich abgesichert.In Europa wird stärker sozialpsychologisch nach den Einflüssen von Hoffnung, Vertrauen und Selbstwirksamkeitserwartung auf das psychische Wohlbefinden geforscht. Auch die Nebenwirkungen und Gegenanzeigen sind deutlicher im Blick, so die Frage, wann Optimismus schädlich und wann Pessimismus hilfreich ist. Denn aus psychologischer Sicht hat die alleinige Konzentration auf das Gute im Sinne eines dogmatischen Positiven Denkens klare Grenzen und kann sogar schaden. Seligman selbst distanziert sich zwar in einer Fußnote vom Positiven Denken: Dies sei eine Philosophie, die sich stur auf die Vermehrung von Positivität richte und Negatives ausblende. Demgegenüber sei die Positive Psychologie empirisch begründet, lasse auch Negatives zu und verstehe sich als Ergänzung der traditionell mangelorientierten Psychologie (Der Glücks-Faktor, München 2008, 447f). Es gibt aber in dieser Bewegung mittlerweile zahlreiche Vertreter, die das Positive Denken mit psychologischen Argumenten hoffähig machen wollen.Neue Studien weisen darauf hin, dass besonders Menschen mit hohem Selbstbewusstsein von autosuggestiven Parolen profitieren können. Gerade aber diejenigen, die eine Verbesserung ihres Selbstwertgefühls am nötigsten hätten, können am wenigsten Nutzen aus derartigen Techniken ziehen.Auch im englischsprachigen Raum stößt die Positive Psychologie in jüngster Zeit verstärkt auf Kritik. Barbara Ehrenreich, eine der bekanntesten amerikanischen Publizistinnen, hat in ihrem neuen Buch (Smile or die – Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt, München 2010) den weit verbreiteten magischen Glauben an das Positive Denken kritisiert. Sie hält es für eine gefährliche Lüge, denn sie erlebte die Kehrseite der verordneten Fröhlichkeit als grausam: Wenn Positives Denken gesund machen kann, dann müssen Kranke an ihrem Zustand letztlich selbst schuld sein. Klug hinterfragt sie einige Studienergebnisse dieser psychologischen Richtung und stellt fest, dass viele Forscher Bücher für den Massenmarkt veröffentlichten und auch als Lebensberater tätig geworden sind. Seligman etwa habe bis 2005 per Telefonkonferenz Hunderten von Menschen zugleich Ratschläge erteilt und pro Person dafür 2000 Dollar verlangt.Außerdem weist Ehrenreich darauf hin, dass die Templeton-Stiftung Seligmans Zentrum in den letzten zehn Jahren mit 2,2 Millionen Dollar gefördert habe. Forschungsfinanzierung ist ein heikles Thema, weil auf diesem Gebiet handfeste Interessen aufeinanderprallen. Die Templeton-Stiftung ist ein Global Player der Forschungsförderung. Mit rund 40 Millionen Dollar pro Jahr finanziert sie weltweit Studien, die dem Ziel dienen, Wissenschaft und Religion miteinander zu versöhnen. Sie wurde 1987 von dem Aktienmakler Sir John Templeton (1912-2008) gegründet, einem Anhänger des Pastors Norman Vincent Peale (1898-1993). Dessen Ratgeber „Die Kraft des positiven Denkens“ zählt bis heute zu den erfolgreichsten Selbsthilfebüchern (vgl. MD 2/2011, 69-73). Die Templeton-Stiftung fördert Forschungsprojekte, die den Nutzen religiöser Lebensführung nachweisen wollen, und steuert über die Ergebnisse geschickt die öffentliche Meinung in den USA zu religiösen Fragen. Projekte, die auch problematische Seiten von Religion mit einbeziehen, sind weniger willkommen. Mit dieser Strategie widerspricht die Templeton-Stiftung jedoch der von ihr selbst propagierten Tugend der Gerechtigkeit. Ein solches Vorgehen wirft ein negatives Licht auf die Integrität der Stiftung.Die britische Journalistin Sunny Bains stellt weitere kritische Anfragen an die Templeton-Stiftung (www.epjournal.net/filestore/EP09921152.pdf): Die religiöse Öffnung der Stiftung sei nur strategisch motiviert, es werde Vetternwirtschaft praktiziert, und die Stiftung habe in der Vergangenheit häufig antiwissenschaftliche Aktivitäten und Gruppen gefördert. Als Beispiele nennt sie die Bevorzugung konservativer Standpunkte bei brisanten Themen wie dem Klimawandel oder der Stammzellenforschung. Deshalb fordert sie die wissenschaftliche Gemeinschaft auf, Fördergelder und Veranstaltungen der Stiftung zu boykottieren.


Michael Utsch