Eren Güvercin

NEOMoslems. Porträt einer deutschen Generation

Eren Güvercin, Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation, Herder-Verlag, Freiburg i. Br. 2012, 200 Seiten, 14,99 Euro.

Mit diesem Buch ist uns ein schwieriger Umgang verheißen. Fraglich ist jedoch, ob überhaupt ein Umgang notwendig ist. Die reale Qualität der knapp 200 Seiten ist schwach – nicht nur deshalb, weil die Haupttextmasse des Buches zu einem viel zu hohen Prozentsatz aus Zitatmaterial besteht. Das könnte man ja noch verstehen, weil das Buch die Befindlichkeit von Menschen schildern will und diese also selbst zu Wort kommen sollen. Nein, die geschilderte Problematik und die Optionen, die vorgeschlagenen Wegweisungen entbehren allzu oft einer verständlichen Logik, sodass man sich mit der Lektüre überaus schwertut. Dabei ist es weithin „leichfüßig“ geschrieben.

Das vielleicht Aussagekräftigste des Buches ist das einführende Vorwort von Feridun Zaimoglu. Dieser gibt sich in einer schon bekannten Art sehr viel Mühe, in einer Sprachakrobatik, die an Deftigkeit und witzigen Alliterationsspielen nicht viel zu wünschen übrig lässt, auf die von Güvercin angezielten Themen hinzuführen. Es ist der gute deutsche Moslem jüngerer Generation, der nie verstanden wurde, gänzlich anders ist – und daher jeglicher bisherigen Beschreibung entweicht („verfemt“ ist das Wort bei Güvercin), aber durchaus ein ernst zu nehmender Partner ist, auf den man (hochgereckter Zeigefinger!) noch aufmerksam werden wird. Das Feindbild schon im Vorwort ist der Islamkritiker. Und schon kommt die erste diesbezügliche Zuordnung und Sprachspielerei: „das Gemümmel der Greise“ (9). Überhaupt sei Islamkritik grundsätzlich in einer Sphäre anzutreffen (so erst Zaimoglu, dann im Haupttext auch Güvercin), die etwa der Ideologie der Neonazi-Welt oder zumindest der Rechtspopulismen entspricht. Dort sei sie und dort gehöre sie hin.

Bei Güvercin taucht natürlich auch Thilo Sarrazin auf. Der sei aber kein Rassist. Denn diese Zuordnung würde grundsätzlich die Neonazi-Welt verharmlosen (84f). Das ist m. E. die Spitzenaussage des Buches von Güvercin. Sarrazins Buch, das vor rund drei Jahren erschien, muss eine schwere Anfechtung gewesen sein. Vieles bei Güvercin versteht sich offenkundig als eine Art Abwehr der Sarrazin´schen Erörterungen, die als demütigende Entblößungen aufgenommen wurden. Der Rezensent kann es sich nicht anders vorstellen. Von daher sind die vielen Trotzigkeiten und unbegründeten Abarten im Erklären und Argumentieren des Textes zu verstehen. Der Tenor des Buches ist etwa: Wir lassen uns nichts sagen, und was ihr sagt, kümmert uns nicht. Wir sind sowieso anders.

Neben dem „Islamkritiker“, der immer ein „Selbsternannter“ und ein „Drittklassiger“ der deutschen Kultur sei, sind es der „Aufklärer“ und die „Aufklärung“, die man in der Feindecke von Güvercin antreffen kann. „Euro-Islam“ gehört für ihn, hier in der Zitation von Zaimoglu, in den Bereich der Ablehnungsmasse, weil der Begriff suggeriere, dass man Religion resp. Kultur „nehmen und auf ihre Europakompatibilität hin untersuchen und verändern lassen muss“ (39). Hier geht der Ton deutlich übers Trotzige hinaus und wird ausgesprochen hochmütig. Aber auch die „Werte“ sind ein Negativbegriff. Wenn die „Freiheit zu einem Wert verkommt“ (192), dann wird sie in einem „Verwertungsverfahren“ je nach Interessenlage auf- oder abgewertet. Der Autor beruft sich dabei auf das bekannte Buch von Eberhard Straub „Zur Tyrannei der Werte“ aus dem Jahr 2010 – sicher nicht ganz zu Recht.

Was ist nun das Neue, das der Islam resp. die Neo-Moslems uns zu geben haben? Was Güvercin uns anbietet, ist eine Ökonomie nach islamischem Bild: eine zinsfreie Wirtschaft. Und schon sei der Kapitalismus gebändigt. Dass der Mensch und seine wirklichen Interessen im Mittelpunkt stehen sollten und nicht der „Markt und seine Gesetze“ (116), haben schon manch edle Denker gesagt. Und wir auch. Aber man muss kompetente Vorstellungen zur Ökonomie haben, sonst nützt es nichts. Kapitalismuskritik also. Sicher zu Recht. – Nun eine persönliche Reminiszenz: Vor nunmehr 24 Jahren haben wir im Osten das Gegenstück zum Kapitalismus abgewählt. Manche von uns haben dann gesehen, dass man nun anstatt des Teufels den Belzebub habe. Das ist sicher nicht ganz falsch. Im Paradies angekommen waren wir nicht, sondern im Kapitalismus. Jedoch hat es sich immer wieder erwiesen, dass dieser Belzebub sich doch immer noch ein Stück besser bewährte als der Teufel. Und so bleibt keine andere Möglichkeit, als den Kapitalismus sozial und rechtsstaatlich zu zähmen.

Die klassischen islamischen Länder haben ja nun die Möglichkeit, eine vorbildliche Wirtschafts- und Sozialordnung aufzurichten, ohne Zins. Im Moment jedoch sieht es nicht danach aus. So ist in diesem Buch zu viel aus Trotz und Schmoll geboren und führt kaum in tragfähige und kommunikative Erörterungen hinein. Der Wert des Buches besteht darin, dass uns dies sehr deutlich vor Augen geführt wird.


Bodo Seidel, Niedersachswerfen