Neu: Antisemitismusbeauftragte in Bund und Ländern
Anfang Mai 2018 trat Felix Klein das neu geschaffene Amt des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung an. „Lehrer klagen über Antisemitismus auf Schulhöfen“, „‚Du Jude‘ immer häufiger Schimpfwort an Schulen“, „Gemobbt, weil sie Juden sind“, „Viele Lehrkräfte überfordert“, „Mit Antisemitismus mehr Platten verkaufen?“ – So lauten Schlagzeilen der letzten Monate. Brennende Israelfahnen und antisemitische Vorfälle auf deutschen Straßen und Schulhöfen alarmieren die jüdischen Gemeinden und die Öffentlichkeit. Im vergangenen Dezember musste in Mülheim (NRW) das Chanukkafest wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden. Im Sommer 2017 gab es großen Wirbel um die von ARTE beim WDR in Auftrag gegebene Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“, die zuerst zurückgehalten und dann in einer kommentierten Fassung ausgestrahlt wurde, was auf heftige öffentliche Kritik stieß. 2017 wurden nach Angaben der Bundesregierung in Deutschland 1453 Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen registriert. Schon seit Jahren steigen die Zahlen körperlicher Attacken junger Migranten gegen Juden (Amadeu-Antonio-Stiftung).
Im Januar hatte sich der Bundestag für die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten ausgesprochen. Es ist nicht nur eine Beauftragung „gegen“, sondern durchaus auch „für“, nämlich für die Stärkung des Judentums in Deutschland. Der „Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus“, so die offizielle Amtsbezeichnung, machte gleich zu Beginn deutlich, dass er jüdisches Leben in Deutschland „sichtbarer, normaler“ machen will. Zudem wird es eine wichtige Aufgabe sein, Maßnahmen zur zentralen Erfassung der judenfeindlichen Vorfälle an Schulen zu ergreifen. Denn über die Dimension dieses Problems besteht bisher keine Klarheit. Klein genießt das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft, und er kennt das Terrain. Er war bislang schon im Auswärtigen Amt als Sonderbeauftragter für die Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen tätig. Die neue Stelle ist allerdings im Innenministerium angesiedelt (daran gab es Kritik, die Linke sähe sie lieber dem Parlament unterstellt).
Ebenfalls befürwortete Klein gleich zum Start die Einsetzung von Beauftragten gegen Antisemitismus in allen Bundesländern. Zwei Länder waren dem Bund an der Stelle voraus, Hessen zieht im Moment nach: Schon im Dezember 2017 ging Rheinland-Pfalz mit gutem Beispiel voran und kündigte die Berufung von Dieter Burgard zum Antisemitismusbeauftragten an. Der bisherige Bürgerbeauftragte nahm seine Arbeit, die direkt bei der Ministerpräsidentin angesiedelt ist, ebenfalls Anfang Mai auf.
In Baden-Württemberg wurde der bundesweit erste Antisemitismusbeauftragte Mitte März eingeführt. Der Religionswissenschaftler Michael Blume arbeitet seit 15 Jahren im Staatsministerium, wo er auch künftig Referatsleiter für nichtchristliche Religionen und Minderheiten bleibt und die neue Geschäftsstelle jetzt hinzukommt. Blume will koordinieren, was es bereits im Land gibt, und wo nötig neue Initiativen ergreifen, um einerseits dem „alten“ Antisemitismus aus rechtsradikalen und zum Teil linksradikalen Milieus, aber auch dem „neuen“ Antisemitismus unter Zugewanderten aus islamisch geprägten Ländern zu begegnen. In seiner Antrittsrede, die er im April an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg hielt, bezeichnete Blume den Antisemitismus als „System aus Verschwörungsmythen“. Der Rückgriff auf Verschwörungsmythen mache den Antisemitismus so gefährlich wie keine andere Variante der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Menschen aller Völker, Kulturen und Religionen könnten sich als Semiten oder als Antisemiten verhalten. „Semiten glauben an eine im Kern gute und geordnete Welt, ohne Leid und Unrecht auch nur im Geringsten zu leugnen ... Und sie lehren, dass das Rechtsstaatsprinzip sogar stärker als das Mehrheitsprinzip zu gewichten ist“, „Antisemiten glauben dagegen an eine Welt, die von bösen Verschwörern beherrscht wird und in der im Grunde niemandem zu trauen ist. Deswegen verkünden sie niemals die Herrschaft des Rechts, sondern die Herrschaft der Gewalt. Deswegen ... tradieren sie seit Jahrtausenden die immergleichen antisemitischen Verschwörungsmythen quer durch die Kulturen und Religionen der Welt.“ Seiner Arbeit legt Blume die von der Bundesregierung im September 2017 angenommene international ausgearbeitete Definition zugrunde: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Auch pauschale Israelkritik wird damit als Judenhass verstanden.
Auffallend zurückhaltend fallen bei Blume indes die wenigen Hinweise auf islamisch motivierten Antisemitismus aus. Rechtsextremismus, Linksextremismus und religiöser Extremismus bedrohten die Gesellschaft. Sicherlich muss hier umsichtig agiert werden, da der Antisemitismus offen und vor allem latent (20 – 25 %) in der Gesamtbevölkerung vorhanden, also „kein speziell muslimisches Problem“ ist, wie zuletzt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im März konstatierte. Gar als „Panikmache“ hat der Kulturwissenschaftler David Ranan Teile der aktuellen Debatten bezeichnet. Ranan versucht in seinem Buch „Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?“ seine These zu untermauern, der zufolge es kaum religiös begründeten muslimischen Antisemitismus gibt.
Dennoch ist nicht zu übersehen, dass der Antisemitismus auch durch Zuwanderung aus Regionen, in denen der Hass auf Israel und die Juden in gewöhnliche Sozialisationsprozesse eingeschrieben ist, zugenommen hat und weiter zunimmt. Der Berliner Präventionsexperte Ahmad Mansour betont seit langem: „Antisemitismus ist unter muslimischen Jugendlichen ausgeprägter als in der Mehrheitsgesellschaft“, und er verweist unter anderem auf die Beeinflussung durch die arabischen Medien, die gezielt antisemitische Propaganda betrieben, stets befeuert durch den Nahostkonflikt. Eine mahnende Stimme ist auch die des Münchner Historikers Michael Wolffsohn, der das Hauptproblem aus seiner Sicht so auf den Punkt bringt: „Der gewalttätige Antisemitismus kommt heute nicht von rechts, auch wenn die irreführenden Statistiken etwas anderes sagen.“ „Wenn ich mich in meinem jüdischen Bekanntenkreis umhöre, dann sagen alle das Gleiche: Gewalt gegen Juden geht ausschließlich von Muslimen aus“ (Interview in der Neuen Zürcher Zeitung im Februar 2018). Wolffsohn gehörte daher zu denen, die das neue Amt des Antisemitismusbeauftragten kritisierten. Dieses sei „nett gemeint, aber wirkungslos“, eine „völlig naive Bürokratenidee“. Den 3000 Jahre alten Antisemitismus werde „kein deutsches Amt“ besiegen.
Die jüngste Gelegenheit, sich eindeutig und in vorbehaltloser Solidarität gegen Judenhass und für jüdisches Leben in Deutschland zu positionieren, bot die Aktion „Deutschland trägt Kippa“ Ende April. Anlass für die Demonstration war der Angriff auf einen Kippa tragenden Israeli und seinen Freund in Berlin, bei dem ein syrischer Palästinenser mit einem Gürtel auf den Kippaträger einschlug. Es stimmt in der Tat nicht allzu hoffnungsvoll, wenn auch dieser Anlass zumindest von den islamischen Verbänden DİTİB und IGMG so umgebogen wurde, dass in ihren Reaktionen die Benachteiligung und Ausgrenzung von Muslimen (vor allem von kopftuchtragenden Musliminnen) den breitesten Raum einnahm. Man sei „als Religionsgemeinschaft ... oft genug in den letzten Monaten Opfer von Übergriffen“ geworden, erklärte DİTİB. Als verantwortungsbewusster Teil der Gesellschaft setze man sich „gegen jede Art von Menschenfeindlichkeit“ ein. Die IGMG wartete mit einer eigenwilligen Umdeutung der Situation auf: „Wer eine Person angreift, weil er oder sie eine Kippa oder ein Kopftuch trägt, will im Grunde die Verbannung von religiösem Leben aus der Öffentlichkeit.“ Immer häufiger komme es zu gewalttätigen Übergriffen – gegen Muslime, insbesondere muslimische Frauen mit Kopftuch. Es ist ein Muster, diesmal allerdings mit der Spitze, dass beide Verbände nicht zum Tragen einer Kippa, sondern einer Takke, also einer Gebetsmütze für muslimische Männer, aufriefen. Ob dies tatsächlich ein Zeichen der Solidarität war oder nicht doch eher eine Provokation mit dem Tenor „Wir sind die Opfer!“, kann mit Fug und Recht gefragt werden.
Friedmann Eißler