Psychoszene

Neue Empfehlungen zur Patientensicherheit in der Psychotherapie

In den letzten Jahren ist die Anzahl behandlungsbedürftiger psychischer Erkrankungen in einem bedrohlichen Ausmaß gestiegen. Von 2010 bis 2020 nahm die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um 56 Prozent zu. Durch die Pandemie hat sich diese Entwicklung noch verstärkt und betrifft vor allem Kinder und Jugendliche. Weil die Wartezeiten auf einen professionellen Behandlungsplatz heute in der Regel viele Monate betragen, suchen viele Menschen in ihrer Not Unterstützung bei alternativen Hilfsangeboten. Dabei haben sie nicht immer Risiken und Nebenwirkungen einer psychotherapeutischen Beratung und Behandlung vor Augen.

Während das Sozialministerium in Österreich1  2018 eine „Esoterik-Richtlinie“ zur Abgrenzung fachlicher Behandlungen von Psychotherapien mit esoterischen, spirituellen, religiösen und weltanschaulichen Inhalten erlassen hat, um den Patientenschutz zu verbessern, tun sich die deutschen Behörden und Verbände damit schwerer. Seit einigen Jahren existiert allerdings ein „Aktionsbündnis Patientensicherheit“, das mit über einem Dutzend Expertinnen und Experten Qualitätssicherungsmöglichkeiten diskutiert und im Frühjahr Empfehlungen veröffentlicht hat, um die Patientensicherheit in der Psychotherapie zu verbessern.2

Als einen wesentlichen Sicherheitsaspekt weist die Kommission auf die fachliche Qualifikation des Angebots hin. Sie bemängelt, dass in Deutschland auf Basis des Heilpraktikergesetzes häufig unzureichend ausgebildete Personen sogenannte „psychotherapeutische Behandlungen“ anbieten. Obwohl sie keine staatlich geregelte Aus- oder Weiterbildung durchlaufen und keine entsprechende Prüfung abgelegt hätten, bezeichneten sie sich als „Heilpraktiker für Psychotherapie“. Die Kommission kritisiert, dass für diese Personengruppe, ebenso wie für pseudotherapeutische Angebote, keine einheitlichen fachlichen und berufsrechtlichen Standards existieren. Diese seien bei den Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie den Ärztinnen und Ärzten durch deren Berufs- und Weiterbildungsordnungen sowie die Fortbildungsverpflichtungen verbindlich festgelegt. Schließlich fehle bei den alternativen psychotherapeutischen Angeboten auch eine Berufsaufsicht und eine Beschwerdemöglichkeit. Verstöße gegen fachliche, ethische und rechtliche Standards ließen sich nicht bestimmen, sodass die Sicherheit von Patientinnen und Patienten gefährdet sein könne.

Patientinnen und Patienten seien oft nicht in der Lage, die eingeschränkte Qualifikation einer Therapeutin/eines Therapeuten zu erkennen. Im Sinne der Patientensicherheit sei es jedoch vor dem Hintergrund der langen Wartezeiten auf qualifizierte Behandlungsmöglichkeiten nicht hinnehmbar, dass Psychotherapie im Bereich der selbst finanzierten Behandlungen von nicht ausreichend qualifizierten Personen erbracht werden dürfe. Leider belässt es das Papier bei dieser Kritik und gibt keine weitergehende Empfehlung, wie weiter mit dem umstrittenen, aber immer noch gültigen Heilpraktikergesetz umgegangen werden sollte. Offensichtlich konnte sich das Konsenspapier nicht auf eine einheitliche Position im Umgang mit dem Heilpraktikerberuf einigen.

Die Expertinnen und Experten des Aktionsbündnisses haben folgende Aspekte als besonders wichtig für die Patientensicherheit herausgestellt:

  • „Förderung des Bewusstseins für Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie bei Fachleuten, Patientinnen und Patienten sowie in der Öffentlichkeit
  • Sicherstellung der Durchführung wissenschaftlich fundierter Psychotherapie
  • Sicherstellung einer umfassenden Vermittlung der Thematik von Risiken und Nebenwirkungen sowie Fehlern und Behandlungsfehlern in der psychotherapeutischen Aus-, Weiter- und Fortbildung
  • Systematische Forschung zu Risiken und Nebenwirkungen in der Psychotherapie und Möglichkeiten der Prävention
  • Optimierung von Beschwerdeverfahren und eine Vernetzung verschiedener Anlaufstellen
  • Etablierung niedrigschwelliger psychotherapiespezifischer Berichts- und Lernsysteme oder Register, um aus den Erfahrungen der unerwünschten Ereignisse bzw. Nebenwirkungen zu lernen und Behandlungsprozesse zu verbessern
  • Verbesserung der Strategien für die Information und Aufklärung von Patientinnen und Patienten über Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie sowie Bewusstseinsbildung bei Betroffenen
  • Etablierung eines niederschwelligen, vertraulichen, professionellen und unabhängigen Beratungsangebots für Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige.

Die Zusammenstellung der Hilfsmittel zur Verbesserung der Patientensicherheit gibt hoffentlich die nötigen Impulse, um die Nebenwirkungen psychotherapeutischer Behandlungen einzudämmen. Leider wird auf die in Österreich gültige Esoterik-Richtlinie mit keinem Wort eingegangen. Das „heiße Eisen“ der zugegeben schwierigen Abgrenzung fachlicher psychotherapeutischer Behandlungen von Psychotherapien mit esoterischen, spirituellen, religiösen und weltanschaulichen Inhalten hat die Kommission nicht thematisiert. Das ist bedauerlich, und hier sollte dringend nachgebessert werden, denn zahlreiche Patientenberichte dokumentieren weltanschauliche Vereinnahmungen durch Therapeuten. Fazit: Die Empfehlungen sind hilfreich, haben jedoch zwei wichtige Konfliktfelder, psychotherapeutische Behandlungen auf der Basis des Heilpraktikergesetzes und Umgang mit spirituellen und weltanschaulichen Themen, zu wenig berücksichtigt.

Michael Utsch, 07.11.2022


Quellen

1  https://tinyurl.com/mdsu9f2v.
 www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2022/02/2022_APS_Empfehlung_RT_Psychotherapie-1.pdf.