Neue Freikirchen als ökumenische Herausforderung - Konsultation von Beauftragten für Ökumene und Weltanschauungsfragen in Paderborn
Es war schon eine kleine Sensation: erstmals in der Geschichte dieser Institutionen gab es eine gemeinsame Tagung des (evangelischen) Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes zusammen mit dem (katholischen) Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Zusammengeführt hatte sie die Frage, wie das Phänomen der Entstehung immer neuer Freikirchen zu verstehen sei und was sich daraus für kirchliche Aufgaben ergeben.
4 Typen
Als "Freikirche" bezeichnen sich nicht nur die in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) zusammengeschlossenen Gemeinden und Verbände, sondern zunehmend auch Gruppen und Gemeinschaften, die sich auch als Gegenüber zu den klassischen Freikirchen verstehen und sogar teilweise ein "überkonfessionelles" Selbstverständnis vertreten. Vier verschiedene Bereiche sind dabei zu unterscheiden:
1. pfingstlich-charismatische Bewegungen und Gemeinden, wie sie sich etwa in christlichen Zentren, Vineyard-Gemeinden oder Gemeinden der Glaubensbewegung in vielen deutschen Städten finden,
2. evangelikal-fundamentalistische Gruppen, wie z. B. die in der "Konferenz für Gemeindegründungen" zusammengeschlossenen Gruppierungen, die als ihr Anliegen ein bibeltreues Leben ohne Kompromisse nennen,
3. Migranten- und Einwandererkirchen wie z. B. koreanische, chinesische oder afrikanische Gemeinden, die meist charismatische Formen praktizieren und sich als unabhängige Kirchen verstehen, sowie
4. Aussiedlergemeinden, die zwar oft eine klassische konfessionelle Prägung besitzen, aber dennoch als eigenständige Gemeinden ohne Einbindung in die örtlichen kirchlichen Strukturen bestehen.
Diese Vielfalt ist Ausdruck tiefgreifender Wandlungs- und Pluralisierungsprozesse im christlichen Raum, die die etablierten Kirchen vor große Herausforderungen stellen und deren Ursachen und Folgen von den Beauftragten für Ökumene und Weltanschauungsfragen untersucht werden.
Ursachen und Deutung
Die Ursachen für die Entstehung neuer Freikirchen sind sehr vielfältig, wie Dr. R. Hempelmann von der EZW in seinem einführenden Referat darlegte. Dazu gehören beispielsweise:
- Enttäuschung vom bisherigen Gemeindeleben (Transferwachstum)
- kühne Missionsperspektiven (Gemeindegründungen als Mission)
- Verselbständigungsprozesse von Missionswerken
- Präsenz von ethnischen Minoritäten
Der gesellschaftliche Trend zu immer stärkerer Individualisierung ruft dabei offenbar paradoxe Effekte hervor, indem er Sehnsucht nach stärkender und verbindlicher Gemeinschaft provoziert. Die Beurteilung dieser Phänomene steht vor der Aufgabe der Differenzierung. Zum ökumenischen Dialog und dem Versuch der Einbindung auch der neuen Freikirchen in verbindliche Formen ökumenischer Zusammenarbeit gibt es keine Alternative. Allerdings darf dieses Bestreben nicht von unterschiedslosem Interesse an Integration getragen sein, sondern bedarf auch der sachlichen Auseinandersetzung mit kontroversen Fragen wie z. B. der Dämonisierung von Widerständen, ein Wachstums- und Wohlstandsevangelium oder dem leichtfertigen Umgang mit Heilungsversprechen.
Rolf Hille vom Theologischen Ausschuss der Deutschen Evangelischen Allianz hob in seinem Referat die Bedeutung des "Evangelical Consens" für die Evangelische Allianz hervor. Dieser schließt z. B, die altkirchliche Tradition wie auch die reformatorischen Kernsätze (solus christus, sola scriptura, sola gratia, sola fide) ein und grenzt sich damit von einem fundamentalistischen Biblizismus ab.
Der Leiter der Geistlichen Gemeindeerneuerung (GGE), Pfr. Friedrich Aschoff, wies auf die Bedeutung äußerlicher Faktoren des Gemeindelebens für die Entstehung neuer Gemeinden hin. Ein warmherziger Empfang (kein "Schütteldienst"), der das Gefühl des Willkommen-Seins vermittelt, ansprechende gute Musik und in freier Rede vorgetragene Verkündigung seien wesentliche Punkte für Gemeindewachstum.
Von Seiten der VEF wurden die Schwierigkeiten benannt, transkonfessionelle Bewegungen ohne denominationale Identifizierbarkeit zu integrieren. Ganz neue Situationen entstehen durch Einwandererkirchen, die "rückwärts-missionarisch" aktiv werden, wie es Pfn. Währisch-Opplau von der Vereinigten Evangelischen Mission ausdrückte. Z.B. hat eine nigerianische Pfingstkirche Missionare nach Deutschland entsandt. In Bezug auf Migranten- und Aussiedlergemeinden mahnte sie eine größere Offenheit auch zu ethnischer Vielfalt in Landeskirchlichen Gemeinden an. Viele Einwanderer würden durch mitunter kaum versteckten Rassismus förmlich in die Separation gedrängt.
Das Thema "Neue Freikirchen" wird alle Beteiligten weiter beschäftigen.
Harald Lamprecht, Dresden
(Entnommen aus: Confessio 6/2002, 18f)