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Neue Hexen: Zwischen Kommerz, Kult und Verzauberung. Rückblick auf ein EZW-Seminar in Hamburg

Hexen – ein schillerndes Thema, das starke Emotionen weckt. Was der Begriff jeweils meint, kann sehr verschieden sein. Die Frauen, die unter dem Vorwurf der Hexerei in der frühen Neuzeit verbrannt wurden, haben außer der Bezeichnung so gut wie nichts mit den Frauen gemeinsam, die sich heute bewusst Hexe nennen. Dennoch sind Identifizierungen und Projektionen an der Tagesordnung. Aber auch zwischen den Hexen der Gegenwart gibt es deutliche Unterschiede. Da gibt es zum einen die große Zahl derer, die quasi „freischaffend“ ihre Dienste in Tarotkartenlegen, Astrologie und Lebensberatung auf dem Esoterikmarkt anbieten, und zum anderen die organisierten Hexen des Wicca-Zweiges, die in kleinen Gruppen (Coven) gemeinsam magische Rituale zelebrieren und Einweihungen in drei Grade erteilen. Wiederum eine eigene Charakteristik und Sozialstruktur weisen die neuen Girlie-Hexen unter den Teenagern auf, die das Hexe-Sein als einen Mode-Trend aufgreifen und in Fernsehserien wie „Sabrina – total verhext“ oder „Charmed“ bzw. in esoterischer Anleitungsliteratur ihre Identifikationsmuster finden.

Mit dieser Vielfalt beschäftigte sich der Aufbaukurs der EZW, der zum Thema „Neue Hexen. Zwischen Kommerz, Kult und Verzauberung“ vom 7. bis 9. 11. 2005 in Hamburg stattfand. Nach einführenden Referaten von Matthias Pöhlmann und Gabriele Lademann-Priemer lag ein erster Schwerpunkt auf den neueren historischen Forschungen zu den Hexenprozessen in der frühen Neuzeit. Thomas Becker, Leiter des Bonner Universitätsarchives, räumte in seinem beeindruckenden Referat mit vielen Klischees und falschen Vorstellungen zu den Hexenverfolgungen auf: So fanden die Verfolgungen weder im sog. „finsteren Mittelalter“ statt noch war die kirchliche Inquisition deren treibende Kraft – im Gegenteil: im Herrschaftsbereich der Inquisition (Spanien, Italien) gab es fast keinen dieser Prozesse. Die Hexenprozesse sind vielmehr ein Zeichen der anbrechenden Moderne, in der heftige lokale Auseinandersetzungen mit Hilfe des Hexereivorwurfes vor weltlichen Gerichten ausgefochten wurden. Auch die häufig bemühte Mär von den verfolgten „weisen Frauen“ oder Hebammen lässt sich aus den Akten nicht belegen. Diese gut dokumentierten Ergebnisse der neueren Hexenforschung werden jedoch sowohl von der neuen Hexen-Szene wie von weiten Teilen der Öffentlichkeit immer noch hartnäckig ignoriert.

Einen Einblick in Geschichte und Inhalt des Wicca-Kultes gab der Ethnologe Oliver Ohanecian. Basierend auf naturromantischen Vorstellungen und neuheidnischen Ideen des erwachenden Nationalismus im 19. Jahrhundert begründete Gerald Brosseau Gardner (1884-1964) in den 1950er Jahren den modernen Wicca-Kult. Von England ausgehend verbreitete sich Wicca in den USA stark und brachte dort stärker feministische (Dianic Wicca, Szusanna Budapest) oder politisch-emanzipatorische Richtungen (Miriam Simons alias Starhawk) hervor. Inhaltlich gibt es wenig Verbindliches. In der Regel finden Einweihungen in drei Grade, gemeinsame Feiern der acht Jahreszeitenfeste und magisch-rituelle Handlungen statt. Der im Wicca verbreitete Hexenbegriff verbindet die Aspekte einer Personifikation der Natur, der Hexe als Opfer, der Hexe als Symbolfigur von (magischer) Macht und der Hexe als der stets ganz Anderen, die individualistisch, nonkonformistisch und unberechenbar bleibt.

Praktische Erfahrungen gab es zum einen beim abendlichen Gespräch mit der Hamburgerin Silke Beyn, die als Hexe „Attis“ ihren Lebensunterhalt verdient, und bei einem Besuch im Hexenarchiv des Völkerkundemuseums Hamburg. Dieses Archiv verdankt seinen Grundstock dem engagierten Kampf von Johann Kruse (1889-1983) gegen den aktuellen Hexenwahn seiner Zeit im ländlichen Raum und gegen das Unwesen sog. „Hexenbanner“. Hexenbanner sind Personen, die behaupteten, mit magischen Mitteln dem Schadenszauber angeblicher Hexen aus der Nachbarschaft oder gar Verwandtschaft ihrer Kunden entgegenwirken zu können. Dass der Vorwurf der Hexerei das soziale Aus für die betroffenen und in der Regel völlig unschuldigen Personen bedeuten konnte, motivierte Kruse zu seinem Lebenswerk.

Aus praktisch-theologischer Perspektive formulierte zum Abschluss der Tagung Sabine Bobert (Kiel) einige Anfragen an Wicca wie an die christlichen Kirchen. Im Vergleich zu den zahlreichen lebensbegleitenden Riten der Wicca-Religiosität wirkt das kirchliche Set an Kasualien einseitig an weithin vergangenen Lebensphasen der bürgerlichen Kleinfamilie orientiert. Die Wicca-Rituale konzentrieren sich auf Selbstreflexion und Veränderungsbereitschaft und tragen damit den stets geforderten Veränderungen der Lebenssituationen in der Postmoderne Rechnung. Kritisch ist anzumerken, dass hinter der scheinbar sozial abgefederten Hexenregel „Tue was du willst, aber schade niemandem, denn es wird alles dreifach zu dir zurückkehren“ letztlich ein atavistisches Lohn- und Strafe-Denken steht. Demgegenüber hat das Christentum eine hoch entwickelte Liebesethik, in der soziales Handeln nicht durch Lohn oder Strafe motiviert wird, sondern durch den Wunsch zur Weitergabe empfangener Liebe.

Insgesamt bot die Tagung für die 36 Fachteilnehmer aus Weltanschauungsarbeit, Schule, Polizei und Wissenschaft eine Fülle von Klärungen, Erkenntnissen und Impulsen. Mit den neuen Hexen werden sich wohl die meisten weiter beschäftigen (müssen).


Harald Lamprecht, Dresden