Neue Studie zur Sicht der Bevölkerung auf den Islam
Am 24. September 2018 wurde die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD „Islam und Muslim*innen in Deutschland. Die Sicht der Bevölkerung“ vorgestellt. Die Studie untersucht sowohl die Einstellungen der Bevölkerung zum Islam in Deutschland als auch die Erwartungen der Bevölkerung an die evangelische Kirche in Bezug auf den Dialog mit Muslimen. Für die Bearbeitung dieser Fragen wurde eine telefonische Mehrthemenbefragung von 2012 Personen ab einem Alter von 14 Jahren durchgeführt. Der Untersuchungszeitraum war vom 1.-15.8.2018.
In der Studie werden vier thematische Schwerpunkte untersucht: Wie wird der Islam und wie werden Muslime in Deutschland wahrgenommen? Welche Kontakte bestehen zu Muslimen? Welche Erwartungen bestehen an die evangelische Kirche bezüglich des Dialogs mit Vertretern des Islam? Und welche Möglichkeiten gibt es, um wechselseitiges Vertrauen zu stärken?
Die Ergebnisse zeigen, dass in der Bevölkerung eine Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen vorgenommen wird. Denn nur 33,1 % befürworten die Aussage, dass der Islam in die deutsche Gesellschaft passe, allerdings sagen 69,1 %, dass Muslime zum Alltagsleben in Deutschland gehören. Diese Unterscheidung korrespondiert mit der Aussage einiger Politiker, wie etwa der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich und Horst Seehofer, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, die Muslime aber schon. Trotz dieser mehrheitlich angenommenen Inkompatibilität des Islam mit der deutschen Gesellschaft gehen 50,1 % der Befragten davon aus, dass das Christentum und der Islam einen gemeinsamen Glaubenskern haben.
Die Erhebungen weisen allerdings deutliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland auf. So sagen 27 % in Ostdeutschland und 34 % in Westdeutschland, dass der Islam in die deutsche Gesellschaft passe. Wiederum erkennen 59 % in Ostdeutschland Muslime als Teil des Alltagslebens an, wohingegen dies 71 % in Westdeutschland tun. Einen gemeinsamen Glaubenskern von Islam und Christentum nehmen 42 % in Ost- und 52 % in Westdeutschland an. Die Tendenz, dass in Ostdeutschland eine stärkere Ablehnung des Islam und von Muslimen festzustellen ist, zeigte bereits die Sonderauswertung des Religionsmonitors 2015 (vgl. Bertelsmann Stiftung 2015, 8).
Die Zustimmungs- bzw. Ablehnungswerte des Islam und der Muslime in Deutschland korrespondieren mit Kontakten zu Muslimen. Personen, die in Kontakt zu Muslimen stehen, sagen zu 78 %, dass Muslime zum Alltagsleben in Deutschland gehören, und 42 % geben an, dass der Islam in die deutsche Gesellschaft passe. Diese Werte bestätigen die Kontakthypothese, wonach ein persönlicher Kontakt zu Muslimen die Einstellungen zu Muslimen positiv beeinflusst. Die Ergebnisse machen aber auch deutlich, dass aus dem persönlichen Kontakt keine mehrheitliche Akzeptanz des Islam in der deutschen Gesellschaft resultiert.
Diese Einstellungen gegenüber dem Islam führen dazu, dass eine Mehrzahl der Befragten die Auffassung vertritt, dass die evangelische Kirche den Dialog mit Vertretern des Islam verstärken (24,8 %) bzw. wie bisher beibehalten sollte (38,6 %). 9,4 % wünschen hingegen eine Einschränkung des Dialogs, und 12,4 % sprechen sich dafür aus, dass die evangelische Kirche den Dialog mit muslimischen Vertretern beenden sollte.
Das wichtigste Ziel dieses interreligiösen Dialogs sehen die Befragten im gesellschaftlichen Zusammenhalt (67,3 %). Der Auffassung, den Dialog als Weg zu nutzen, um den Regeln für gesellschaftliches Zusammenleben Anerkennung zu verschaffen, stimmen 61,2 % zu. 53,5 % sehen im Dialog zudem eine Möglichkeit, den muslimischen Glauben besser zu verstehen, und 46,5 % begreifen ihn als Option, um die Anerkennung des christlichen Glaubens zu stärken. Diesen Erwartungen an den Dialog entsprechen auch die inhaltlichen Präferenzen: 63,7 % wollen vor allem soziale Fragen im Dialog besprechen, und nur 41,7 % plädieren für die primäre Behandlung von religiösen Fragen. Differenziert man den letzteren Wert weiter aus, zeigt sich, dass der Thematisierung von vor allem religiösen Themen 47 % der evangelischen, 45 % der katholischen Befragten und 34 % der Befragten ohne Konfession zustimmen. Konfessionslose Personen begreifen den christlich-islamischen Dialog somit weniger als religiösen Austausch, sondern mehr als soziale Initiative.
Angesichts der hohen Ablehnung des Islam als Teil der deutschen Gesellschaft stellt die Studie die Frage, wie wechselseitiges Vertrauen gestärkt werden kann. 29 % sehen den Schlüssel in einer Stärkung des Dialogs und im Austausch. 20 % heben den gegenseitigen Respekt, das reziproke Verständnis und die Toleranz hervor. Wiederum 10 % befürworten gemeinsame Aktivitäten in den Bereichen Sport, Kultur, Religion und Feste. 9 % sprechen sich für eine bessere Information und Aufklärung über die jeweils andere Religion aus, und 7 % fordern mehr Offenheit und Ehrlichkeit. Jeweils 5 % betrachten als vertrauensbildende Maßnahmen die Anerkennung von Regeln sowie eine Anpassung an die deutsche Gesellschaft, die bereits in der Schule einsetzen müsse.
Die Studie macht deutlich, dass insgesamt eher eine ablehnende Haltung gegenüber dem Islam in der deutschen Gesellschaft besteht, Muslime jedoch mehr Akzeptanz erfahren. Dem gesellschaftlichen Zusammenhalt wird eine hohe Bedeutung zugesprochen, und der Dialog zwischen der evangelischen Kirche und Muslimen wird als Mittel verstanden, um den Zusammenhalt zu fördern. Im Mittelpunkt des Dialogs sollten der Studie zufolge vor allem soziale Fragen stehen. Die Studie leitet daraus als handlungspraktische Ansatzpunkte ab, dass vor allem im Bereich zivilgesellschaftlicher Teilhabe Kontakte ausgebaut und der Dialog zwischen evangelischer Kirche und Muslimen intensiviert werden muss.
Richtlinien für den christlich-islamischen Dialog hat die EKD zeitgleich zu der Studie in einem Positionspapier zum christlich-islamischen Dialog veröffentlicht. Sie plädiert darin für eine Vertiefung des Dialogs, da der interreligiöse Austausch einen wichtigen Beitrag zu einer friedlichen und toleranten Gesellschaft leisten könne. Als Voraussetzung dafür wird jedoch die Toleranz des jeweils Andersglaubenden genannt. Das klare theologisch und rechtlich gegründete Ja zur Religionsfreiheit und Religionsvielfalt auf der einen Seite erfordere auf der anderen Seite von Religionsgemeinschaften, Weltanschauungen und der Gesellschaft insgesamt die Einübung in die eigene Pluralitätsfähigkeit. Vor dem Hintergrund der Verbindung von Religion und Gewalt, die sich im religiösen Fundamentalismus bis hin zum islamistischen Extremismus und Terrorismus finde, fordert das Papier, dass die Achtung vor dem Leben anderer nicht nur als anerkanntes Menschenrecht, sondern auch als religiöser Wert in Erinnerung gerufen und verteidigt werden soll. Auf dieser Grundlage sieht das Positionspapier der EKD im christlich-islamischen Dialog auch eine Chance dafür, einer Zurückdrängung des Religiösen aus der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.
Hanna Fülling