Die Linksfraktion bemängelt Maßnahmen gegen Scientology
Bei hochreligiösen Patienten sind in der Regel die Vorbehalte groß, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei einem Vortrag im Rahmen eines Psychotherapie-Kongresses, der kürzlich in Berlin stattgefunden hat, führte der Psychiater Ibrahim Rüschoff die Widerstände gegenüber psychotherapeutischen Behandlungen bei Muslimen auf das Vorurteil zurück, therapeutische Methoden seien nicht mit dem Islam vereinbar oder würden ihm sogar zuwiderlaufen. In den Herkunftsländern seien Heiler weit verbreitet, deren Welt- und Menschenbild erheblich von wissenschaftlich ausgebildeten Akteuren des europäischen Gesundheitssystems abweiche. Zudem könne ein echter Gläubiger, so die Meinung, nicht psychisch krank werden. Psychische Erkrankungen würden als eine Strafe Gottes erlebt oder auf böse Geister zurückgeführt. Daher neigten viele Muslime dazu, eine notwendige Therapie zu boykottieren. Rüschoff betonte, wie wichtig die systematische Ausbildung der Imame sei, die zu einem großen Teil beratend tätig seien. Sie müssten die Grenzen ihrer Seelsorge im Blick haben und bei Bedarf an professionelle Therapeuten weitervermitteln.
Um die Hürden gegenüber professioneller Unterstützung abzubauen, sollen ab 2016 in drei Berliner muslimischen Gemeinden wöchentliche Beratungsstunden mit psychosozialen Hilfsangeboten veranstaltet werden, die ein muslimischer Psychologe durchführen wird. Der Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit, der dieses Projekt initiiert hat, will damit einen Beitrag zur Integration der in Deutschland lebenden Muslime leisten.
Nach Überzeugung des Vereins sind religiöse Gemeinden durch ihren Zusammenhalt und die gegenseitige, auch spirituelle Unterstützung für das seelische Wohlbefinden ihrer Mitglieder unverzichtbar. Bei Unterstützungsbedarf im Falle psychischer Störungen und Erkrankungen sollten aber die medizinischen und psychotherapeutischen Hilfsangebote genutzt werden. Auch türkisch- und arabischsprechende Psychiater und Kinderpsychotherapeuten sollen zum Einsatz kommen.
Um auch Christen die Möglichkeit zu geben, sich über Hilfs- und Behandlungsmöglichkeiten bei psychischer Erkrankung zu informieren, werden auch Beratungsstunden in je einer Beratungsstelle in katholischer und evangelischer Trägerschaft eingerichtet. Das interkonfessionelle Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird aus Mitteln der Lotto-Stiftung Berlin finanziert.
Dieses Modell kann helfen, vorhandene Vorurteile Hochreligiöser gegenüber fachlicher Behandlung abzubauen, und dazu beitragen, dass die Bereiche Psychotherapie und Seelsorge besser zusammenarbeiten.
Michael Utsch, 10.12.2015