Gesellschaft

Neues zur Embryonenforschung, Sterbehilfe, Patientenverfügung, PID

(Letzter Bericht: 3/2002, 65ff; 6/2003, 234f; 8/2003, 283ff; 12/2003, 456ff) Für Vorhaben der sogenannten Lebenswissenschaften und Medizinforschung stehen im EU-Haushalt 2004/2005 2,25 Milliarden Euro zu Verfügung. Darunter fallen auch Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen. Nachdem der zuständige Forschungskommissar im Herbst 2002 wegen der unterschiedlichen ethischen Bewertungen der Stammzellenforschung innerhalb der Mitgliedsstaaten ein Moratorium verfügt hatte, verstrich die Sperrfrist mit Ablauf des Jahres 2003, ohne dass sich die Verbotsforderung einiger Länder - unter ihnen Deutschland - hatte durchsetzen können. Nach wie vor ist unklar, wie die Chancen auf Förderung umstrittener Vorhaben zur Gewinnung von Stammzell-Linien aus sog. überzähligen Embryonen stehen. Die Anträge müssen mit Zweidrittelmehrheit von der Entscheidungskommission genehmigt werden, in der einander widersprechende ethische Positionen vorkommen, die die verschiedenen nationalen Gesetzgebungen und ethischen Traditionen Europas widerspiegeln. Fachleute schätzen, dass die Förderung zu einem Zehntel in die Forschung mit embryonalen, vor allem aber in die Forschung mit adulten Stammzellen fließen wird.

In ähnlicher brisanter Sachlage wird der Europarat voraussichtlich am 16. Januar 2004 über einen Antrag aus der Schweiz abstimmen, in dem die europaweite Legalisierung der bislang in Deutschland verbotenen aktiven Sterbehilfe gefordert wird. Aus einem Report aus den Niederlanden, der 2003 veröffentlicht wurde, geht hervor, dass sich die Zahl der gemeldeten Euthanasiefälle in den Niederlanden von 2200 im Jahr 1991 auf mehr als 3000 erhöht habe, die Fälle aus der "Grauzone" nicht mitgerechnet. Angesichts der bioethischen Brisanz hat das Bundesjustizministerium im September die Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende" eingesetzt, die bis zum Frühsommer 2004 einen Abschlussbericht mit Kriterien für die Abfassung einer Patientenverfügung erarbeiten will. Schon länger bieten die EKD, der Humanistische Verband Deutschlands, die Deutsche Hospiz Stiftung oder die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben unterschiedlich ausgerichtete Vertragsentwürfe an. Kritik handelte sich die derzeitige Bundesjustizministerin für die Besetzung der Arbeitsgruppe ein. Nachdem sie in einer umstrittenen Grundsatzrede frühen Embryonen die Menschenwürde abgesprochen hat, sei nun auch die Arbeitsgruppe einseitig besetzt. Die Deutsche Hospiz Stiftung, die sich als Interessenvertreter und Lobbyist der Schwerstkranken und Sterbenden versteht, sei in der Arbeitsgruppe ausgeschlossen, Befürworter von aktiver Sterbehilfe dagegen einbezogen worden.

Um die tabuisierte Grenze zwischen Krankheit und Lebensrecht wird seit Jahrzehnten auch in der Debatte um die Abtreibung gestritten. Mit der Neufassung des Paragraphen 218 StGB im Jahr 1995 wurde die sog. embryopathische Indikation gestrichen und unter die medizinische Indikation subsumiert. Seitdem ist ein Schwangerschaftsabbruch zu jedem Zeitpunkt, also auch noch über die 22. Schwangerschaftswoche hinaus, legal. Die Tötung lebensfähiger Kinder ist seitdem rechtlich zulässig, was inzwischen von immer mehr Menschen als unerträglich empfunden wird. Im Zusammenhang der Schwangerschaftsvorsorge sind deshalb belastende bioethische Dilemmata seitdem an der Tagesordnung. Der mehrfachen Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, die Gesetzesneufassung zu überprüfen, wurde bisher nicht gefolgt. Annegret Braun, Leiterin der Beratungsstelle zu vorgeburtlichen Untersuchungen und bei Risikoschwangerschaften beim Diakonischen Werk Württemberg, beklagte kürzlich in einem Aufsatz zur Präimplantationsdiagnostik (PID) eindringlich "die Nutzung und Ausbeutung von Frauenkörpern, das Abzielen dieser Forschung auf die Eizellen und Embryonen von Frauen ... und den unwürdigen Umgang mit Frauen durch und mit dieser Technik" (Deutsches Pfarrerblatt 8/2003). Nach ihren Erfahrungen ist aus der ganz normalen Schwangerschaftsvorsorge eine medizinische "Absicherungsüberwachung" geworden, die viele medizinische, juristische und ethische Richtlinien übergehe. Braun beschrieb vor allem den enormen moralischen Druck auf die Frauen, den die Hochleistungsmedizin ausübe. "In der Literatur wird beschrieben, dass die künstliche Befruchtung in der Rangliste der stressigsten Lebensereignisse an zweiter Stelle gleich nach dem Tod eines Familienmitgliedes einzustufen ist." Nach Abwägung aller Argumente und bei allem Verständnis für den Kinderwunsch von Eltern lehnt Braun deshalb die technischen Eingriffe der PID als frauenverletzende Übergriffe ab. Weil eine Entscheidung des Bundestages zur PID noch aussteht, wird darüber heftig diskutiert. Verfassungsrechtlich sei ein Verbot nötig, hat Barbara Böckenförde-Wunderlich in ihrer hoch gelobten juristischen Dissertation befunden (Die Präimplantationsdiagnostik als Rechtsproblem, Tübingen 2002). Zudem sei eine Ausweitung des Indikationskatalogs zu befürchten, schildert sie in der aktuellen Ausgabe der "Zeitschrift für medizinische Ethik" (4/2003). Dafür sprächen nicht nur Erfahrungen aus dem Ausland, sondern auch die aus der Pränataldiagnostik in Deutschland selbst.

Michael Utsch