Religiöse Landschaft

Nur noch 47 Prozent aller US-Amerikaner gehören einer Religionsgemeinschaft an

Einer neuen Studie nach gehören seit 2020 zum ersten Mal weniger als die Hälfte aller US-AmerikanerInnen einer Religionsgemeinschaft an.1 Seit 1937 befragt das Meinungsforschungsinstitut Gallup zweimal pro Jahr amerikanische BürgerInnen zu ihrer Religionszugehörigkeit und -ausübung. Während um die Jahrtausendwende noch mehr als zwei Drittel der Befragten angaben, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, lässt sich seither ein stetiger Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen beobachten.

Was in den letzten Jahren unter der dramatischen Schlagzeile „The Rise of the Nones“ („der Aufstieg der Nicht-Religiösen“) vermehrt in den Nachrichten erschienen ist, beschreibt die generell steigende Anzahl von Menschen ohne religiöse Bindung. Auch wenn nach wie vor sieben von zehn Befragten bestätigen, sich mit einer religiösen oder spirituellen Tradition zu identifizieren, schließen sich immer mehr Menschen diesen nicht notwendigerweise offiziell an.

Hinzu kommt die Überalterung vieler Kirchen in den USA. Während zwei Drittel der AmerikanerInnen, die vor 1946 geboren sind, angeben, Mitglied einer religiösen Gemeinschaft zu sein, trifft dies nur noch auf 50 % der Befragten zu, die nach 1965 geboren sind und auf gerade mal 36 % der unter 40-Jährigen.2 Auch eine im Juli 2021 veröffentlichte Studie des Public Religion Research Institute (PRRI) bestätigt, dass das durchschnittlich hohe Alter von Kirchenmitgliedern, welches bei 47 Jahren liegt, darauf schließen lässt, dass der Trend abnehmender Mitgliederzahlen wohl weiter anhalten wird, da es an jüngeren Mitgliedern fehlt, die nachrücken.3

Gerade die medial sehr präsenten weißen Evangelikalen verzeichnen die höchsten Verluste.4 Mit ihren durchschnittlich 56 Jahre alten Mitgliedern gehören sie zur „ältesten religiösen Gruppe“ in den USA und repräsentieren derzeit nur noch 14 % der amerikanischen Gesamtbevölkerung.5 Neben der Überalterung sehen manche jedoch auch die zunehmende Instrumentalisierung von Religion für politische Zwecke als Grund für sinkende Mitgliederzahlen. So argumentierte der Politikwissenschaftler David Campbell, dass gerade junge Leute sich zunehmend von institutioneller Religion abwandten, um ihrer Ablehnung gegenüber PolitikerInnen, die Religion politisierten, Ausdruck zu verleihen. In einer Zeit, in der vor allem konservative RepublikanerInnen zunehmend das Christentum für sich und ihre politische Agenda beanspruchen, wird laut Campbell der Kirchenaustritt bzw. die Religionslosigkeit zum politischen Akt.6 Die Ablehnung von Religion als „allergische Reaktion auf die religiöse Rechte“7 sei jedoch gefährlich. Eine zunehmend politisierte Religion führe langfristig zu mehr Polarisierung innerhalb der Gesellschaft, wodurch Religion die ihr spezifische Fähigkeit verliere, überparteilich soziale und moralische Anstöße zu geben.8

Auch wenn Religion hierzulande längst nicht so politisiert ist wie in den USA, so steigt doch auch in Deutschland die Anzahl der Konfessionslosen drastisch. Um die Motive von Kirchenaustritten besser einordnen zu können, haben die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die Evangelische Kirche von Westfalen9 hierzu eine Pilotstudie gestartet, deren erste Ergebnisse in einer differenzierten Auswertung Mitte Juli veröffentlicht wurden. Während für die über 40-Jährigen kirchliches Handeln bzw. Fehlverhalten eine Rolle spielte,10 nannten jüngere Menschen als Grund für ihren Austritt meist eine Nutzenabwägung bezüglich der Kirchensteuer oder aber den Verlust des eigenen Glaubens. Die Relevanz der Kirche in einer hoch individualisierten Gesellschaft rückt somit ins Zentrum – hier wie in den USA. Nur viel Transparenz11 und eine starke Bildungs- und Jugendarbeit, die genügend positive Erinnerungen schafft, um stabile Bindungen zu etablieren, werden dem gesellschaftlichen Trend langfristig entgegenwirken können.


Claudia Jetter, 01.09.2021

Anmerkungen

  1. Vgl. Jeffrey M. Jones: U.S. Church Membership Falls Below Majority for First Time, Gallup, 29.3.2021, https://tinyurl.com/3efen457 (Abruf der Internetseiten: 19.7.2021).
  2. Statistikern des Gallup-Instituts nach sollte die areligiöse Haltung sogenannter „Millennials“ (geb. zwischen 1980 und 2000) jedoch nicht überbewertet werden, da, aus soziologischer Sicht, Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren schon immer tendenziell weniger religiös orientiert waren. Vgl. Frank Newport: Millennials‘ Religiosity Amidst the Rise of the Nones, Gallup, 29.10.2019, https://tinyurl.com/vd87aatd.
  3. Bericht des Public Religion Research Institute unter www.prri.org/research/2020-census-of-american-religion.
  4. Demgegenüber steht ein leichter Mitgliederanstieg bei weißen liberalen Protestanten im Jahr 2019/2020. Vgl. ebd., 8.
  5. 2006 waren es noch 23 %.
  6. Der Trend ist jedoch nicht nur konservativen Religionsgemeinschaften vorbehalten. Auch traditionell moderate Kirchen, sogenannte „mainline churches“, ringen um die richtige Balance zwischen notwendiger Positionierung zu politisch sensiblen Themen und gleichzeitig notwendiger Neutralität. Ein Beispiel hierfür ist der Grundsatzstreit über Homosexualität in der United Methodist Church 2020. Vgl. https://edition.cnn.com/2020/01/17/us/united-methodist-church-split-christianity/index.htm
  7. Adam Gabbatt: „Allergic reaction to US religious right“ fueling decline of religion, experts say, The Guardian, 5.4.2021, https://tinyurl.com/2p89p7pt.
  8. Vgl. David Campbell: The Perils of Politicized Religion, in: Dædalus 149/3 (2020), 87 – 104. Projekte wie die „Sojourners‘ Ministries“ versuchen, durch Dialog und gemeinsames soziales Engagement jenseits konfessioneller Grenzen der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken. Vgl. https://sojo.net/about/about-sojourners.
  9. Die Studie „Anlässe und Motive des Kirchenaustritts“ wurde am 14.7.2021 veröffentlicht, www.elk-wue.de/fileadmin/Downloads/Presse/Dokumente/2021/Studie_Befragung_Ausgetretener_-_Praesentation.pdf.
  10. Hier wurde u. a. mangelnde Aufklärung bei Missbrauchsfällen oder auch das politische Engagement der Kirche in der Flüchtlingskrise genannt. Vgl. www.elk-wue.de/news/2021/14072021-pilotstudie-zu-austrittsgruenden.
  11. Die württembergische Landeskirche hat u. a. einen Flyer entworfen, der darüber informieren soll, wo und wofür Kirchensteuer eingesetzt wird. Vgl. www.elk-wue.de/fileadmin/Downloads/Presse/Dokumente/2021/Flyer_Kirchensteuer_wirkt_2021.pdf.